Das Prinzip der Superkompensation gilt als die Grundlage der Trainings-Periodisierung. Es muss jedoch weitergedacht werden.

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Jedes sportliche Training braucht eine gewisse Struktur, um langfristig zu Leistungssteigerungen zu führen und Verletzungen und Überlastung zu vermeiden. Wahrscheinlich ist dir der Begriff Superkompensation schon einmal begegnet, wenn es um den Wechsel von Belastung und Erholung und das optimale Timing eines Trainingsreizes ging. Das Prinzip der Superkompensation gilt schon sehr lange als die Grundlage einer Periodisierung. In diesem Artikel schauen wir uns die Definition der Superkompensation einmal genau an und beleuchten, was Superkompensation für uns Läuferinnen und Läufer konkret bedeutet.

Definition: Was ist Superkompensation?

Das Prinzip der Superkompensation stammt gar nicht aus der Sportwissenschaft, sondern wurde zuerst in der Ernährungswissenschaft beobachtet. Und zwar bereits Mitte der 60er Jahre in den Glykogenspeichern von Mäusen. Die Forschenden stellten fest, dass sich die Energiespeicher der Mäuse während einer Belastung entleerten, sich in der anschließenden Ruhephase jedoch über das Ausgangsmaß wieder auffüllten.

In der Sportwissenschaft begann man diese Beobachtung der überkompensierten Glykogenresynthese als Gesamtprinzip auf alle physiologischen Anpassungsprozesse nach Trainingsreizen zu übertragen: Nach einer Belastung reagiert der Körper mit einer Überanpassung und erreicht damit eine Erhöhung des Leistungsniveaus.

Wie läuft die Superkompensation genau ab?

Im Grunde lässt sich der Verlauf in sieben Phasen einteilen.

Phase 1: Du befindest dich auf einem bestimmten Leistungsniveau (Ausgangslevel) und dein Körper ist in einem Gleichgewicht.

Phase 2: Du setzt deinen Körper einem gewissen Stress (Trainingsreiz) aus, wodurch das Gleichgewicht gestört wird. Im Verlauf des Trainings sinkt dein Leistungsniveau.

Phase 3: Dein Leistungsniveau ist für eine bestimmte Zeit niedriger als vorher (während des Trainings und der anschließenden Erholung).

Phase 4: In der Regenerationsphase (Erholung) wird das Ausgangslevel wieder hergestellt, deine Leistungsfähigkeit steigt auf das Ausgangsniveau.

Phase 5: In der Superkompensationsphase steigt dein Leistungsniveau über dein Ausgangsniveau an.

Phase 6: Am höchsten Punkt liegt der optimale Zeitpunkt für den nächsten Trainingsreiz.

Phase 7: Erfolgt kein weiterer Reiz, sinkt das Leistungsniveau langsam wieder auf dein Ausgangsniveau.

Was lässt sich daraus für die Trainingspraxis ableiten?

Aus dem Modell kannst du nun für deine Trainingsplanung Folgendes ableiten:

Reiz-Schwellen-Gesetz

Der Trainingsreiz muss ausreichend hoch sein, um das Gleichgewicht überhaupt zu stören.

Leistungssteigerung kommt in der Regeneration

Nach einem Training braucht dein Körper ausreichend Erholung. Setzt du den neuen Trainingsreiz häufig zu früh (also schon in der dritten Phase), riskierst du eine Verschlechterung deiner Leistung bis hin zu einem Übertraining.

Richtiges Timing für den nächsten Trainingsreiz oder das Rennen

Der neue Trainingsreiz beziehungsweise der Wettkampf sollte im optimalen Fall um den Höhepunkt der Superkompensationskurve gesetzt werden (Phase 6).

Kontinuität

Lässt du zu viel Zeit zwischen den Trainingsreizen, profitierst du nicht von der Überkompensation. Dein Körper baut die aufgebauten Reserven wieder ab, wenn du sie nicht brauchst – er ist schließlich durch Jahrtausende der Evolution aufs Energiesparen programmiert.

Wie nutze ich Superkompensation im Lauftraining konkret?

Die optimale Dauer bis zum neuen Reiz hängt von deinem Trainingszustand und dem Trainingsreiz ab. Grundsätzlich gilt: je anstrengender die Einheit war, desto länger dauert die Regeneration. Je länger du eine Sportart schon regelmäßig betreibst, desto schneller ist die Erholung.

Wichtige Tipps zur Anwendung der Superkompensation

Kritik am Modell der Superkompensation

Zunächst ist Folgendes zu betonen: Der Grundgedanke, dass ein erfolgreiches Training eine gewisse Periodisierung aus Trainingsreiz, Erholung und Anpassung braucht, ist total richtig und trifft für die meisten physiologischen Systeme zu. Allerdings führt es auch zu einer starken Vereinfachung eines hochkomplexen Systems und kann damit viele Praxiserfahrungen und Trainingsmethoden nur unzureichend erklären. Hier sind ein paar Beispiele:

Anpassungsvorgänge sind keine Treppen, die immer nur nach oben führen. Systeme können sich nicht unendlich steigern. Irgendwann ist der Effekt der vergrößerten Glykogenspeicher erschöpft und es kann zumindest durch dieses System keine weitere Leistungsverbesserung erklärt werden.

Gute Trainingsplanungen haben langfristig natürlich das Ziel der kontinuierlichen Leistungssteigerung. In diesem Prozess gibt es aber immer wieder Phasen, in denen das Leistungsniveau geplant oder ungeplant sprunghaft ansteigt, stagniert oder sogar nach unten geht, um danach aber auf ein noch höheres Niveau zu kommen.

Die Anpassungen im Körper sind vielschichtig und verschiedene Strukturen haben sehr unterschiedliche Metabolismen. Glykogenspeicher haben beispielsweise kurze Erholungskurven, auch Muskelfasern schneller umstrukturiert, wohingegen Sehnen oder Knochen eher träge Systeme sind. Die Superkompensationskurven verlaufen für verschiedene körperliche Strukturen zeitlich unterschiedlich. Die optimale Erholungszeit ist daher nicht gleichzeitig für alle Systeme realisierbar.

Das Modell legt den Fokus zu sehr auf eine einzelne Einheit. Aus der Praxis weißt du aber auch, dass Kontinuität im Training viel wichtiger für die Leistungssteigerung ist als eine bestimmte Einheit. Für die Langzeitwirkung von Trainingsprogrammen ist das Modell zu unflexibel.

Individuelle biologische, genetische und psychologische Voraussetzungen, sowie externe Faktoren werden zu wenig berücksichtigt. Nicht jeder Athlet reagiert gleich auf den gleichen Reiz und nicht mal ein Athlet reagiert auf den gleichen Reiz zu unterschiedlichen Zeitpunkten gleich. Unter anderem beeinflussen Ernährung, Schlaf, mentaler Zustand, hormonelle Aktivität, soziale Zufriedenheit, aber auch das Wetter oder die Tageszeit die Belastungs- und Erholungskurven.

Die Weiterentwicklung des Periodisierungsprinzips

Um die Defizite des Superkompensationsprinzips auszugleichen, ohne den Grundgedanken zu verwerfen, betrachtet man heute in der Trainingsplanung größere Abschnitte. Diese teilen sich nochmal in Makrozyklen, Mesozyklen und Mikrozyklen.

Mikrozylen beziehen sich meistens auf 7–10 Tage, in denen Einheiten mit bestimmten Regeln und Überlegungen angeordnet werden.

Mehrere Mikrozyklen zusammen bilden einen Mesozyklus. Hier plant man, wie die Mikrozyklen miteinander harmonieren. Viele Trainerinnen und Trainer verfolgen das 3:1-Modell. Auf drei Belastungsmikrozyklen erfolgt ein Entlastungsmikrozyklus: beispielsweise drei Wochen, in denen sich die Belastung steigert, gefolgt von einer Regenerationswoche. Aber auch ein 2:1 oder 2,5:1 ist denkbar. Außerdem schaut man auf die Einbindung von B-Wettkämpfen in die übergeordnete Trainingsplanung für das Hauptrennen.

Die Mesozyklen werden dann in Makrozyklen zusammengefasst. Am Ende eines Makrozyklus findet in der Regel der Hauptwettkampf statt. Ein Makrozyklus kann je nach Sportart 6 Monate dauern oder 1 Jahr oder im Falle von Spitzenathletinnen und athleten sogar auf eine Olympiade von 4 Jahren ausgelegt sein.

Unterschiedliche Einteilungen haben sich bewährt und sind für unterschiedliche Sportarten sinnvoll, je nachdem, wie die Wettkampfphase in der Sportart gestaltet ist. Im Trailrunning beispielsweise ist die Saison eher kurz und konzentriert sich auf die Sommermonate. Dahingegen können Straßenläuferinnen und -läufer in einem Jahr auch zwei bis drei Zyklen durchlaufen und mehrere Wettkampfhöhepunkte anstreben. Dadurch arbeitet man im Trailrunning eher mit der Blockperiodisierung und im Straßenlauf eher mit der kontinuierlichen Wellenperiodisierung.

Mehr zur Jahresplanung und Periodisierung liest du im folgenden Artikel

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Fazit: Superkompensation ist ein wichtiger Grundgedanke, aber für die Trainingsplanung zu eindimensional

Superkompensation beschreibt die Anpassungsreaktion von physiologischen Systemen und Strukturen auf einen Trainingsreiz, die in der Erholungsphase über das Ausgangsniveau hinaus reicht. Das Prinzip soll helfen, die Steigerung der Leistungsfähigkeit durch richtiges Training zu verstehen. Allerdings kann das Modell viele Beobachtungen und bewährte Trainingsmethoden nicht erklären. Auch wenn das Modell immer wieder verwendet wird, um einen Grundgedanken der Trainingsanpassung zu verstehen, kann es die Komplexität von Trainingsadaptionen und Leistungskurven nicht widerspiegeln. Was jedoch aus der ursprünglichen Forschung überlebt hat, ist das Konzept der Periodisierung, bei der man sich mittlerweile weniger nur einzelne Trainingseinheiten anschaut, sondern mehr die Gesamtbelastung und -erholung über unterschiedliche Zeiträume im Blick hält.  © Runner’s World