Großbritannien leidet drei Jahre nach dem Brexit stark unter dessen Nachwirkungen. Der Wirtschaft geht es schlecht und die konservative Politik der Regierung driftet immer mehr in Richtung Populismus ab.

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Sieben Jahre nach dem Brexit-Referendum haben drei Viertel der Briten das Vertrauen in ihre Politiker verloren. Das geht aus einer Umfrage für die Londoner Denkfabrik "UK in a Changing Europe" ("Vereinigtes Königreich in einem sich wandelnden Europa") hervor, die zum Jahrestag der Volksabstimmung an diesem Freitag veröffentlicht wurde. 75 Prozent der Befragten vertraten die Meinung: "Ich habe das Vertrauen in britische Politiker in den vergangenen Jahren verloren." 74 Prozent glauben, dass Politiker mehr im eigenen Interesse handeln als im Interesse der Allgemeinheit.

Großteil der Brexit-Befürworter zeigt keine Reue

Bei dem Referendum am 23. Juni 2016 hatten die Briten mit 52 zu 48 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Vollzogen wurde dieser am 31. Januar 2020. Wie aus der Umfrage hervorgeht, ist nun eine Mehrheit von 52 Prozent der Meinung, dass der Brexit kein Erfolg war. Nur jeder Zehnte sieht das anders. Von "Bregret" – einer Wortschöpfung aus Brexit und regret (Reue) – kann trotzdem keine Rede sein: Von denen, die für den Brexit stimmten, bereuen dies nur 15 Prozent.

Ein Mann demonstriert vor dem Big Ben gegen den Brexit.
Auch drei Jahre nach dem Brexit demonstrieren Menschen in Großbritannien noch gegen die Entscheidung, die EU zu verlassen. © IMAGO/ZUMA Wire/Vuk Valcic

Knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent) würde heute in einem Referendum für eine Rückkehr in die EU stimmen. Nur etwa ein Drittel (32 Prozent) wäre dafür, draußen zu bleiben. Eine Mehrheit der Menschen in Großbritannien (54 Prozent) will von dem Thema Brexit aber einfach nichts mehr hören.

Der Brexit und seine Folgen waren auch jüngst Thema im Unterhaus. Premierminister Rishi Sunak wurde von dem Fraktionschef der schottischen Nationalpartei (SNP), Stephen Flynn, am Mittwoch direkt angegangen: "Ich glaube, er begreift nicht, wie die wirtschaftliche Realität aussieht und mit welchen Kosten die Verbraucher zu kämpfen haben. Und die Lage müsste nicht so sein. Die Zinsen für Immobilienkredite in Irland liegen nicht bei über sechs, sondern bei ungefähr viereinhalb Prozent. Die Inflation in der EU liegt nicht bei 8,7 Prozent, sondern eher bei sechs Prozent. Großbritannien pfeift aus dem letzten Loch. Wird der Premier sieben Jahre nach dem Brexit-Referendum endlich zugeben, dass der Brexit daran schuld ist?"

Eine Antwort des Premiers blieb aus, jedoch geben wissenschaftliche Daten dem schottischen Abgeordneten recht. Die "Tagesschau" zitiert hier die Wirtschaftsprofessorin Jun Du von der Aston University of Birmingham. "Die Auswirkungen auf den Handel sind signifikant. Wir haben mehrere Berechnungen mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt. Für die Phase zwischen Januar 2021 und September 2022 legt die kontrafaktische Analyse nahe, dass wegen des Brexits der Handel Großbritanniens zurückgegangen ist."

Weiter heißt es, dass die Exporte in die Europäische Union um 23 Prozent gesunken sind seit dem Austritt Großbritanniens. Die Importe aus der EU sanken ebenfalls um 13 Prozent. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer nennt den Brexit "ein wirtschaftliches Desaster für beide Seiten des Kanals". War Großbritannien vor dem Brexit noch fünftwichtigster Handelspartner Deutschlands, ist Großbritannien derzeit nicht einmal mehr unter den Top Ten.

Schulden in Großbritannien steigen weiter an

Großbritannien geht es zudem so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die britische Staatsverschuldung hat erstmals seit 62 Jahren den Wert der Wirtschaftsleistung überschritten. Ende Mai betrug die öffentliche Nettoverschuldung 100,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wie das Statistikamt ONS am Mittwoch in London mitteilte. Nach aktuellem Stand ist es das erste Mal seit 1961, dass die runde Marke von 100 Prozent des BIP übertroffen wurde. In absoluten Zahlen lag der Schuldenstand laut ONS zuletzt bei 2,567 Billionen Pfund (rund 3 Billionen Euro).

Die Angaben sind jedoch mit großer Vorsicht zu genießen. So weisen die Statistiker ausdrücklich darauf hin, dass die jetzt ermittelte Schuldenquote zum Teil auf vom staatlichen Haushaltsbüro geschätzten Wachstumszahlen beruhe. Dies mache die Schuldenquote anfällig für zukünftige Revisionen.

Ein Beispiel zeigt, was gemeint ist: Laut Statistikamt ist die Schuldenquote während der Corona-Pandemie im Sommer 2020 schon einmal auf ein ähnliches Niveau wie jetzt gestiegen. Da die Wirtschaftsleistung jedoch im Nachhinein angehoben wurde, musste die Schuldenquote wieder nach unten korrigiert werden. Die Schuldenquote gibt das Verhältnis von Verschuldung zu Wirtschaftsleistung an. Erhöht sich das BIP, führt das bei konstanter Verschuldung zu einer niedrigeren Schuldenquote.

Neben der wirtschaftlichen Lage hat sich auch die politische Landschaft im Vereinigten Königreich verändert. Politikprofessor Tim Bale von der Queen Mary University in London hat gerade das Buch "The Conservative Party After Brexit" veröffentlicht. Er spricht von Ideologie und von Attacken auf demokratische Institutionen und kommt im genannten "Tagesschau"-Bericht mit Blick auf die Konservative Partei zu dem Schluss: "Sie ist wirklich populistischer geworden. Die konservative Partei hat immer mit dem Populismus geliebäugelt, aber nach dem Brexit hat sie den Populismus komplett verinnerlicht."

Eine Rückkehr zu seriöseren Tönen nach der Ära Boris Johnson hält Bale für eher ausgeschlossen. "Der Geist ist aus der Flasche gelassen, und es wird den Konservativen nicht gelingen, ihn wieder einzufangen. Und da die Regierung große Schwierigkeiten haben wird, die nächste Wahl mit dieser Wirtschaftslage zu gewinnen, wird sie versucht sein, den Kulturkampf anzuheizen, genauso, wie Boris Johnson das getan hat." (dpa/the)

Verwendete Quellen:

  • Tagesschau.de: Drei Jahre nach dem Brexit – "Großbritannien pfeift aus dem letzten Loch"
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