Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird. Heute: Warum Kanzleramtschef Helge Brauns Distanzierung von der Schuldenbremse eine Abkehr von der traditionellen Fiskalpolitik der CDU bedeutet.

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
bei jeder Filmproduktion gibt es für die gefährlichen Szenen das Action-Double. Für Angela Merkel spielt diese Rolle ihr Kanzleramtschef. Helge Braun ist tapfer und treu. Er kennt wie kein Zweiter das Script der Hauptdarstellerin. Geradezu lustvoll nimmt er die Schläge, die für sie bestimmt sind, und greift nach den Splittern, die sonst ihr um die Ohren fliegen würden.
Im "Handelsblatt" unternimmt er nun den Vorstoß für eine neue, schuldenfinanzierte Sozialpolitik, die in ihrer Konsequenz eine Abkehr von der traditionellen Fiskalpolitik der bürgerlichen Parteien bedeutet: CDU 0.0.
Braun schlägt vor, den Sozialstaat bis 2023 systematisch nicht nur aus Beiträgen, sondern zusätzlich auch aus Steuermitteln zu finanzieren. So will er den Anstieg der Sozialbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vermeiden.
Diese dauerhafte Subventionierung des Sozialstaates aus der Steuerkasse hat Folgen für die Fiskalpolitik, wie unser Action-Double zu berichten weiß. Der ehemalige Assistenzarzt, der seine Doktorarbeit über "Herzrasen während einer Operation” verfasste, schreibt im "Handelsblatt":
Eigentlich kann die Schuldenbremse nur in Notsituationen vorübergehend aufgehoben werden
Zur Erinnerung: Derzeit gilt, dass der Bund nur in ganz geringem Maße neue Kredite aufnehmen darf, nämlich maximal in Höhe von 0,35 Prozent der nominalen Wirtschaftsleistung. Diese Schuldenbremse ist seit 2009 im Grundgesetz verankert und kann nur in Notsituationen vorübergehend aufgehoben werden – wie zum Beispiel während einer Pandemie.
Die Empörung in der Partei über die vorgeschlagene Demontage der Schuldenbremse ist groß. Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet erteilte Braun eine klare Absage: Die Union sei immer die Partei solider öffentlicher Haushalte gewesen, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident in der Online-Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Angaben von Teilnehmern.
Und an die Adresse von Braun gerichtet:
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus stufte Brauns Vorstoß als eine "persönliche Meinungsäußerung" ein:
Auch die mediale Reaktion lässt erkennen, wie sehr Braun mit seinem Vorschlag an den Grundfesten der Union rüttelt. Einer Union, die noch im Jahr 2019 auf Twitter mit dem folgenden Satz für sich warb:
Brauns Vorstoß eine Schnapsidee?
In der "Neuen Zürcher Zeitung" merkt der Berliner Wirtschaftskorrespondent René Höltschi an:
Ulf Poschardt, Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, stellt fest:
In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt Wirtschaftsredakteur Manfred Schäfers:
Die stellvertretende Redaktionsleiterin des "SZ"-Parlamentsbüros Cerstin Gammelin allerdings begrüßt den Strategiewechsel als Annäherung an die Grünen:
Fazit: Das Double hat ganze Arbeit geleistet. Überall fliegen die Splitter, aber die Hauptdarstellerin blieb unverletzt.
Ich freue mich auf Sie und wünsche Ihnen einen guten Start in den neuen Tag. Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Gabor Steingart