• Nur jeder fünfte Ausländer ohne Bleiberecht wurde im vergangenen Jahr aus der Europäischen Union abgeschoben.
  • Dabei bemühen sich die Europäer schon seit Jahren, diese Quote zu steigern.
  • Nach der Messerattacke in Schleswig-Holstein ist das Thema auch in Deutschland verstärkt in der Diskussion.

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Die Europäische Union unternimmt einen neuen Anlauf, damit mehr ausreisepflichtige Ausländer in ihre Heimat abgeschoben werden. "Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können", sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Donnerstag bei einem Treffen mit den EU-Innenministern in Stockholm.

Die EU versucht schon seit Jahren, mehr Ausländer ohne Bleiberecht abzuschieben, kommt aber kaum voran. 2021 befand der Europäische Rechnungshof, das bestehende System sei in hohem Maße ineffizient und bewirke "das Gegenteil dessen, was es eigentlich soll: Statt abzuschrecken, leistet es illegaler Migration Vorschub".

Faeser zu Messerattacke: "Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war?"

In Deutschland hat das Thema durch die Messerattacke in Schleswig-Holstein eine aktuelle Dringlichkeit bekommen. In einem Zug von Kiel nach Hamburg waren am Mittwoch eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger getötet sowie fünf weitere Reisende teils schwer verletzt worden.

Der 33-jährige Tatverdächtige war erst vor wenigen Tagen auf Beschluss des Landgerichts Hamburg aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft saß. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Donnerstag in Brokstedt: "Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war?"

Ampel-Koalition kündigte "Rückführungsoffensive" an

2019 lag die Quote ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verließen, bei 29 Prozent. 2021 waren es - wohl auch coronabedingt - nur 21 Prozent. Dabei hatte die EU-Kommission noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen. Auch die Ampel-Koalition in Deutschland aus SPD, Grünen und FDP kündigte im Koalitionsvertrag eine "Rückführungsoffensive" an.

Mehr Rückführungen wären aus Sicht vieler EU-Staaten auch deshalb wichtig, weil die Asylsysteme vieler Länder überlastet sind. Die Zahl der Asylanträge stieg im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent auf 924.000. Viele Menschen hätten kein Recht auf internationalen Schutz und überlasteten die Aufnahmekapazitäten, sagte EU-Kommissarin Johansson. Hinzu kommen die rund vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in der EU kein Asyl beantragen müssen.

Für die schwedische EU-Ratspräsidentschaft ist die Visapolitik ein Schlüsselinstrument. Artikel 25a des Visakodex könne "eines der wichtigsten Instrumente sein, um die Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Rückkehr und Rückübernahme zu verbessern", heißt es in einem Papier zu dem Treffen. Dies könnte bedeuten, dass die Bearbeitung von Visa aus bestimmten Ländern deutlich länger dauert oder Gebühren angehoben werden. Als Länder, mit denen die Zusammenarbeit schwierig ist, gelten etwa Marokko, Tunesien und Algerien.

Faeser zeigt sich skeptisch

Auch Johansson betonte, dass der Visa-Hebel funktioniere. Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssten gemeinsam handeln, um Druck auf Drittstaaten auszuüben. Zudem solle häufiger die Grenzschutztruppe Frontex für Abschiebeflüge eingespannt werden. Andere Druckmittel auf Drittstaaten könnten Handelsbeziehungen und Entwicklungshilfe sein. Österreichs Minister Gerhard Karner forderte erneut, dass die Kommission Zäune an den EU-Außengrenzen finanziert.

Tatsächlich hat die EU-Kommission bislang nur für vier Länder vorgeschlagen, den Visa-Hebel anzuwenden: Bangladesch, Irak, Gambia und Senegal. Die EU-Staaten wiederum haben den Vorschlag allein für Gambia angenommen. Aus der EU-Kommission heißt es, der Sinn von Artikel 25a sei nicht seine Anwendung - sondern die Drohung damit.

Faeser äußerte sich skeptisch. "Ich bin damit zurückhaltend. Ich glaube, dass der Weg über Migrationsabkommen der bessere ist." Die Idee dahinter ist: Die EU erleichtert die legale Migration aus einem anderen Land. Im "Tausch" dagegen erleichtert dieses Land die Wiederaufnahme von abgeschobenen Staatsbürgern. Deutschland hat dazu mit Indien eine Vereinbarung getroffen. Weitere sollen folgen. Faeser will dazu im Frühjahr mit ihrem französischen Kollegen Gérald Darmanin nach Nordafrika reisen.

Bislang hat die SPD-Politikerin auf dem Gebiet der Rückführungen nur wenig Fortschritt vorzuweisen. 2022 wurden 12.945 Menschen aus Deutschland abgeschoben. 2019 waren es noch mehr als 22.000. Für Faeser ist das Thema auch deshalb schwierig, weil es zu einem Großteil in der Verantwortung der Bundesländer liegt.

Weniger sichere Herkunftsländer

Außerdem ist die Zahl der Herkunftsländer gestiegen, in die wegen massiver Menschenrechtsverletzungen oder aus anderen Gründen aktuell nicht oder nur sehr eingeschränkt abgeschoben werden kann. In Afghanistan etwa haben wieder die militant-islamistischen Taliban das Sagen. Auch der Iran, wo derzeit Demonstranten hingerichtet werden, ist kein Land, in das man Menschen zurückschickt.

Die politische Verantwortung dafür, dass Deutschland beim Thema Abschiebungen vorankommt, teilt Faeser bald mit dem neuen Sonderbevollmächtigten für Migrationsfragen, Joachim Stamp (FDP). Der frühere NRW-Integrationsminister tritt sein Amt am 1. Februar an. (dpa/fab)