- Erst sind sie Bomben und Gewalt entkommen, nun hat eine andere Katastrophe die Millionen Flüchtlinge in der Türkei und Syrien heimgesucht.
- Die Beben treffen sie besonders hart.
Schon vor der Katastrophe haben sie in großem Elend und in großer Not gelebt: die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Erdbebenregion. In Syrien etwa sind UN-Angaben zufolge viele Menschen, die wegen des Kriegs innerhalb des Landes vertrieben worden waren, in baufälligen Unterkünften untergekommen. Nach den Beben haben sie nun auch noch diese verloren - und das bei eisigen Temperaturen.
Nur wenige Informationen dringen derzeit aus dem betroffenen Nordwesten des Bürgerkriegslandes. In einem Punkt sind sich Beobachter und Helfer aber einig: "Die Betroffenen brauchen dringend Unterstützung", sagt etwa Chris Melzer vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Hunderte Leichen werden nach Syrien zurückgeführt
In ganz Syrien gibt es demnach mehr als 6,8 Millionen Binnenvertriebene. Cholera-Ausbrüche, Hunger, schlechte Gesundheitsversorgung - die Liste des menschlichen Leids ist lang. Ein Großteil war deshalb schon vor den Beben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Hilfslieferungen ins Land gestalten sich aber schwierig, weil Syrien inzwischen zersplittert ist in verschiedene Gebiete. Diese werden etwa von der Regierung
Statt Hilfsgütern kam nach den schweren Erdstößen vor einer Woche dann auch erstmal nur eines in das Bürgerkriegsland: Leichen. Hunderte syrische Erdbebenopfer, die in der Türkei Zuflucht vor Bomben und Gewalt gefunden hatten, wurden zur Beisetzung zurück in ihre Heimat gebracht. Die heftigen Erdstöße haben Zehntausenden Menschen in beiden Ländern das Leben gekostet.
Im Erdbebengebiet in der Türkei leben der UN zufolge indes rund 1,7 Millionen Syrer - sie machen dort mehr als zehn Prozent der Bevölkerung aus. Wie viele von ihnen tatsächlich von der Katastrophe betroffen sind, ist derzeit laut UNHCR noch nicht abzusehen. "Aber wir befürchten, dass die Zahl beträchtlich sein könnte, da das Epizentrum des Bebens in der Nähe von Gebieten lag, in denen sich viele Flüchtlinge aufhielten", sagt UNHCR-Sprecher Melzer.
Auch nach Erdbeben: Syrische Flüchtlinge werden in der Türkei angefeindet
Die Türkei hadert schon lange mit den Menschen aus Syrien. Das Land hat nach offiziellen Angaben rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarstaat aufgenommen. Die Regierung sucht aber öffentlichkeitswirksam nach Wegen, um die Menschen in ihre Heimat zurückzuschicken. Viele Politiker wollen damit bei den Wählern punkten.
Auch nach den Beben schlägt den Flüchtlingen in der Türkei Augenzeugenberichten zufolge Feindseligkeit entgegen. Mitarbeiter der Katastrophenschutzbehörde Afad hätten Decken an alle Anwohner in der Stadt Gaziantep verteilt, erzählen Syrer dort der dpa.
Einige Einheimische hätten sich über die Hilfe für sie beschwert: "Diese Hilfsgüter sind für Türken, nicht für Syrer. Syrer sollen keine bekommen", sollen sie demnach geschrien haben. In den sozialen Medien verbreiten sich derweil nicht verifizierte Videos über Plünderungen im türkischen Erdbebengebiet - beschuldigt werden Syrer.
Medien und Augenzeugen berichten derweil aber auch davon, wie Syrer und Türken angesichts der Katastrophe zusammen Opfer bergen und Essen an die Bedürftigen beider Seiten verteilen.
Caritas: Viele Flüchtlinge werden wohl nach Deutschland kommen
Für einige Flüchtlinge haben ihre prekären Lebensumstände während der Beben ausnahmsweise einmal Glück im Unglück bedeutet: Denn zusammenbrechende Zelte sind weit weniger verheerend als einstürzende Häuser. Die Feldlager seien weniger von Schäden der Beben betroffen, heißt es dazu von der Caritas.
Laut UNHCR wohnen aber - zumindest in der Türkei - inzwischen nur noch wenige Flüchtlinge in Zelten. "Die anderen leben in Dörfern und Städten mit ihren türkischen Nachbarn. Deshalb sind sie auch genauso betroffen", sagt Melzer.
Die Caritas geht davon aus, dass viele Flüchtlinge nach der Katastrophe nun zu Angehörigen nach Deutschland kommen wollen. Während die EU ihre Asyl- und Migrationspolitik deutlich verschärfen will, stellt die Bundesregierung vom Erdbeben Betroffenen in der Türkei Erleichterungen der Visavergabe in Aussicht - sofern sich enge Familienangehörige dazu verpflichten, für deren Lebensunterhalt und spätere Ausreise aufzukommen. Wie viele der vulnerabelsten Menschen in der Region damit erreicht werden, ist aber noch völlig offen. (dpa/ari)
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