Ist Deutschland überversorgt mit Lademöglichkeiten für Elektroautos? Das legt eine neue Untersuchung nahe, nach der tausende Ladesäulen ungenutzt sind.

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Viele Diskussionen um das Für und Wider zur Elektromobilität drehen sich um die Lademöglichkeit von E-Autos. Glaubt man Politik wie Stammtisch, muss die Ladeinfrastruktur in Deutschland zügig weiter ausgebaut werden. Doch eine neue Analyse der Automobilwoche in Zusammenarbeit mit dem Datendienstleister Elvah lässt einen anderen Schluss zu. Demnach stehen tausende öffentliche Ladesäulen ungenutzt oder mit minimaler Auslastung herum. Das deckt sich mit den Informationen, über die wir bei auto motor und sport bereits vor zwei Jahren berichtet haben – dabei war die damals installierte Ladestruktur mit rund 101.000 öffentlichen Ladepunkten noch erheblich kleiner als heute.

Zehn E-Autos pro Ladepunkt

In Deutschland gab es zum Stichtag 1. Februar 2025 laut dem Ladesäulenregister der Bundesnetzagentur insgesamt 161.686 öffentliche Ladepunkte. Diese teilen sich auf in 125.408 Normalladepunkte und 36.278 Schnellladepunkte. Die Zahl der öffentlichen Ladestationen (also Standorte, an denen Ladepunkte installiert sind) lag zum selben Zeitpunkt bei rund 88.100. Zusätzlich gibt es in Deutschland über eine Million private und gewerbliche Ladepunkte, die jedoch nicht öffentlich zugänglich sind. Demgegenüber steht – Stand Januar 2025 – ein Bestand von rund 1,65 Millionen zugelassener BEV in Deutschland. Grob gerechnet teilen sich demnach aktuell rund zehn Elektroautos eine öffentliche Ladesäule, die heimischen Wallboxen oder Ladepunkte in Firmen nicht mitgerechnet.

Das legt nahe, dass von einer Unterversorgung mit Lademöglichkeiten prinzipiell keine Rede sein kann. Die Analyse von Elvah für die Automobilwoche ergab, dass knapp ein Viertel der Hochleistungs-Schnellladesäulen (High Power Charging, HPC) lediglich eine durchschnittliche Auslastung zwischen einem und fünf Prozent erreichte. Hinzu kommt, dass über ein Viertel dieser HPC-Ladesäulen sogar überhaupt nicht genutzt wurde, was jedoch auch technische Gründe (Defekte, Updates, Bauarbeiten) haben kann. Auch bei den normalen Schnellladesäulen (DC) bis 130 kW und den Wechselstrom-Normalladesäulen (AC) ist das Bild ähnlich: Rund 26 Prozent der DC-Lader und 22 Prozent der AC-Lader blieben im betrachteten Zeitraum ungenutzt.

Diese geringe Auslastung hat erhebliche wirtschaftliche Folgen für die Betreiber. Die Errichtung von HPC-Schnellladestationen ist mit sechsstelligen Euro-Investitionen verbunden, während die Einnahmen pro Ladevorgang im Durchschnitt nur 20 bis 25 Euro betragen. Die Rentabilität vieler Standorte ist damit nicht gegeben, was die Geschäftsmodelle vieler Anbieter unter Druck setzt.

Experten sehen Überangebot

Branchenexperten wie Sören Ziems (Elvah) und Jeroen van Tilburg (Ionity) sehen laut Automobilwoche die Ursache vor allem in einem Überangebot an Ladeinfrastruktur. Die Nachfrage nach Elektroautos blieb 2024 hinter den Erwartungen zurück, während die Zahl der öffentlichen Ladepunkte weiter deutlich stieg. Von einem Mangel an Ladesäulen könne daher keine Rede mehr sein – im Gegenteil, es bestehe aktuell ein Überangebot. Eine "sehr gute Auslastung" wird laut Ziems erst ab 30 Prozent erreicht, doch diesen Wert erzielte zuletzt nur etwa ein Prozent der HPC-Ladesäulen. Im Durchschnitt lag die Auslastung in Deutschland bei lediglich sechs bis sieben Prozent.

Video: Bloch Erklärt

Die Folge dieser Entwicklung ist eine absehbare Marktbereinigung. Während es in Europa noch rund 1.000 Ladeinfrastruktur-Anbieter gibt, kontrollieren in Deutschland bereits die drei größten Anbieter – EnBW, Aral Pulse und Ionity – über die Hälfte aller Schnellladevorgänge. EnBW ist mit einem Marktanteil von über 30 Prozent klarer Marktführer. Experten gehen davon aus, dass sich der Markt weiter auf wenige große Anbieter und einige regionale Spezialisten konzentrieren wird. Viele kleinere Betreiber dürften sich angesichts der wirtschaftlichen Belastung nicht halten können.

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Flexible Preise zur besseren Auslastung

Ein weiterer Grund für die unausgewogene Auslastung liegt im derzeitigen Preismodell. Anders als bei Tankstellen gibt es bei den meisten Ladesäulen feste Einheitspreise, unabhängig von Standort oder Tageszeit. Dadurch fehlt den Autofahrern der Anreiz, weiter entfernte oder weniger frequentierte Ladesäulen anzusteuern. Die Folge ist, dass zentrale Ladesäulen überlastet sind, während viele andere kaum genutzt werden. Experten fordern daher flexible, nachfrageorientierte Preise, um die Auslastung besser zu verteilen und den weiteren Ausbau gezielter zu steuern.  © auto motor und sport