Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird. Heute: China als Stressfaktor für Deutschlands Wirtschaft, die Zukunft der Deutschen Bahn - und ein Ministerpräsident mit Gastauftritt im "Tatort".
Guten Morgen, liebe Leser,
die deutsche Volkswirtschaft steht zu Beginn dieser Woche dreifach unter Stress. Der Grund ist die aggressive Industriepolitik der Chinesen:
► Stressfaktor 1: Der Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland, Wu Ken, droht mit Vergeltungsmaßnahmen, sollte Huawei das 5G-Netz nicht bauen dürfen. "Wenn Deutschland die Entscheidung trifft, Huawei vom deutschen Markt auszuschließen, wird das Konsequenzen haben", sagte Wu beim "Handelsblatt"-Industriegipfel.
► Stressfaktor 2: An den Südkoreanern wird gerade ein Exempel statuiert. Das Land hatte gegen den Willen Chinas ein neues US-Raketensystem stationiert und die gänzlich unbeteiligte koreanische Warenhauskette Lotte muss dafür nun büßen. Deren Läden werden durch staatliche Aufrufe boykottiert und "aus Sicherheitsgründen" geschlossen. Die "New York Times" meldet: Der Lotte-Rückzug aus China beginnt.
► Stressfaktor 3: Die Staatsregierung in Peking schlägt in der Mobilitätsentwicklung eine neue Richtung ein. 2020 läuft die Subventionierung der Elektromobilität aus. Die Regierung will künftig technologieoffen arbeiten. "China Daily" berichtet von der neuen Vorliebe der KP für den Wasserstoff-Antrieb, was die deutschen Autobauer verunsichert. 40 % aller Volkswagen weltweit werden in China verkauft.
Fazit: Deutschland droht im geopolitischen Machtpoker zum Spielball fremder Interessen zu werden. Unser Land braucht eine eigene industriepolitische Vorstellung: Was sind die relevanten Zukunftstechnologien? Wer ist Partner und wer Rivale? Fest steht nur eines: Wer sich nicht entscheidet, für den wird entschieden.
Amerikanischer Staatssekretär warnt deutsche Unternehmen
Apropos: Die USA des Donald Trump haben ihre strategische Entscheidung getroffen: Man will China ökonomisch schwächen. Wobei sich die Härte auch gegen jene westlichen Partner richtet, die dabei nicht mitziehen: zum Beispiel Deutschland.
Ein leibhaftiger Staatssekretär im US-Außenministerium, und zwar der für Wirtschaftsbeziehungen zuständige Keith Krach, nutzte ein Interview mit dem in Hamburg erscheinenden "DUB Unternehmer-Magazin", um deutsche Konzerne vor der weiteren Kapitalverflechtung mit China zu warnen. Der 62-jährige Trump-Gefolgsmann:
Sehr konkret nimmt er die Daimler AG ins Visier:
Krach ist für die deutschen Autobosse kein Unbekannter. Erst vor kurzem wählte die Harvard Business School den ehemaligen Vizepräsidenten von General Motors zum "Business Leader of the Year". Trump selbst hatte seine Nominierung betrieben.
Deutsche Firmen hört die Signale. Für das neue Amerika gilt: Der Freund unseres Feindes ist unser Feind.
Wolfgang Reitzle un Alexander Müller im Morning Briefing Podcast
Der strategische Schwenk der Chinesen in der Mobilitätspolitik – weg von der reinen Elektromobilität, hin zu einer neuen Technologieoffenheit – ist heute Morgen das wichtigste Thema in der deutschen Automobilindustrie. Ist der Schwenk der Chinesen richtig oder falsch? Das wollte ich von Wolfgang Reitzle wissen, dem ehemaligen Topmanager von BMW und Ford und heutigem Aufsichtsratschef von Linde. Im Gespräch für den Morning Briefing Podcast sagt er:
Aber wie schauen die Experten der grünen Partei auf diese Entwicklung? Darüber habe ich mit Alexander Müller für den Morning Briefing Podcast gesprochen, dem ehemaligen Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium und heutigem Geschäftspartner von Klaus Töpfer. Er sagt:
Fazit: Der ehemalige Automanager Wolfgang Reitzle und der Grüne Alex Müller begrüßen die Technologieoffenheit der Chinesen - was eine neue Chance für die Brennstoffzelle bedeutet. Die einseitige Fixierung auf die batteriebetriebene Elektromobilität erscheint ihnen ein strategischer Fehler. Europa bitte aufwachen!
Joe Kaeser im Gespräch mit "Spiegel"
Abschiede fallen nie leicht. Deshalb will Joe Kaeser seinen am liebsten auch verschieben. Zum "Spiegel"-Gespräch tauchte er mit seinem Stellvertreter Roland Busch auf, aber nur um deutlich zu machen, wer Herr im Hause ist.
Es gibt zwei Stellen im Interview, die den schwierigen Übergang vom einen zum anderen Top-Manager illuminieren.
Szene 1: Der "Spiegel" fragt:
Kaeser:
"Spiegel":
Kaeser:
"Spiegel":
In Szene 2 muss Roland Busch, dessen Gesprächsanteil in dem Interview derart klein ist, dass man denkt, er sei entschlummert oder habe das Büro verlassen, miterleben, wie Kaeser sich konsequent weigert, den Zeitpunkt seines Ausscheidens zu bestätigen. Der "Spiegel":
Kaeser:
Fazit: Will Roland Busch nicht als Prinz Charles von Siemens enden, ist er auf die Mithilfe des Aufsichtsrates dringend angewiesen. Von allein gibt einer wie Kaeser das Chefbüro niemals frei. Michel de Montaigne hat es geahnt: "Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Dingen, die uns lieb sind, immer noch ein wenig wärmer."
Die Zukunft der Deutschen Bahn
PR-Wirbel um Greta Thunberg. Via Twitter verbreitete sie ein Bild, das sie mit ihren gepackten Taschen auf dem Boden zwischen den Waggons eines Zuges zeigt: das Leiden der jungen Greta. Ihr Zug sei "überfüllt" gewesen, teilte sie ihren 3,6 Millionen Followern mit.
Das war die Wahrheit, aber nur die halbe. Wenig später saß die Klimaaktivistin – umrahmt von ihrem Team – auf einem für sie reservierten Sitzplatz in der 1. Klasse. Diese Bilder allerdings sah ihr Publikum nie.
Verantwortlich für beide Wahrheiten – die der Chaos-Bahn, die wir hassen, und die der Komfort-Beförderung, die wir lieben – ist Vorstandsmitglied Ronald Pofalla. Der ehemalige Kanzleramtsminister hat gute Chancen, bald Vorstandschef der Deutschen Bahn AG zu werden. Schon heute ist er für deren Herzstück verantwortlich, das 33.400 Kilometer lange Schienennetz, über das täglich rund 500.000 Reisende transportiert werden.
Im Morning Briefing Podcast hat mein Kollege Michael Bröcker ihn nach allen Regeln der Kunst befragt, zum Beispiel nach seinen Ambitionen auf den Konzernvorsitz:
Auch über den Materialverschleiß der letzten Jahre und wie er behoben werden soll, haben die beiden gesprochen. Pofalla sagt:
Den Handy-Telefonierern, die immer wieder ins Funkloch plumpsen, verspricht er die Linderung ihres Leidens:
Wenn es mal nicht so läuft, weiß Pofalla warum:
Armin Laschet mit Gastauftritt im "Tatort"
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat demnächst einen Gastauftritt beim "Tatort". Er spielt sich der Einfachheit halber selbst. In der Szene – der brutalen NRW-Gegenwart abgelauscht – hält Laschet eine Ansprache an eine Gruppe von Kommissaren, die eine Mordserie in Nordrhein-Westfalen aufklären sollen. Die Folge "Das Team" wird am 1. Januar 2020 ausgestrahlt.
Der Christdemokrat ist zwar nur rund zweieinhalb Minuten in Aktion. Doch Laschet weiß die TV-Präsenz zu schätzen: jede Sekunde ein politisches Himmelreich. Im Schnitt schalten beim beliebtesten Tatort, dem aus Münster, rund 12 Millionen Zuschauer ein. Diese Zahlen erreichen im Regelbetrieb die Talkshow-Königinnen Anne Will und Maybrit Illner, sowie die männlichen Matadore Frank Plasberg und Markus Lanz zwar auch, aber gemeinsam.
Schon Gerhard Schröder und Guido Westerwelle setzten auf die Reichweite der TV-Unterhaltung. Ministerpräsident Schröder trat 1998 in der RTL-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" auf, FDP-Generalsekretär Westerwelle 2000 im Reality-TV-Format "Big Brother".
Der Sozialdemokrat wurde wenige Wochen später Bundeskanzler, Westerwelle rückte ein Jahr danach an die Spitze seiner Partei, die ihn schließlich zum Vize-Kanzler und Außenminister beförderte. Damit liegt die Latte für Laschet da, wo sie hingehört: hoch.
Ich wünsche ihm und Ihnen einen heiteren Start in diese vorweihnachtliche Woche. Lassen Sie sich nicht stressen.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr Gabor Steingart
"Steingarts Morning Briefing" informiert über das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen. Das "Pre-Breakfast Medium" ist eine moderne Form der Miniatur-Tageszeitung, das neben Nachrichten, Kommentaren und Grafiken auch exklusive Interviews mit Meinungsbildnern aus Politik, Wirtschaft und Kultur veröffentlicht. Der gleichnamige Podcast ist Deutschlands führender Daily Podcast für Politik und Wirtschaft.