• Mehrere Tausend Menschen haben sich am vergangenen Samstag in Berlin hinter das umstrittene Friedensmanifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gestellt.
  • Für viele Demonstrierende sind die Übeltäter im Ukraine-Krieg nicht in Russland zu suchen – sondern in den USA und Deutschland.
  • Der Konfliktmanager Wolfgang Sporrer hält einen Verzicht auf Waffenlieferungen zwar für die "falsche Medizin". Er sagt aber auch: In diesem Krieg wird "viel zu wenig verhandelt".
Jan-Henrik Hnida
Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Jan-Henrik Hnida. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Wir wollen uns das mal angucken. Da wurde ja so viel drüber berichtet", sagt die Seniorin, während sie zusammen mit ihrer Freundin Richtung Brandenburger Tor geht. Es ist Samstagmittag (25. Februar) in Berlin, ein Tag nach dem Jahrestag an den Überfall Russlands auf die Ukraine. Tausende strömen zur Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Die Linke-Politikerin und die Frauenrechtlerin wollen ihre Forderungen aus ihrem umstrittenen "Manifest für Frieden" untermauern.

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"Das Kämpfen und Töten muss aufhören. Wir brauchen Frieden", meinen die älteren Frauen. Doch in der Frage, ob das ohne weitere Waffenlieferungen für die Ukraine geschehen soll, sind sich beide uneins.

Die eine sieht in den Waffenlieferungen den Schlüssel zum Frieden, die andere den Untergang für die Ukraine. Viele der älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer könnten mit ihren Friedenstauben-Flaggen schon bei den Friedensdemos in den 1980ern dabei gewesen sein. Auch Familien sind zu sehen.

Demonstranten stehen bei der "Friedenskundgebung" am Brandenburger Tor.

Es dominieren Peace-Zeichen, Friedenstauben und Karl-Marx-Köpfe

Sah man am Jahrestag des Kriegsbeginns ein Meer an blau-gelben Fahnen, dominieren am Samstag Peace-Zeichen, Friedenstauben und Karl-Marx-Köpfe die Szenerie.

"Eine Abgrenzung nach rechts wäre schön gewesen. Trotzdem soll hier doch jeder demonstrieren dürfen, der für Frieden ist", meint ein Vater, mit seinem Sohn an der Hand. Eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU hält er für falsch, wegen der hohen Korruption im Land.

Auf der Bühne fordert Wagenknecht, die "Eskalation der Waffenlieferungen" zu stoppen. Davor recken einige Schildern mit der Aufschrift "Waffen für US-Kriege ist wie impfen gegen Corona", "Grüne an die Front" oder "Wir kollaborieren nicht mit Nazis aus USA und Ukraine" in die Höhe. Der Übeltäter ist für die Menschen hier offensichtlich nicht Russland.

Vielen Demonstranten scheint es auch um den Protest gegen die Regierung zu gehen. "Ich liebe mein Land, aber schäme mich für diese Regierung" steht auf dem Rücken einer Demonstrantin. Ins gleiche Horn stößt Wagenknecht auf der Bühne. "Wir sind auch hier, weil wir uns von der Regierung nicht vertreten fühlen." Und für den Baerbock-Vergleich eines "Elefanten, der über die internationale Bühne trampelt" erntet sie ordentlich Buhrufe.

Tönte es am Freitag "Slava Ukraini" ("Ruhm der Ukraine") von vielen ukrainischen Menschen, so ist es einen Tag später "Ami go home". Und Applaus für Verhandlungen mit Russland. Den lautesten Jubel erhält die Politikerin für ihren Satz "Von jetzt sind wir eine laute Stimme und fangen an uns zu organisieren."

Keine Neonazis und Reichsbürger - und die AfD?

Im Vorfeld hatte es massive Kritik am Manifest gegeben. Diese bezeichnet die Linken-Politikerin als "Hysterie" und als "Unterstellungen". "Seit wann ist der Ruf nach Frieden rechts und der nach Krieg links?", ruft sie. Selbstverständlich hätten Neonazis und Reichsbürger auf der Kundgebung nichts zu suchen. "Aber jeder, der ehrlichen Herzens für Frieden ist, ist hier willkommen." Ob sie damit auch AfD-Anhänger meint, lässt sie offen.

Führende AfD-Politiker wie Parteichef Tino Chrupalla unterzeichneten jedenfalls das Manifest und warben für die Teilnahme an der Kundgebung. Und mit "Ich bitte Sie, kommen Sie zu uns" lädt der rechtsradikale Politiker Björn Höcke laut dem Spiegel Sahra Wagenknecht in die AfD ein. Eine Reaktion der Links-Politikerin ist bislang nicht bekannt. Neben mehreren AfD-Politikern soll auch der Herausgeber des rechten "Compact-Magazins", Jürgen Elsässer, vor Ort gewesen sein, wie das ZDF berichtete.

Eine neue Friedensbewegung also? 670.000 sollen laut Wagenknecht das Manifest mittlerweile unterzeichnet haben. Die nach Polizeiangaben 13.000 Menschen am Brandenburger Tor erscheinen für eine Bewegung dagegen etwas mager.

Sorgen die Forderungen wirklich für Frieden?

Von der Unzufriedenheit mit der Politik einmal abgesehen – wie steht es überhaupt um die inhaltlichen Forderungen des Friedensmanifestes? Sorgen sie für Frieden?

"Ich habe nicht unterschrieben, weil das Manifest die Einstellung von Waffenlieferungen fordert", sagt Wolfgang Sporrer unserer Redaktion. Der Konfliktmanager lehrt an der Hertie School in Berlin. Ohne weitere Waffen würde die Ukraine den Krieg schnell verlieren. "Das wäre katastrophal für die Ukraine und die europäische Sicherheitsordnung."

Das Friedensmanifest sei "gut gemeint, aber schlecht gemacht". Die Diagnose, so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand zu kommen, bezeichnet er als "ehrenhaft". Nur sei die "Medizin", der Liefer-Stopp von Panzern und Co. die falsche.

Circa 13.000 Teilnehmer sollen laut Polizei an der Friedenskundgebung teilgenommen haben.

Der Westen trägt keine Mitschuld am Krieg

Für naiv und uninformiert hält Sporer die Aussagen im Manifest, in denen dem Westen eine große Mitschuld am Krieg gegeben wird. Dagegen sieht er die Warnung vor einem dritten Weltkrieg und vor Atomwaffen als wichtig an. "In der Situation, in der sich Putin aktuell befindet, halte ich gar nichts für ausgeschlossen." Das Kleinreden eines Atomschlags nennt er "höchst unverantwortlich".

Der Konfliktmanager weist darauf hin, dass "viel zu wenig verhandelt" werde. Nur über Getreidelieferungen und Gefangenenaustausche zu sprechen, reiche nicht. "Mit der Schaffung einer Verhandlungsplattform könnte man beispielsweise über das Atomkraftwerk Saporischschja, über Schutzzonen um Krankenhäuser, Schulen etc. verhandeln." Dies müsse ohne Vorbedingungen geschehen, denn strategische Waffenstillstände stellten Russland und Ukrainer vor unmögliche Bedingungen.

Sporrer sieht drei Vorteile einer solchen Verhandlungsplattform, mit dem Westen als Beobachter: Ohne jegliche Kosten würde es "große, humanitäre Gewinne" bringen. Die beiden Kriegsparteien könnten anfangen, sich wieder zu vertrauen. Und Eskalationen könnten frühestmöglich vermieden werden.

Klares Ziel ist für Lieferungen von Waffen wichtig

Bei den Lieferungen von Waffen sei es wichtig, das Ziel klar zu formulieren und im Blick zu haben. "Aus dieser Position der Stärke muss die Ukraine in Verhandlungen mit Russland treten", meint der Experte. Beide Seiten müssten die Einsicht haben, dass sie den Krieg nicht gewinnen können. Doch dieses "Gefühl einer Pattsituation" auf dem Schlachtfeld sieht Sporrer noch nicht erreicht.

Eine Rolle als Vermittler sieht er bei den Vereinten Nationen (UNO) oder der OSZE. "Diese Organisationen kann man wie ein Mäntelchen hochverdienten Personen umhängen, um in eine Rolle als Mediator zu steigen." Diese Persönlichkeiten gibt es, ist Sporrer überzeugt.

Er selbst war als Chef-Mediator bei den Minsker Verhandlungen dabei. Das Friedensabkommen sollte ein Ende des seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschenden Kriegs und eine politische Beilegung des Konflikts bringen. 2015 trafen sich die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine in Minsk, um über Frieden zu verhandeln. Die Kämpfe gingen jedoch weiter.

Als Vermittler keine Ergebnisse vorgeben

Von "gescheiterten Verhandlungen" will Sporrer jedoch nichts wissen. "Es gab große, humanitäre Erleichterungen, viele temporäre Waffenstillstände Gefangenenaustausche und den Schutz ziviler Infrastruktur." Dass der Konflikt nicht gelöst wurde, habe weniger am Verhandlungsforum, sondern am fehlenden politischen Willen auf ukrainischer und russischer Seite gelegen.

Im aktuellen Kriegsgeschehen sei wichtig, als Vermittler keine Ergebnisse vorzugeben. Sonst disqualifiziere man sich für eine Seite. "Man muss auf den Prozess der Verhandlungen setzen, um die Parteien zu einem Ergebnis kommen zu lassen."

Kritik an der deutschen Regierung hält der Konfliktmanager für teilweise überzogen und falsch. Viele hätten die Entscheidung über die Leopard-Panzer kritisiert. "Am Ende kommt jetzt raus, dass Deutschland fast das einzige Land ist, das liefert."

Über den Experten: Wolfgang Sporrer leitete die Abteilung für die humanitäre Dimension der OSZE-Mission in Kiew und war als politischer Berater in der EU-Delegation in Moskau und in verschiedenen Funktionen für die OSZE in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und im Kosovo tätig. Zur Zeit lehrt Sporrer Konfliktmanagement an der Hertie School in Berlin.

Verwendete Quellen:

  • Besuch bei der Großkundgebung "Aufstand für den Frieden"
  • spiegel.de: Björn Höcke lädt Sahra Wagenknecht in die AfD ein
  • zdf.de: Tausende bei umstrittener Demo - auch die AfD
Sahra Wagenknecht

"Kommen Sie zu uns": Höcke lädt Wagenknecht in die AfD ein

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke hat der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht einen Platz in seiner Partei angeboten. "Ich bitte Sie, kommen Sie zu uns", sagte er laut Medienberichten. (Bildcredit: imago/epd/Christian Ditsch)