Für die deutsche Bildungspolitik sind die Ergebnisse der Untersuchung "IGLU 2021" wieder einmal keine gute Neuigkeit: Deutschland liegt nur im Mittelfeld und die Lesekompetenz der Kinder ist zuletzt deutlich gesunken. Das sind die Ergebnisse der aktuellen internationalen Vergleichsstudie, die die Lesefähigkeit von Kindern in der vierten Jahrgangsstufe untersucht hat. Vor allem Kinder aus bildungsarmen Familien schnitten schlecht ab.
Wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) hervorgeht, erreichen 25 Prozent der Kinder in dieser Altersstufe nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre. Dabei geht es darum, den Übergang vom „Lesen lernen“ zum "Lesen um zu lernen" zu bewältigen. Das ist gegeben, wenn ein Kind von fünf Kompetenzstufen mindestens die dritte bewältigt. Bei der letzten Iglu-Erhebung von 2017 lag der Anteil derjenigen, die diese Stufe nicht erreichen, noch bei 19 Prozent.

Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Kindern hoch
Die Autorinnen und Autoren stellen der deutschen Bildungspolitik ein schlechtes Zeugnis aus: Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) vor mehr als 20 Jahren im Zuge des sogenannten Pisa-Schocks formulierten Ziele für die Weiterentwicklung der Bildung in Deutschland seien an vielen Stellen verfehlt worden.
Insbesondere die Leistungsunterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Kindern seien hoch. "In zwanzig Jahren hat sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland praktisch nichts verändert", schlussfolgern die Autorinnen und Autoren der Studie.
Diesen Zusammenhang hat auch die Politik erkannt. Neben der Corona-Pandemie stellt eine "zunehmend heterogene Schülerschaft die Lehrkräfte vor immer größere Herausforderungen", sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Katharina Günther-Wünsch bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Man wolle nun den Fokus auf Armut und Migration legen.
Startchancen-Programm soll mehr Chancengleichheit schaffen
Bundesbildungsministerin
Ein Lösungsansatz des Bildungsministeriums ist das Startchancen-Programm. Etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler sollen Startchancen-Schulen werden. "Dabei wollen wir einen Fokus auf Grundschulen und die Stärkung der Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legen", erklärte Stark-Watzinger (FDP). Bund und Länder sollen so gemeinsam für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg "aufbrechen".
Allerdings sind sich Bund und Länder über die Ausgestaltung des Programms uneins. Der Bund ist grundsätzlich bereit, für die nächsten zehn Jahre eine Milliarde pro Jahr zu investieren, wenn die Länder das auch tun. Außerdem fordert die Bildungsministerin, dass das Geld gezielt dorthin geht, wo der Bedarf am größten ist, gemessen beispielsweise an der Quote von Kindern, die von Transferleistungen leben.
Die Länder stehen einer Mitfinanzierung des Startchancen-Programms skeptisch gegenüber. Außerdem möchten sie, dass 95 Prozent der Mittel nach Königsteiner Schlüssel verteilt werden. Somit bekämen Länder mit hoher Wirtschaftskraft und vielen Einwohnern viel Förderung. Weil damit aber nicht bevorzugt Brennpunktschulen erreicht würden, appellierte Günther-Wünsch an die Länder, auf den Königssteiner Schlüssel zu verzichten.
Ein weiteres Ergebnis der Iglu-Studie ist, dass im internationalen Vergleich Grundschüler in Deutschland bei der Lesekompetenz schlechter abschneiden als Gleichaltrige in vielen anderen Ländern. Die Befunde reihen sich ein in die anderer Bildungsstudien. Erst im vergangenen Jahr hatte der IQB-Bildungstrend, eine ebenfalls regelmäßige Test-Reihe unter Viertklässlern, gezeigt, dass diese in den sogenannten Basiskompetenzen in Mathe und Deutsch in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefallen sind.
Singapur belegt Platz 1
Bei der Auswertung der Lese-Ergebnisse wurden für die Länder Punktwerte vergeben. Den Spitzenplatz belegt Singapur mit 587, ganz hinten steht Südafrika mit 288 Punkten. Die Viertklässler in Deutschland landen mit 524 Punkten im internationalen Lese-Vergleich im Mittelfeld, etwa im EU- und OECD-Schnitt.
Länder wie Spanien, Frankreich oder Belgien schneiden schlechter ab. Weit besser als in Deutschland sind die Lese-Leistungen dagegen zum Beispiel in England oder Polen.
In Singapur werden mit Beginn der 1. Klasse Tests zur Lesefähigkeit durchgeführt. 12 bis 14 Prozent der dortigen Kinder erhielten dadurch eine Förderung am Beginn ihrer Bildungslaufbahn, erklärte die Lese-Studienleiterin Nele McElvany von der TU Dortmund. "Das soll in unseren Schulen auch systematisch eingeführt werden", sagte Günther-Wünsch von der Kultusministerkonferenz.
Lichtblick: Deutsche Kinder gehen gern zur Schule
Der deutsche Punktwert sank nach anfänglicher Verbesserung Mitte der 2000er-Jahre nun zum dritten Mal in Folge auf einen Tiefstand. Länder wie Russland oder Slowenien konnten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich verbessern. „In Deutschland, den Niederlanden und Schweden zeigt sich hingegen eine problematische Entwicklung“, heißt es in dem Bericht.
Ein positiver Befund ist, dass die Kinder im Mittel mit ihrer Schule zufrieden sind und gern dorthin gehen.
Verwendete Quellen:
- Bundespressekonferenz am 16. Mai