- Das "hydraulische Aufbrechen", Fracking, ist seit dem Ukraine-Krieg wieder in aller Munde.
- Deutschland will derzeit noch ohne die umstrittene Technik für seine Energiesicherheit sorgen.
- Ein Geologe ist für den Einsatz, um die großen Gasvorkommen in Niedersachsen zu nutzen.
- Als "verzweifelten Versuch, das fossile Zeitalter zu verlängern“ bezeichnet es ein anderer Experte.
Ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien wird mehrere Hundert Meter tief ins Gestein gepresst – das Ziel: mit Druck an den wertvollen Rohstoff Erdgas herankommen. Das sogenannte Fracking (englische Abkürzung für "Hydraulic Fracturing", zu Deutsch: hydraulisches Aufbrechen) erregt die Gemüter.
Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erlebt die Technologie eine Renaissance; zumindest in der öffentlichen Debatte. In England wurde wegen der rasant steigenden Energiepreise ein Fracking-Verbot aufgehoben. Deutschland will dagegen ohne Fracking für seine Energiesicherheit sorgen. Noch.
Laut einer repräsentativen Umfrage für die WirtschaftsWoche hält knapp jeder Zweite (48 Prozent) Fracking in Deutschland für notwendig, um die Energiekrise zu überstehen. Nur 38 Prozent halten es für nicht notwendig. Unentschieden sind 14 Prozent.
"Erhebliche Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit“
Auf politischer Ebene schlug Bayerns Ministerpräsident
Dagegen fordern wegen der „erheblichen Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit“ 50 Umweltverbände, Kirchengruppen und Bürgerinitiativen in einem offenen Brief die Bundesministerien für Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft und Gesundheit auf, ein vollständiges und zeitunabhängiges Fracking-Verbot zu verhängen.
Was sagt die Wissenschaft? Zwei Experten, zwei Meinungen
Das sieht Andreas Hagedorn anders. „Es spricht eine ganze Menge für Fracking in Deutschland“, sagt der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler (BDG) im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wir waren doch schon alle im Land einmal dafür“, meint Hagedorn. Doch dann gingen die Bilder der „brennenden Wasserhähne“ um die Welt.
Im US-Film „Gasland“ aus dem Jahr 2010 werden „Opfer“ der amerikanischen Fracking-Industrie vorgestellt. Sie drehen zu Hause ihre Wasserhähne auf und entzünden das Methangas, das daraufhin ausströmt.
Durch das Aufbrechen der tiefen Gesteinsschichten beim Fracking entweicht Methan in die Umwelt und kann so beispielsweise Trinkwasser verschmutzen. Methangas ist zwar in weitaus geringerer Konzentration in der Atmosphäre vorhanden als Kohlendioxid (CO2), dafür hat es aber eine rund 30-fach stärkere Treibhauswirkung
Seit der Ausstrahlung des Films wurden die brennenden Wasserhähne als Argument gegen „Fracking“ angeführt. Auch in Deutschland verzichtete kaum ein Fernsehmagazin oder Nachrichtenportal im Internet auf die Bilder. Die Grünen, die Linkspartei und Teile der SPD setzten 2013 das Wasserhahn-Motiv sogar für ihren Bundestagswahlkampf ein.
Der drei Jahre später erschienene Dokumentarfilm „FrackNation“ deckte auf, dass vieles aus „Gasland“ übertreiben oder teilweise falsch dargestellt wurde. Weil Methan im Trinkwasser je nach örtlicher Geologie ein längst bekanntes Phänomen ist. Doch das Bild überlebte, sogar gegen ein richterliches Urteil, das bei der Doku von Täuschung sprach.
Erdbeben, verseuchtes Trinkwasser, austretendes Methangas?
Hagedorn sieht das als Teil einer Anti-Fracking-Kampagne. „In Deutschland wird seit den 60er-Jahren nach Gas gefrackt.“ Bisher sei diese Technologie 300 Mal angewendet worden. Erdbeben, verseuchtes Trinkwasser, austretendes Methangas – nicht in der Bundesrepublik, meint der Geologe. „Bei uns wird die Technologie sicher in Sandstein angewendet.“
Es gibt grob gesagt zwei Formen der Technologie: Konventionelles Fracking ist in Deutschland erlaubt und erfolgt vor allem in Sandstein, meist in größerer Tiefe. Unkonventionelles Fracking in Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein ist seit 2017 verboten.
In den USA wird dagegen in Schieferpakete gebohrt, die feinste Poren besitzen, und unter gewaltigem Druck das Wasser-Chemie-Gemisch eingeleitet. Nach der Gasförderung lässt man den unterirdisch erzeugten Druck los. Risse bis in 50 oder 100 Metern Entfernung vom Bohrloch können die Folge sein.
Konventionelles Fracking sieht Hagedorn als "sanfte Methode"
Im Sandstein wird dagegen eine Art Blase gebildet, mit vielen Zugängen, mit der durch Anbohrungen Druck abgelassen werden kann. „Das ist die sanfteste Methode, ohne das Trinkwasser zu gefährden“, erklärt der Geologe. Zudem könne die Fracking-Stelle drei bis sieben Jahre nachgenutzt werden.
Nachdem der größte Druck im Gestein weg ist, kann aus der „Riss-Wolke“ und der Wärme im Boden beispielsweise Fernwärme gewonnen werden. „Solche geothermischen Kraftwerke gibt es bereits in der Bundesrepublik“, sagt Hagedorn.
Bei zwei großen Gasvorkommen würde sich Fracking am meisten lohnen: in den niedersächsischen Schiefern und in der Münsterländer Kreidebucht. „Um an das Gas zu kommen, müsste man das Verbot aufheben und das unkonventionelle Fracking anwenden“, sagt der Geologe. Auch die alten Kohlekraftwerke im Ruhrgebiet beherbergen mehrere 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Insgesamt schätzt Hagedorn die förderbare Menge in Deutschland auf zwei Billionen Kubikmeter. „So viel wie in Qatar oder Saudi-Arabien.“
20-prozentiger Energieverlust durch Verflüssigung des Gases
Eigenes Gas habe auch noch andere Vorzüge. „Wir kaufen zurzeit weltweit die Märkte leer. Ärmere Länder kommen nicht mehr mit. Das muss nicht sein“, meint er. Die Schiffe mit Flüssiggas würden außerdem oft umgeleitet, je nach Höchstbietendem, was ungerecht wie unökologisch sei. Dazu komme der 20-prozentige Energieverlust, der bei der Verflüssigung des Gases entstehe.
Bei all den Vorteilen: Warum wird Fracking in Deutschland aktuell noch nicht mal bei Probebohrungen angewendet? Das teilte unserer Redaktion das Wirtschaftsministerium mit. „Es traut sich keiner ran. Rechtlich ist die Lage zu unsicher“, meint Hagedorn. Das Verbot von 2017 für unkonventionelles, kommerzielles Fracking müsse weg und ein Beschleunigungsgesetz her.
„Wie beim LNG. Wir brauchen auch hier eine politische Kehrtwende“, sagt er. Für Energie-Unabhängigkeit und niedrigere Gaspreise. Bei Erhalt des Status quo wandere die Industrie ins Ausland ab und Umweltschäden im Ausland würden durch hiesige Energie-Importe erhöht und ausgelagert.
Jens Spahn wirbt für positivere Sichtweise
Für eine andere, positivere Sichtweise wirbt auch CDU-Politiker
Seine Argumente für Fracking in Deutschland ähneln denen des Geologen Hagedorns. Zu den möglichen Folgen für Mensch und Natur entgegnet Spahn: „Keine Art der Energiegewinnung ist ohne Folgen.“ Das sei auch beim Braunkohle-Tagebau, bei der Atomenergie oder bei Windrädern so.
Umweltministerin Lemke für weltweiten Fracking-Ausstieg
„Wir sollten weltweit aus dem Fracking aussteigen, statt in Deutschland einzusteigen und solche Strukturen für die nächsten Jahrzehnte zu zementieren“, sagte dagegen Bundesumweltministerin Steffi Lemke im Interview mit unserer Redaktion. Fracking sei in Deutschland aus gutem Grund verboten, insbesondere, weil es das Grundwasser gefährden könne und mit einem hohen Wasser- und Flächenverbrauch verbunden sei.
Noch drastischer formuliert es Werner Zittel. „Es ist der verzweifelte Versuch, das fossile Zeitalter zu verlängern“, sagt er unserer Redaktion gegenüber. Der Energieexperte arbeitet für die Ludwig-Bölkow-Stiftung, die sich für nachhaltige Energie- und Wirtschaftsstrukturen einsetzt. Die europäische Gasförderung sei seit ihrem Höhepunkt um das Jahr 2000 um etwa 35 Prozent zurückgegangen; in den Niederlanden und Großbritannien um etwa 70 Prozent, in Deutschland um 75 Prozent.
Auch in den USA, das mit mehr als 20 Prozent Weltmarktanteil der weltweit größte Erdgasproduzent ist, geht in den meisten Regionen die Förderung trotz Fracking zurück, so der Energieexperte. Heute steige die Förderung nur noch in zwei Regionen.
Es sei kontraproduktiv, neues Geld und neuen Aufwand in Erdgasfracking zu stecken. „Zumal wir wissen, dass wir dieses Geld dringend für den unvermeidbaren Umbau der Energieversorgung auf nicht fossile Energieträger brauchen.“ Dass Politik und Energiebranche jetzt nach Fracking rufen, sei vor allem das Eingeständnis, dass die Erdöl- und Erdgasförderung dem Ende entgegengeht. „Fracking bedeutet das Endspiel um die fossilen Ressourcen.“
Zittel weist darauf hin, dass bei der Technologie die anfängliche Förderrate beim Schiefergas monatlich um bis zu 10 Prozent und mehr zurückgehe. Gleichzeitig hält er die mögliche Fördermenge für unsicher. Denn in der Originalstudie „Schieferöl und Schiefergas in Deutschland – Potenziale und Umweltaspekte“ der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) von 2016 werde eine große Unsicherheit angegeben.
Zittel warnt vor Chemikalien, radioaktiven Partikeln und Erdbeben
Die „möglichen Vorkommen“ würden mit 320 bis 2030 Milliarden Kubikmeter angegeben. Die Mengenangabe sei eine Schätzung und die Förderung würde sich über Jahrzehnte hinziehen, bewertet Zittel die Studie.
Im Gegensatz zum Geologen Hagedorn sieht Zittel die negativen Auswirkungen durch Fracking auch für Deutschland. „Es gibt so viele unterschiedliche Aspekte, die alle das Gemeinwohl schädigen“, sagt er. Angefangen von der rasanten Erhöhung der Anzahl an Bohrplätzen bis zum Straßenbau für Schwerlastverkehr im ländlichen Raum und damit zusammenhängenden Probleme.
Auch warnt er vor der Freisetzung von Chemikalien oder radioaktiven, aus dem gefrackten Gestein gespülten Partikeln bis hin zu Erdbeben, Wasserkontaminationen und vor allem vor der deutlichen Zunahme von klimaschädlichen Methanemissionen.
„In den USA kann man beispielsweise über Satellitenaufnahmen nachweisen, dass zwischenzeitlich fast 30 Prozent der klimarelevanten Emissionen aus den Erdgasbohrungen und Leckagen erfolgen.“
Verwendete Quellen:
- ResearchAppionio.com: WirtschaftsWoche Fragebogen Fracking

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