Vitamin-Infusionen gegen Erkältung oder Kater: Stars wie Chrissy Teigen, Kim Kardashian und Cindy Crawford schwören auf die Wirkung und zeigen sich auf Social Media mit der Nadel im Arm. Nun nimmt der Trend auch in Deutschland Fahrt auf.

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Sie fühlen sich eigentlich gesund? Vielleicht sind Sie ja aber nicht ganz so gesund, wie Sie sein könnten. Das ist die Idee hinter sogenannten Drip Bars.

Denn diese können laut eigener Aussage in diesen Fällen Abhilfe schaffen. Dort können Sie sich, in Praxen mit hellen Wänden, Holzböden und cremefarbenen Polstermöbeln, nach einem durchfeierten Wochenende, vor der Erkältungssaison oder einfach mal zwischendurch in der Mittagspause mit Vitamin-Infusionen versorgen lassen.

Die Infusionen locken mit Namen wie "Detox Drip","Beauty Pur Infusion" oder "Energy Infusion" und sind für alle da: für die, die sich krank fühlen, für die, die Krankheiten vorbeugen wollen oder für die, die einfach nur "eine bessere Version ihrer selbst werden wollen" – so bewirbt sich eine Drip Bar bei Instagram. Denn die Booster versprechen so einiges: volles Haar, schönere Haut, einen verlangsamten Alterungsprozess, Abhilfe bei Erkältungen und Entzündungen und sogar bei Burnout oder Depressionen.

Für wen eignen sich Vitamin-Infusionen?

Infusionstherapien bieten prinzipiell eine schnelle und effektive Möglichkeit, den Körper mit dem zu versorgen, was er dringend braucht: Nährstoffe, Vitamine und Mineralien. Auf der Seite einer Klinik für plastische Chirurgie in Berlin steht, Infusionen seien "die einzige Möglichkeit, eine 100%ige Aufnahme der Wirkstoffe sicherzustellen."

Der Ernährungsmediziner Johannes Georg Wechsler aus München hat dazu eine klare Meinung: "Wenn dem so wäre, dann hätten wir alle einen schwersten Vitaminmangel. Aber den haben wir nicht. Dementsprechend ist diese Aussage wissenschaftlich falsch." Gesunde Ernährung reiche grundsätzlich aus, um gesund zu sein.

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Auch Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren am Klinikum Lüdenscheid, sieht das Versprechen der Drip Bars kritisch, insbesondere die Anwendung bei gesunden Menschen: "Es ist absolut nirgendwo belegt, dass Vitamin-Infusionen einen Nutzen haben. Das, was die Drip Bars anbieten, ist ein reines Versprechen."

Bei erkrankten Personen kann die Anwendung dagegen sinnvoll sein. Galle behandelt viele Patientinnen und Patienten, die eine Dialyse benötigen. "Diese Patienten verlieren wasserlösliche Vitamine während der Behandlung. Da ist es sinnvoll, dass sie die Vitamine ergänzt bekommen, allerdings nach einem bestimmten Plan und einer konkreten Dosierung. Aber wenn Sie keinen Vitaminmangel haben, wieso sollten Sie sich dann Vitamine geben lassen?"

Drips haben ihren Preis

Der Preis für eine Behandlung ist stolz: Bis zu 400 Euro können Vitamin-Infusionen kosten – je nachdem, was man haben oder sein möchte. Eine der teuersten ist die "NAD+ Infusion", mit der man sich nicht nur energetischer und leistungsfähiger fühlen soll, sondern angeblich sogar den natürlichen Alterungsprozess verlangsamen kann. "Es gibt Wege, die eigene Lebenszeit zu verlängern, aber nicht durch solche Infusionen. Die Wirkung ist nicht evidenzbasiert", schränkt Johannes Georg Wechsler aber auch hier ein.

"Dass meine Standeskolleginnen und Kollegen damit Geld verdienen, finde ich problematisch."

Jan Galle, Mediziner, über Vitamin-Infusionen beim Arzt.

Die Infusionen erhält man nicht nur in Drip Bars, sondern auch in einigen Arztpraxen. Ein HNO-Arzt in Berlin Charlottenburg schreibt auf seiner Website, dass er seit zwanzig Jahren erfolgreich mit Infusionstherapie arbeite. Seine Cocktails würden bei einem schwachen Immunsystem, chronischer Erschöpfung, Entzündungen, Schwindel und als Unterstützung bei der Behandlung von Krebs helfen. Jan Galle sieht das kritisch: "Ich fürchte, das ist reine Beutelschneiderei. Und dass meine Standeskolleginnen und Kollegen damit Geld verdienen, finde ich problematisch."

Ab wann wird es gefährlich?

Auf das Motto "Viel hilft viel" sollte man bei einigen der Vitamin-Infusionen zudem besser verzichten. Denn die Zufuhr einiger Vitamine kann, wenn überdosiert, gefährlich werden - insbesondere wenn zuvor keine tiefgreifende Anamnese gemacht wurde. Das bestätigen auch die Mediziner Galle und Wechsler.

Die US-Behörde für Gesundheitsprävention rät beispielsweise "explizit von der Einnahme von Vitamin E in höheren Konzentrationen ab" berichtet der SWR. Das könne das Risiko für Schlaganfälle erhöhen. Fettlösliche Vitamine wie Vitamin A, D, K und E können gefährlich werden, wenn sie im Übermaß zu sich genommen werden.

Problematisch ist auch, dass häufig nicht ersichtlich wird, was genau in den Infusionen enthalten ist. Einige Anbieter haben genaue Mengenangaben auf ihrer Website, sodass Nutzerinnen und Nutzer sich informieren können. Andere Websites wiederum belassen es bei eher schwammigen Umschreibungen.

Das Problem verdeutlichte schon ein Beitrag von "Quarks" im WDR aus dem Jahr 2020. Hier ließ sich eine Reporterin beim Arzt eine Infusion legen. Die Inhaltsstoffe des Infusionsbeutels: Perfalgan mit dem Wirkstoff Paracetamol – normalerweise benutzt, um Schmerzen zu lindern und Fieber zu senken. Eine konkrete und ausführliche Aufklärung hatte nicht stattgefunden.

Schaut man sich auf Social Media oder in Google-Rezensionen um, sind viele aber voll des Lobes: "Ich war zum ersten Mal 'drippen'" schreibt eine Nutzerin bei Google. Sie habe mit voller Energie in den Tag gestartet und auch danach immer noch ein "unfassbar gutes Gefühl" gehabt: "Der Drip hat sein Versprechen gehalten". Auch auf Instagram zeigen sich viele mit einem seligen Lächeln auf den Lippen neben ihren Infusionsständern und versprechen, wiederzukommen.

"Darauf ein Geschäftsmodell aufzubauen, ist fragwürdig."

Jan Galle, Mediziner

Dass sich viele Menschen nach den Vitamin-Infusionen besser fühlen, dafür hat Jan Galle eine einfache Erklärung: "Der Placebo-Effekt ist unglaublich stark, Sie glauben gar nicht, was man damit alles erreichen kann. Aber darauf ein Geschäftsmodell aufzubauen, ist fragwürdig."

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Jan Galle ist Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren am Klinikum Lüdenscheid und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.
  • Prof. Dr. Johannes Wechsler ist Ehrenpräsident des Berufsverbandes Deutscher Ernährungsmediziner und Ernährungsmedizinerinnen e.V. und Arzt für Innere Medizin.

Redaktionelle Hinweise

  • Wir haben für diesen Artikel zwei Drip Bars angefragt. Jedoch blieben unsere Anfragen entweder unbeantwortet oder ein Gespräch wurde abgelehnt.
  • Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine persönliche Beratung und Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt.

Verwendete Quellen:

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