Der legendäre Mercedes Kurzhauber lebt bis heute – doch der Zetros ist längst sein legitimer Nachfolger. Wir klären, warum das Konzept der Hauben-Lkw so erfolgreich ist.
Vor 66 Jahren, am 5. März 1959, beginnt in Stuttgart ein neues Kapitel der Mercedes-Nutzfahrzeuggeschichte. Die Bühne gehört drei neuen Typen: dem L 322, L 327 (mittelschwere Klasse) und dem L 337 (schwere Klasse). Seinen Namen erhält der Kurzhauber, weil er im Gegensatz zu den damals mit langen Motorhauben produzierten L 315-Langhauber-Lkw den Motor leicht in Richtung Fahrerhaus rückt und deshalb mit kompakteren Abmessungen auftrumpft. Grund sind schon damals gesetzliche Vorgaben, nach denen Abmessungen und Gewicht schwerer Lkw begrenzt werden sollen. Mercedes-Benz reagiert mit einer cleveren Antwort: Die neuen Modelle sind kürzer, wendiger und nutzen den zur Verfügung stehenden Raum effizienter aus, ohne das bewährte Konzept der Hauben-Bauweise völlig aufzugeben.
Ponton-Design für den Kurzhauber
Die runde, verkürzte Schnauze mit integrierten Scheinwerfern erinnert stilistisch an die "Ponton"-Limousinen der 1950er – dabei steckt unter der Haube pure Nutzfahrzeugtechnik. Der Motor rückt teils unter das Fahrerhaus, bleibt aber besser zugänglich als beim damaligen, 1955 eingeführten -Frontlenker von Mercedes. Gleichzeitig ist das Motorgeräusch und die Wärmeabstrahlung in die Kabine geringer. Die neue Baureihe bringt einen optimalen Kompromiss: Ein kleinerer Wendekreis als beim klassischen L 312, bessere Kabinenakustik als beim Frontlenker LP 328, mehr Platz für Fahrer und Beifahrer – sogar ein dritter Sitz findet Platz. Dazu kommt ein fest abgeschotteter Motorraum, ein modernes Ganzstahlfahrerhaus mit Panoramawindschutzscheibe und sogar einer eigenen Federung der Kabine – für die späten 1950er-Jahre ein klares Komfort-Upgrade.
Der Kurzhauber wird dabei nicht nur für deutsche Straßen konzipiert. Als Pritschenwagen, Kipper, Allrad-Zugmaschine oder kommunaler Vielzweckhelfer – er rollt weltweit über Asphalt, Sandpisten und Schotter. Auch in der schwereren Ausführung mit drei Achsen ist er gefragt. Die Variantenvielfalt trägt entscheidend zur Internationalisierungsstrategie von Mercedes bei. In Afrika, Asien und Südamerika sind die "CKD"-Sätze (Teilekits für den Zusammenbau vor Ort) besonders beliebt – allein nach Indien gehen über 226.000 davon.
Der Kurzhauber wird bis heute gebaut
Die Zahlen sprechen für sich: Fast eine Million Kurzhauber entstehen zwischen 1959 und den späten 1990ern – davon über 650.000 Komplettfahrzeuge und etwa 300.000 CKD-Sätze. Der unangefochtene Bestseller der Reihe ist der Typ 322 (später 1113): über 60.000 Einheiten verlassen als L (Hinterradantrieb) oder LA (Allrad) die Werke. Zum Vergleich: Die entsprechenden Frontlenker-Varianten kommen zusammen nur auf rund 16.000 Stück. Produziert wird zunächst in Mannheim und Gaggenau, später im neu aufgebauten Werk Wörth – heute Europas größtem Lkw-Werk.
Dort wurde die Produktion der leichten und mittel Kurzhauber bis 1984 beendet, die schwere Baureihe lief zuletzt in Kleinserien bis 1996 vom Band, ausschließlich für den Export. Im Iran wird der Kurzhauber sogar bis heute in Lizenz gebaut.
Seit 2008 ein neuer Kult-Hauber
Das Erbe des Kurzhaubers hat 2008 ein – aus technischer Sicht – Langhauber angetreten, der Mercedes Zetros. Entwickelt für militärische Einsätze, schwere Transporte, Katastrophenschutz und anspruchsvollste zivile Anwendungen, schreibt er die Geschichte der schweren Haubenfahrzeuge von Mercedes-Benz in moderner Form fort. Allerdings nicht für den regulären Einsatz auf deutschen Straßen, sondern für Militär- und Behördenanwendungen sowie vor allem für den Export in Einsatzgebiete, wo es auf extreme Robustheit ankommt. Um das zu erreichen, macht der Zetros bei Motoren mit der Abgasnorm Euro 5 Schluss, um auch mit zwielichtigem Sprit am Ende der Welt zurechtzukommen.
Die klassische Haubenbauweise verbessert nicht nur die Gewichtsverteilung bei schwerem Gelände, sondern erlaubt auch eine niedrigere Bauhöhe – entscheidend, wenn der Lkw per Luftfracht transportiert werden soll. Und nicht zuletzt hilft die niedrigere Silhouette, auch das kommt bei Zetros-Anwendern vor, wenn auf einen geschossen wird. Vor allem ist die Hauben-Bauweise für die Nutzer komfortabler (niedriger Einstieg, verbesserter Federungskomfort, leichtere Wartung).
Video: Mercedes Zetros Imagefilm s
Der Zetros basiert technisch auf bewährter Mercedes-Benz Lkw-Technik aus der früheren Axor- und der aktuellen Arocs-Baureihe. Unter der Haube arbeitet je nach Variante ein Reihensechszylinder-Dieselmotor – zunächst aus der OM 926-Baureihe mit bis zu 326 PS, später in aktuellen Versionen mit Euro-VI-Motoren bis zu 510 PS. Die Kraft wird über ein manuelles oder automatisiertes Getriebe an alle vier oder sechs Räder verteilt – je nach Ausführung als Zetros 1833 A (4x4) oder Zetros 2733 A (6x6). Ein hochbelastbarer Leiterrahmen, zuschaltbare Differenzialsperren und eine Wattiefe von bis zu 800 mm (optional mehr) machen den Zetros zum geländetauglichen Schwerlaster.
Ob als militärischer Transporter, Feuerwehrfahrzeug, Pipeline-Begleiter, Expeditionsmobil oder mobile Werkstatt: Der Zetros ist ein modulares Nutzfahrzeug, das mit seiner Plattform zahllose Einsatzzwecke ermöglicht. Besonders gefragt ist er in Regionen mit schwacher Infrastruktur – etwa in Afrika, im Nahen Osten, in Südamerika oder Teilen Osteuropas. Seine Fähigkeit, große Lasten unter schwierigsten Bedingungen zuverlässig zu bewegen, qualifiziert ihn als rechtmäßigen Nachfolger des "unzerstörbaren" Kurzhaubers.
Die zweite Generation Zetros
2019 wurde der Zetros grundlegend überarbeitet. Optisch am einfachsten unterscheidbar sind die zwei Generationen durch die unterschiedlich geformten Hauben, der Kühlergrill hat nun eine erheblich größere Öffnung, verbessert so auch die Motorkühlung. In der Kabine findet sich eine etwas modernisierte Instrumenten- und Armaturenlandschaft. Der aktuelle Mercedes Zetros ist mit einem Reihensechszylinder-Dieselmotor vom Typ OM 460 ausgestattet. Dieser Motor hat 12,8 Liter Hubraum und wird in verschiedenen Leistungsstufen von 360 bis 510 PS und den Abgasnormen Euro III oder Euro V angeboten. Allemal sauberer als der Kurzhauber mit dem OM 352, den wir in diesem Fahrbericht gefeiert haben.

Und so reizvoll die alten Kurzhauber auch wirken – trotz seiner ähnlichen Ausrichtung auf extremste Einsatzszenarien und höchste Zuverlässigkeit spielt der Zetros bei Leistung und Komfort in einer völlig anderen Liga. © auto motor und sport