• Fast eine Woche ist seit den verheerenden Erdbeben vergangen.
  • Inzwischen wurden über 35.000 Todesopfer bestätigt.
  • Nach Schätzungen der UN könnte die Zahl der Todesopfer noch auf 50.000 oder mehr steigen.

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Fast eine Woche nach der Erdbeben-Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten auf mehr als 35.000 gestiegen. Alleine in der Türkei liege die Zahl bei 29.605, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Aus Syrien wurden zuletzt 5.900 Tote gemeldet.

Türkei: Junge und Frau lebend aus Trümmern gerettet

Sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien haben Einsatzkräfte aus El Salvador zusammen mit einheimischen Helfern im Süden der Türkei einen kleinen Jungen und eine junge Frau lebend aus den Trümmern geborgen. Der etwa fünfjährige Junge und die etwa 30 Jahre alte Frau seien mehr als 150 Stunden unter einem eingestürzten Gebäude eingeschlossen gewesen, teilte der salvadorianische Präsident Nayib Bukele am Sonntag im Onlinedienst Twitter mit. Der Junge und die Frau wurden nach ihrer Rettung in ein Krankenhaus eingeliefert.

El Salvador hatte nach dem Erdbeben ein 100-köpfiges Hilfsteam sowie mehrere Rettungshunde in die Türkei entsandt.

UNO: Zahl der Toten kann sich "verdoppeln oder mehr"

UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte am Samstag bei einem Besuch im Erdbebengebiet in der Türkei im Sender Sky News, eine genaue Schätzung der Verstorbenen sei nach wie vor schwierig. Die Opferzahl von rund 30.000 Toten werde sich aber sicherlich noch "verdoppeln oder mehr". Griffiths übte zugleich scharfe Kritik am internationalen "Versagen" bei der Hilfe für die Erdbebenopfer im Bürgerkriegsland Syrien. "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", schrieb er am Sonntag auf Twitter. Ein UNO-Konvoi mit zehn Lastwagen hatte Syrien am Donnerstag aus der Türkei erreicht, doch ist laut Griffiths viel mehr Hilfe nötig. 5,3 Millionen Menschen könnten in Syrien durch das Beben obdachlos geworden sein.

Hilfslieferung in die syrische Provinz Idlib blockiert

Erschwert wird die Hilfe durch die Sicherheitslage im Bürgerkriegsland. Eine geplante Lieferung von Hilfsgütern aus Regierungsgebieten in die Provinz Idlib sei gestoppt worden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen am Sonntag. Die vom Syrischen Roten Halbmond zur Verfügung gestellten Güter sollten demnach über den Ort Sarakib nach Idlib geliefert werden. Aktivisten zufolge blockierte die Miliz HTS, die das Gebiet dominiert, diese Lieferung dann aber.

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus berichtete indes, dass der syrische Machthaber Bashar al-Assad die Öffnung weiterer Grenzübergänge für Hilfslieferungen in die Rebellengebiete erwäge. Assad habe seine Bereitschaft angedeutet, "zusätzliche grenzüberschreitende Zugangspunkte für diesen Notfall in Betracht zu ziehen", sagte Tedros nach einem Treffen mit Assad am Sonntag in Damaskus.

Schwierige Sicherheitslage für die Helfer in der Türkei

Die schwierige Sicherheitslage an Ort und Stelle verlangsamte die Rettungsaktion verschiedener Hilfsgruppen am Samstag zusätzlich. Die österreichischen Soldaten und Soldatinnen - wie auch deutsche und ungarische Helfer - mussten ihren Einsatz zeitweise unterbrechen, weil die Arbeit zu gefährlich geworden war. Zunehmende Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei - Schusswechsel inklusive - hätte diese Entscheidung notwendig gemacht.

Zwischenzeitlich konnten die Österreicher ihre Arbeiten wieder aufnehmen. "Die türkischen Sicherheitskräfte schaffen uns ein sicheres Umfeld", sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis Sonntagvormittag der APA. Am Samstag seien die Helfer ab dem Nachmittag noch bei zwei Einsätzen zum Teil bis in die Nacht aktiv gewesen, um örtliche Hilfsgruppen zu unterstützen.

Haftbefehle gegen türkische Bauunternehmer erlassen

Der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zu Sonntag, die Staatsanwaltschaften hätten auf Anweisung des Justizministeriums in zehn Provinzen, die von den Erdbeben betroffen waren, Abteilungen für die Untersuchung von Verbrechen im Zusammenhang mit den Erdbeben eingerichtet. Ermittelt worden seien 131 Menschen, die verantwortlich für Gebäude seien, die zusammengestürzt seien. Einer sei verhaftet worden. Gegen 113 weitere sei Haftbefehl erlassen worden.

UN-Nothilfekoordinator rechnet mit 50.000 Toten oder mehr

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen könnte die Zahl der Todesopfer noch auf 50.000 oder mehr steigen. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths zeigte sich bei einem Besuch im Erdbebengebiet Kahramanmaras schockiert: "Die Vorstellung, dass diese Trümmerberge noch immer Menschen enthalten, einige von ihnen noch am Leben, viele tot", sagte Griffiths. Er habe viele Konflikte und Kriege erlebt, aber Zehntausende Menschen in einer Nacht zu verlieren, das habe er bei anderen Konflikten noch nicht gesehen. Griffiths lobte den Einsatz der Rettungskräfte, sowohl von türkischer Seite, als auch von dem der internationalen Retter.

Sieben Monate altes Baby nach 140 Stunden gerettet

Derweil wurde selbst sechs Tage nach dem Beben in türkisch-syrischen Grenzgebiet ein sieben Monate altes Baby in der Südosttürkei aus den Trümmern gerettet. Die Helfer konnten den Jungen in der Provinz Hatay nach 140 Stunden lebend aus den Trümmern bergen, wie der Staatssender TRT berichtete. Sie hätten das Kind weinen gehört und seien so auf es aufmerksam geworden. Ein 35-Jähriger wurde nach Angaben des Senders in derselben Provinz am Sonntagmorgen nach 149 Stunden unter Trümmern gerettet.

Seuchengefahr wächst

Und nun droht auch noch die Gefahr von Krankheiten. "In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen", sagte Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. Die Menschen leiden noch immer unter eisigen Temperaturen. Ein Reporter des Senders CNN Türk sagte, in der Provinz Hatay mangele es an Heizgeräten. Zwar gebe es Zelte, aber diese könnten nicht aufgewärmt werden. Zudem würden mobile Toiletten dringend benötigt.

In den zehn betroffenen Provinzen in der Türkei ist inzwischen ein dreimonatiger Ausnahmezustand in Kraft getreten. Mit dem Ausnahmezustand können laut Nachrichtenagentur Anadolu öffentliche Einrichtungen, Organisationen oder "juristische und natürliche Personen" in der Region dazu verpflichtet werden, unter anderem Ausrüstung, Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge oder Medikamente abzugeben.

WHO fordert mehr Hilfe für die Obdachlosen

Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) muss die Hilfe deutlich ausgeweitet werden. "Wir müssen mit größerer Dringlichkeit und in größerem Umfang handeln und uns besser organisieren", sagte Richard Brennan, der WHO-Nothilfedirektor für die Region Östliches Mittelmeer am Samstag in Aleppo. Die Toten- und Verletztenzahlen seien immens. Was aber oft vernachlässigt werde, seien die vielen Obdachlosen. Allein in Aleppo im von der Regierung kontrollierten Teil Nordwestsyriens haben nach Schätzungen rund 200.000 Menschen das Dach über dem Kopf verloren. Auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus traf am Samstag in Syrien ein.

Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Seither gab es bis Samstag mehr als 2000 Nachbeben in der Region, wie die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad mitteilte. (spl/dpa/afp/cgo)  © dpa

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