- Nach dem Einsturz tausender Gebäude in den türkischen Erdbebengebieten hat die Polizei zwölf Bauunternehmer festgenommen.
- Die Männer kommen aus den Provinzen Gaziantep und Sanliurfa.
- Unterdessen steigt die Zahl der Opfer weiterhin an, Präsident Erdogan sprach am Samstag von insgesamt über 25.000 Toten.
Nach dem Einsturz Tausender Gebäude in den türkischen Erdbebengebieten hat die Polizei rund zwölf mutmaßliche Verantwortliche festgenommen. Zu den am Samstag Festgenommenen zählten mehrere Bauunternehmer aus den Provinzen Gaziantep und Sanliurfa, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA berichtete. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu erließ der Staatsanwalt der ebenfalls von dem Beben betroffenen Provinz Diyarbakir am Samstag 29 weitere Haftbefehle. In weiteren Provinzen wurden Ermittlungen eingeleitet.
Bei dem verheerenden Erdbeben am frühen Montagmorgen im türkisch-syrischen Grenzgebiet kamen nach jüngsten Angaben knapp 25.900 Menschen ums Leben, darunter allein über 22.300 in der Türkei.
Viele Menschen machen die schlechte Bauqualität für den Einsturz von Tausenden Gebäuden in den türkischen Provinzen verantwortlich. Das türkische Justizministerium wies die Staatsanwaltschaft in den zehn betroffenen Provinzen an, spezielle Ämter zur Untersuchung von "Vergehen in Verbindung mit dem Erdbeben" einzurichten.
Erdogan: Zahl der türkischen Todesopfer liegt bei knapp 22.000
Wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einem am Samstag im Fernsehen übertragenen Auftritt in der Provinz Sanliurfa sagte, liegt die Zahl allein für die Türkei nun bei 21.848. Aus Syrien wurden zuletzt 3.553 Tote gemeldet.
Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Überlebende dürfte es unter den tonnenschweren Trümmerhaufen eingestürzter Gebäude nur noch wenige geben. Da Menschen im Regelfall kaum länger als drei Tage ohne Wasser überleben können und die Vermisstenzahlen noch immer sehr hoch sind, ist zu befürchten, dass die Opferzahlen noch drastisch steigen werden.
Chef der Weltgesundheitsorganisation in Aleppo angekommen
Nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, in Syrien eingetroffen. Er landete Samstagmittag am Flughafen der besonders schwer getroffenen Stadt Aleppo, wie die Staatsagentur Sana meldete. Danach besuchte er Krankenhäuser und Notunterkünfte, um sich ein Bild der Lage zu machen. Er habe zudem 35 Tonnen medizinischer Ausrüstung für die Erdbebenopfer mitgebracht. Ein weiteres Flugzeug mit medizinischem Gut soll demnach innerhalb der nächsten zwei Tage im Land eintreffen.
Auch UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths wurde nach UN-Angaben in Aleppo erwartet - seine Ankunft verzögerte sich jedoch zunächst.
Aleppo liegt im Nordwesten Syriens und wird von der Regierung in Damaskus kontrolliert. Ob Tedros auch Rebellen-Gebiete besucht, war zunächst unklar. Die in den Rebellen-Regionen aktive Rettungsorganisation Weißhelme hatte sich bitter über mangelnde UN-Hilfe nach dem Erbeben beklagt.
Die WHO schätzt, dass allein in Aleppo mehr als 200.000 Menschen nach den Erdbeben obdachlos geworden sind. Auch mehrere Krankenhäuser und medizinische Ausrüstung seien von Schäden betroffen. Das Gesundheitssystem des Bürgerkriegslandes sei ohnehin an der Belastungsgrenze.
Nach 100 Stunden unter Trümmern gerettete Frau stirbt in Klinik
Eine Frau, die ein deutsches Rettungsteam nach Tagen im türkischen Erdbebengebiet aus den Trümmern bergen konnte, ist in der Nacht zum Samstag in einem Krankenhaus gestorben. Wie die Hilfsorganisation ISAR Germany mitteilte, berichteten die Angehörigen der 40-Jährigen, die den Vornamen Zeynep trägt, den Rettungskräften über ihren Tod.
"Wir sind wirklich sehr traurig und betroffen", sagte ISAR-Sprecher Stefan Heine der Nachrichtenagentur AFP. "Aber wir sind froh, dass sie durch die Bergung wenigstens noch einmal die Chance hatte, ihre Familie wiederzusehen."
Das Team der deutschen Hilfsorganisation ist seit Dienstag in Kirikhan, einer von dem Beben schwer getroffenen Stadt nahe der syrischen Grenze, und hat dort mit Partnern von ISAR Turkey und der Rettungshundeorganisation BRH Bundesverband mehrere Verschüttete erfolgreich bergen können.
Auf die in Kirikhan mehrere Meter tief verschüttete 40-jährige Frau waren die Helfer am Mittwoch gestoßen, sie lag auf dem Bauch, über ihr die Leiche ihres Mannes. Es gelang den Helfern, über Dolmetscher mit ihr in Kontakt zu bleiben und sie durch einen Schlauch mit Flüssigkeit zu versorgen, während die Rettungskräfte rund 50 Stunden lang mit Aufbruchhämmern Trümmer abtrugen.
Am Freitagmittag konnte sie nach mehr als 100 Stunden unter den Trümmern geborgen, medizinisch versorgt und von Familienmitgliedern begleitet in ein Krankenhaus gebracht werden.
Noch immer werden Menschen aus den Trümmern gerettet
Und doch gibt es sie noch: berührende Einzelschicksale, die nimmermüden Rettungskräften und verzweifelten Angehörigen Hoffnung machen. So zogen Helfer in Kahramanmaras 112 Stunden nach dem Beben einen 46 Jahre alten Mann aus der Ruine eines siebenstöckigen Gebäudes, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.
In der Provinz Gaziantep wurde eine verschüttete Schwangere nach 115 bangen Stunden vor dem Tod bewahrt. Ebenfalls in Gaziantep bargen Retter ein neunjähriges Mädchen nach 108 Stunden aus dem Schutt - für ihre beiden Eltern und ihre Schwester kam jedoch jede Hilfe zu spät.
"Deutschland trauert mit den Menschen in Türkiye", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in das Kondolenzbuch in der türkischen Botschaft in Berlin, wie er über Twitter mitteilte. "Wir werden jede mögliche Unterstützung leisten, um in diesen schweren Stunden zu helfen."
Nach Angaben des türkischen Vize-Präsidenten Fuat Oktay sind inzwischen mehr als eine Million Menschen in Behelfsunterkünften untergebracht. Rund 160.000 Such- und Rettungskräfte seien im Einsatz, teilte die Katastrophenschutzbehörde Afad mit. Aus dem Ausland seien mehr als 7.700 Helfer ins Erdbebengebiet geschickt worden.
Erdbeben-Betroffene sollen leichter zu Verwandten in Deutschland reisen können
Bundesagrarminister Cem Özdemir sprach sich für rasche Einreise-Erleichterungen aus, damit Betroffene des Erdbebens zu Angehörigen nach Deutschland kommen können. "Viele Menschen in Deutschland haben Verwandte in der Katastrophenregion und sorgen sich verzweifelt um sie", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
Die Bundesregierung hatte eine "pragmatische Lösung" bei der Visa-Vergabe an Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Aussicht gestellt.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte am Freitag an, vom Erdbeben betroffenen Menschen mit Verwandten in der Hauptstadt die Einreise nach Deutschland zu erleichtern. Sie sollen schneller als sonst das nötige Visum erhalten können.
Dazu erließ die Berliner Senatsinnenverwaltung eine sogenannte Globalzustimmung, die sonst erforderliche Beteiligung des Berliner Landesamts für Einwanderung entfällt. Auf den Nachweis von Deutschkenntnissen werde verzichtet, hieß es.
Die Regelung betreffe nahe Angehörige wie minderjährige Kinder sowie Ehepartner und -partnerinnen. Die Beschleunigung der Visa-Erteilung gilt demnach bis zum 31. Juli 2023. (dpa/afp/thp/spl/cgo)

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