Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird. Heute: Armin Laschet muss wohl noch einige Siege erringen und für Markus Söder entscheidet vor allem eine Sache über Erfolg und Misserfolg.

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
die Rangordnungskämpfe im konservativen Lager haben am vergangenen Samstag weder ihr Ende, noch ihren Höhepunkt erlebt. Fest steht bisher nur:
Friedrich Merz spielt in der Architektur des bürgerlichen Lagers keine Rolle mehr. Seine Anhängerschaft ist emotional zwar stark aufgeheizt, aber auf Delegierten-Parteitagen schafft es der aufrechte Marktwirtschaftler nicht, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Mit seinen Reden stärkt er ein ums andere Mal die Überzeugung der Überzeugten. Aber die politische Laufkundschaft ist ihm entwischt.
Angela Merkel an Niederlage von Friedrich Merz tatkräftig beteiligt
Seine größte Schwäche offenbarte sich im Abspann des Parteitages. Der Glaube, er könne ausgerechnet als Wahlverlierer der Bundeskanzlerin eine Kabinettsbildung aufnötigen, war von strategischer Naivität geprägt. Sie hatte ihm 2002 den Fraktionsvorsitz abgenommen, sie hat ihm im Herbst 2018 die nur mittelprächtig begabte Saarländerin vor die Nase setzen lassen.
Sie war auch an seiner Niederlage vom Wochenende tatkräftig beteiligt. Wenn es denn eine Konstante der deutschen Innenpolitik über die vergangenen 20 Jahre gibt, dann ist es diese: Angela Merkel bringt Friedrich Merz zu Bette; und das wird sie immer wieder und wieder tun.
Das muss man nicht bejubeln, wie es jetzt einige tun. Aber das muss man zur Kenntnis nehmen. Die Machtarchitektur der Union hat sich unwiderruflich verschoben.
Schon am 25. Mai 2020 hieß es an dieser Stelle:
Jens Spahn wird von Partei nicht so geschätzt wie von den Medien
Die zweite Gewissheit des vergangenen Wochenendes betrifft Jens Spahn. Der tatkräftige Nachwuchs-Politiker wird von seiner Partei nicht in gleicher Weise geschätzt wie von den Medien. Die Funktionärs-CDU, die Wirtschaftselite und seit dem Impf-Debakel auch wichtige Teile der Öffentlichkeit wollen von ihm nachprüfbare Leistungen sehen, bevor sie ihn weiter promovieren.
Sein Eintritt in das Team des NRW-Ministerpräsidenten hat dem neuen Vorsitzenden mehr genutzt als Spahn selbst. Die Rechnung ist aufgegangen, aber eben nur für den anderen. Spahn sollte auf Nachzahlung bestehen.
CDU-Vorsitz ist kein Garant für Kanzlerschaft
Damit sind wir bei Armin Laschet, der seit dem Parteitag mächtiger ist als zuvor. Aber der mächtigste Politiker der Konservativen ist er deshalb nicht. Seine Bastion ist noch gänzlich unbefestigt. Er ist ein Schlossherr ohne Schlossgraben und Mauer. Die dürre Rosenhecke seiner knapp 53 Prozent wird einen tollkühnen Prinzen nicht aufhalten können.
Der Parteivorsitz ist, das lehrt die Parteigeschichte der Union, keineswegs automatisch die Vorstufe zur Kanzlerschaft. Von den bisher acht CDU-Vorsitzenden hat es überhaupt nur einer im ersten Anlauf auf den Chefposten im Kanzleramt geschafft. Dieser eine war Konrad Adenauer.
Ludwig Erhard und Kurt Kiesinger wurden erst Parteichefs, nachdem sie die politische Fortune ins Bundeskanzleramt gespült hatte. Beide erhielten das Parteiamt erst, als die Verblühung ihrer Macht bereits begonnen hatte. Das Parteiamt war für sie kein Sprungbrett, sondern eine Art Trostpreis.
Rainer Barzel wurde zwar CDU-Chef und dann auch Kanzlerkandidat, aber er verlor die Bundestagswahl 1972 gegen Willy Brandt. Begleitet von den Vorschusslorbeeren der Medien ("zugreifend"/"Hamburger Abendblatt", "ehrgeizig"/"Der Spiegel") schoss er kometenhaft an die Spitze der Konservativen, um wenig später zu verglühen.
Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur wurden voneinander getrennt
Helmut Kohl, der gegen Rainer Barzel im Kampf um den Parteivorsitz 1971 noch unterlegen war, kam nun endlich zum Zuge. Aber: Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur wurden unverzüglich nach der Kohl'schen Wahlniederlage von 1976 getrennt, denn der frühe Kohl war noch zu schwach, das konservative Lager hinter sich zu versammeln.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß musste ran, um die Truppen gegen den amtierenden SPD-Kanzler Helmut Schmidt anführen. Er holte absolut und relativ mehr Stimmen als der SPD-Mann, aber ihm fehlte die FDP als Koalitionspartner. Erst die gewendete FDP machte den unterlegenen Kohl doch noch zum Kanzler.
Auch die forsche CDU-Generalsekretärin Angela Merkel – damals 45 Jahre jung – konnte nach dem putschartig errungenen Sieg über den CDU-Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl und der bald schon folgenden Amtsübergabe von Wolfgang Schäuble an sie keineswegs als Kanzlerkandidatin durchstarten.
Die eigenen Leute zwangen Merkel zu jener Demutsgeste, die in der Kanzlerkandidatur von CSU-Chef Edmund Stoiber ihren Ausdruck fand. Merkel lernte zunächst wie andere vor ihr nicht die Machtfülle des Parteiamtes, sondern dessen Limitierung kennen.
Laschet muss wohl noch einige Siege erringen
Armin Laschet ist kein zweiter Adenauer. Eher schon ist er ein zweiter Helmut Kohl, ein Mann, der dazu einlädt, dass man ihn unterschätzt. Dessen Leutseligkeit die Öffentlichkeit als fehlenden Machtwillen fehlinterpretiert. Dessen Unlust an der öffentlich vorgetragenen Vision ihm als Mangel an Ideen und eben nicht als strategische Gelassenheit ausgelegt wird. Dessen Fähigkeit zum Knüpfen und Betreiben größerer Netzwerke zwar gesehen, aber nicht gewürdigt wird.
Armin Laschet muss wohl noch einige Siege erringen, wenn er tatsächlich auf dem Platz der heutigen Bundeskanzlerin landen will. Er braucht Wahlerfolge in den Ländern. Er braucht steigende Umfragewerte. Er braucht – kurz gesagt – das, was ihm heute noch fehlt: Relevanz und Reichweite.
Der Union stehen bewegte Monate ins Haus. Nach dem Machtkampf ist vor dem Machtkampf – und niemand sollte sich deshalb grämen: Der glatte Durchmarsch gehört aus guten Gründen nicht zu den Erkennungsmerkmalen der Demokratie.
Dieses kräftezehrende Auswahlverfahren, angetrieben vom Selbstbewusstsein der Kandidaten und begleitet vom Selbstzweifel der Mitglieder, ist das beste, was die Parteiendemokratie zu bieten hat. Führung wird nicht vererbt, sondern erzeugt. Oder um es mit Albert Camus zu sagen: "Gibt es eine Partei der Leute, die nicht sicher sind recht zu haben? Bei der bin ich Mitglied."
Markus Söder. Eine Sache entscheidet über Erfolg und Misserfolg
Damit sind wir bei Markus Söder. Er ist Chef der mächtigen Schwesterpartei und Bayerns Ministerpräsident. Er ist laut ZDF-Politbarometer der Mann, den 54 Prozent der Deutschen für geeignet befinden, Bundeskanzler zu werden. Armin Laschet kommt in dieser Umfrage nur auf 28 Prozent.
Der Chefredakteur von The Pioneer, Michael Bröcker, hat mit Söder nicht nur über den Parteitag, sondern auch über die K-Frage gesprochen. Bestärkt durch gute Umfrageergebnisse blickt der Parteivorsitzende der CSU optimistisch ins Wahljahr. Er sagt allerdings auch:
Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet für Söder vor allem eine Sache:
Auf dem CDU-Bundesparteitag sagte Armin Laschet in seiner Bewerbungsrede, er sei kein Mann der perfekten Inszenierung. Söder kommentiert:
Verglichen mit Ländern wie den USA oder Israel geht es mit den Corona-Impfungen in Deutschland bekanntlich nur sehr schleppend voran. Söder sieht darin einen klaren Wettbewerbsnachteil für Deutschland:
Fazit: Der CSU-Chef trumpft hier nicht auf, aber er meldet sich vernehmbar zu Wort. Das Ergebnis des CDU-Parteitages, das die Zweiteilung der CDU sichtbar machte, hat ihm in die Karten gespielt.
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Gabor Steingart