• Ob im Bierzelt, vor Fahrgeschäften oder in der Schlange an der Bratwurstbude: Auf dem Münchner Oktoberfest herrscht ständig Gedränge und Erreger haben leichtes Spiel.
  • Sowohl Mediziner als auch der Sanitätsdienst blicken dennoch entspannt auf die erste Wiesn nach zwei Jahren Corona-Pause, die am 17. September startet.

Mehr Gesundheitsthemen finden Sie hier

Ein paar Tage nach dem Wiesnstart begann in München regelmäßig das Gehuste: Wiesn-Grippe. Das war immer so, das gehörte dazu. Dann kam Coronaund jetzt auch noch die Affenpocken. Seit der letzten Wiesn 2019 hat sich die Welt verändert. Millionen Gäste aus aller Welt werden nun erstmals nach zwei abgesagten Oktoberfesten wieder in München erwartet – und mit ihnen auch diverse Erreger.

"Wir wissen seit Langem, dass die erste Welle der grippalen Erkrankungen im Herbst sehr stark mit der Wiesn zusammenhängt", sagte kürzlich Johannes Bogner, Leiter der Sektion Klinische Infektiologie am LMU-Klinikum der Universität München. Das Phänomen sei seit über 100 Jahren bekannt. "Die erste Herbstgrippe, die holt man sich auf dem Oktoberfest."

Wiesn 2022, Oktoberfest, München, Ansteckungsgefahr
Dieses Jahr findet das Oktoberfest wieder statt und begrüßt die Besucher nach zweijähriger Corona-Pause mit neuem Schriftzug.

Coronavirus: Experte rechnet mit Wiesn-Welle

Ärzte registrieren folglich erhöhte Zahlen von grippalen Infekten – und zwar früher als in anderen Teilen des Landes. Für die Influenza ist das Volksfest hingegen fast zu früh, denn die "echte" Grippe grassiert meist erst nach dem Jahreswechsel bis in den März hinein.

Und Corona? Dass es eine Wiesn-Welle geben wird, daran zweifeln Mediziner nicht. "Natürlich wird es dazu führen, dass eine Erhöhung der Fallzahlen auftreten wird", sagte Bogner. Auch der Pandemie-Beauftragte des Klinikums Rechts der Isar der TU München, Christoph Spinner, hat klargestellt: "Für diejenigen, die auf die Wiesn gehen: Die Übertragungswahrscheinlichkeit dort ist hoch."

Mediziner sehen keinen Grund für Absage

In der Vergangenheit zeigte sich bereits mehrfach, dass nach Volksfesten die Infektionszahlen nach oben schnellten. Zuletzt stiegen die Inzidenzen nach dem Ende des Straubinger Gäubodenvolksfestes: Straubing wies am Montag – zwei Wochen nach Ende des Festes – laut Robert Koch-Institut (RKI) mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 667,9 bundesweit deutlich den höchsten Wert auf, an zweiter Stelle folgte der Landkreis Straubing-Bogen mit 650,6.

Trotzdem sehen auch Mediziner keinen Grund, das größte Volksfest der Welt abzusagen, das wegen seiner Internationalität noch eine größere Verbreitungswirkung haben könnte. "Wir brauchen wieder mehr Normalität und können uns das auch leisten", sagt Bogner. Allerdings sei das Oktoberfest nicht "normal", sondern seit jeher ein Ausnahmezustand. "Schon wegen der Menschenmassen, die dort zusammenkommen, ist es natürlich ein Ort, an dem Infektionskrankheiten grassieren können."

Die Wiesn hat Pandemie-Geschichte

Nicht umsonst waren zur Eindämmung der Corona-Pandemie Veranstaltungen mit größeren Menschenmengen verboten. Auch vor fast 170 Jahren wurde die Wiesn wegen einer Pandemie abgesagt. Obwohl die Cholera in der Welt wütete, hatte zuvor in München am 5. Juli 1854 die erste deutsche Industrie-Ausstellung geöffnet. Um sie nicht zu gefährden, wurde die Gefahr eines Cholera-Ausbruchs als Gerücht dargestellt. Die Schau wurde an einzelnen Tagen von 5.000 und mehr Menschen besucht. Gleich am ersten Tag brach die Krankheit aus – obwohl die Ansteckung in der Regel nicht von Mensch zu Mensch erfolgt, sondern über kontaminiertes Wasser und Nahrungsmittel.

Der Seuche fiel im Oktober auch die Frau Ludwigs I., Therese, zum Opfer, zu deren Hochzeit 44 Jahre zuvor die Wiesn zum ersten Mal stattfand und nach der die Theresienwiese benannt ist. 1873 wurde die Wiesn erneut wegen der Cholera abgesagt.

Heute droht nicht die Cholera, aber neben Corona kursieren auch die Affenpocken. Gesundheitsexperten sind sich dennoch einig: Die Affenpockengefahr ist auf dem Volksfest gering, wenn man sich nicht sehr nahe kommt: Die überwiegende Mehrheit aller Infektionen trat bisher nach sexuellen Kontakten auf. Ein gewisses Risiko birgt die Wiesn durch ihre meist bierbedingte Enthemmung schon.

Bei Erbrechen ist meist kein Virus schuld – sondern Alkohol

Trotz dicht gedrängter Massen wurden jenseits der Wiesn-Grippe Infektionserreger bisher offenbar eher selten ausgetauscht. Magen-Darm-Erkrankungen, Herpes, Krätze, Läuse – all das spielte zumindest keine größere Rolle. Erbrechen ist zwar ein typisches Wiesn-Phänomen, aber meist als Folge übermäßigen Alkoholgenusses.

Es gebe immer mal Patienten, die sich mit Durchfall und Erbrechen auf der Sanitätsstation meldeten, sagt Michel Belcijan, Betriebsleiter der Aicher Ambulanz, die seit einigen Jahren den Wiesn-Sanitätsdienst betreibt. Vor allem, wenn mehrere Gäste betroffen waren, sei man alarmiert und denke etwa auch an das Norovirus, einen typischen Durchfallerreger. Bei Verdacht auf eine Infektionskrankheit würden die Patienten isoliert, medizinisch behandelt und der Fall den Behörden gemeldet. Aber: "Einen 'Ausbruch' während der letzten Veranstaltungen, die wir sanitätsdienstlich betreut haben, gab es nicht."

Corona-Auflagen beim Sanitätsdienst

Das "Hauptgeschäft" für die Wiesn-Ärzte, aber auch für umliegende Kliniken, sind Verletzungen durch Schlägereien oder Maßkrugscherben und Alkoholräusche. Vereinzelt gibt es auch andere Erkrankungen – etwa Schlaganfälle und Herzinfarkte. "Alles das, was in einer mittelgroßen Stadt passiert – und das ist die Wiesn mit ihrer täglich sechsstelligen Besucherzahl – passiert auch hier", sagt Belcijan.

Das Aicher-Team bereitet sich derzeit auf die Wiesn vor – und plant auch Corona-Maßnahmen. Voraussichtlich werde für die Mitarbeitenden der Sanitätsstation eine FFP-2-Masken-Pflicht gelten, von Patienten und Patientinnen werde wahrscheinlich das Tragen einer medizinischen Maske verlangt. Regelmäßige Händedesinfektion und Lüftung seien generell Standard. (dpa/mcf)

Söder: "Mich wundern die überdrehten Botschaften von Herrn Lauterbach"

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist für markige Sprüche bekannt. Doch dieser wird nicht bei allen gleich gut ankommen. Der 55-jährige CSU-Politiker will das Oktoberfest in München ohne Mund-Nase-Schutz aufsuchen.
Teaserbild: © IMAGO/Future Image/IMAGO/Steffi Adam