Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wünscht sich nur "ein bisschen Respekt". Am Montagabend verabschiedet sich die Bundeswehr mit einem Großen Zapfenstreich – der höchsten Würdigung für Zivilpersonen – vom Kanzler. Was von ihm bleibt.
Als die zwei unscheinbar wirkenden, weißen Busse vor den Toren des Bendlerblocks wegfahren, geben sie den Blick auf das Spektakel frei. Rund 300 Menschen stehen dort, einige von ihnen mit brennenden Fackeln, andere mit Musikinstrumenten oder Gewehren: Die Bundeswehr verabschiedet sich am Montagabend mit einem Großen Zapfenstreich von Noch-Bundeskanzler
Es ist dunkel. Mit Musik marschieren die Soldatinnen und Soldaten im Dienstsitz des Verteidigungsministeriums in Berlin auf Scholz zu, der neben Noch- und Bald-erneut-Verteidigungsminister
Traditionell werden beim Großen Zapfenstreich drei, selten vier, Lieder gespielt. Olaf Scholz hat sich Klassiker von den Beatles,
So wie er während seiner Kanzlerschaft einiges möglich machen wollte: Mit dem "Doppel-Wumms" raus aus der Energiekrise, die Erhöhung des Mindestlohns, den er im Wahlkampf 2021 versprochen hatte, oder die viel diskutierte Krankenhausreform, die gerade noch so zustande kam.
Ein Abend in hanseatischer Beherrschtheit
Scholz ist spätestens beim dritten Song ("Respect") gerührt. Auf seine Art und Weise. So kann man es jedenfalls deuten. Früher am Abend sagte er, er habe die Verantwortung für Deutschland immer gern getragen – auch, wenn man es ihm als Norddeutschen "nicht immer gleich im Gesicht ablesen kann". An diesem Abend ist auch das Publikum zurückhaltend.

Zu Gast sind unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Scholz' designierter Nachfolger
Die von Scholz angesprochene und mit ihm verbundene hanseatische Art wird nicht nur in Bezug auf seine (selten) nach außen getragenen Emotionen in Erinnerung bleiben. Sondern auch wegen seiner Aussprache, etwa beim Wort Gas (wie "Gass"). Genauso aber wohl die Reden, in denen der Scholz-o-mat mal aus sich herausgekommen ist. Die Rede zur Zeitenwende; sein "You'll never walk alone" als Versprechen an die Bürger während der Energiekrise; oder die geplant emotionale Trennung von Ex-Finanzminister Christian Lindner und dessen FDP.
Ob seine Amtszeit erfolgreich war, werden wohl irgendwann die Geschichtsbücher zeigen. In der zeitgenössischen Betrachtung hingegen darf an diese Aussage wohl mindestens ein Fragezeichen gesetzt werden. Nach seiner Kanzlerschaft wirkt die Gesellschaft gespalten, rechtsextreme Fälle an Schulen haben zugenommen, die AfD übertrifft ihre Wahlerfolge von Wahl zu Wahl, (Kinder-)Armut ist gestiegen, ebenso die Kriminalität unter Jugendlichen und gegen Frauen – die Wirtschaft stagniert. Gegipfelt sind die dreieinhalb Ampeljahre in einer Wahlpleite für die SPD.
Warme Worte und "ein bisschen Respekt"
Verteidigungsminister Boris Pistorius würde womöglich widersprechen. Der Hausherr des Abends findet in seiner Rede zu Beginn des Festakts warme Worte für seinen Parteifreund: Scholz sei ein "Staatsmann", der Deutschland durch "stürmische Zeiten" gelenkt habe. Der dank seiner Biografie – dank der Vielzahl an Posten mit Verantwortung, die er in den vergangenen Jahrzehnten innehatte – wisse, wie das Land funktioniere. Immer wieder habe Scholz auch vor seiner Kanzlerschaft "Krisenfestigkeit" bewiesen.
Ein Seitenhieb an den künftigen Kanzler Merz, der bislang keinerlei Regierungserfahrung gesammelt hat? Möglich. Für Pistorius jedenfalls steht dem Anschein nach fest: Scholz ist ein Macher und im Rahmen der von ihm ausgerufenen Zeitenwende habe sich sicherheitspolitisch viel zum Besseren verändert. Führung brauche Haltung, Mut und Erfahrung.

Die Musikauswahl an diesem Abend legt nahe: Auch Olaf Scholz ist stolz auf seine Zeit an der Spitze der Republik. "All I'm askin′ is for a little respect when you get home", (zu Deutsch: "Alles worum ich bitte, ist ein bisschen Respekt, wenn du nach Hause kommst") singt Aretha Franklin in ihrer Hymne des Respekts.
Und vielleicht ist es das, was sich auch Noch-Kanzler Scholz wünscht. Etwas mehr Respekt für die Dinge, die er und seine Regierung seiner Meinung nach geleistet haben. Kein Zweifel: Die vergangenen Jahre waren sicherlich politisch nicht die einfachsten. Mit Krisen überladen, moderiert von einer Koalition, die sich schnell selbst nicht mehr gewogen war. Scholz hat lange versucht, den Laden zusammenzuhalten – und als er merkte, dass er scheitert, final die Reißleine gezogen.
Ob seine Herangehensweise, die er selbst als besonnen und andere als ängstlich beschrieben haben, die richtige war? Wer kann das schon sagen. Erwartbar ist, mit Blick auf die bevorstehende Kanzlerschaft von CDU-Chef Friedrich Merz, dass sich der Ton im Kanzleramt und auf der internationalen Bühne verändern dürfte. Merz hat schon vor der Bundestagswahl angekündigt, alles anders machen zu wollen. Mehr Steuerung, mehr Klarheit, mehr Vorangehen. Am 6. Mai wird er vom Bundestag zum Kanzler gewählt. Dann kann er zeigen, wie sein Gegenentwurf zur Ära Scholz in der Realität aussehen wird.
Olaf Scholz' letzte große Bühne als Kanzler
Scholz derweil wird es wohl machen, wie die Beatles es besingen: "I know I′ll often stop and think about them" (zu Deutsch: "Ich weiß, dass ich oft stehenbleiben und an sie denken werde"). In Zukunft kann der Ex-Kanzler seinem Nachfolger und dessen Kabinett aus dem Plenum heraus zuschauen, wie sie Deutschland regieren. Und vielleicht wird er dabei auch manchmal zurückdenken – und überlegen, wie er es gemacht hätte.
An diesem Abend aber steht Scholz still im Hinterhof des Bendlerblocks. Trotz des treibenden Rhythmus von Aretha Franklins bekanntestem Song. Er beobachtet zwischen Verteidigungsminister Pistorius und General Carsten Breuer den Zapfenstreich – seine Verabschiedung, seine letzte große Bühne als Kanzler. Die Wunsch-Playlist ist vorbei, das Stabsmusikkorps der Bundeswehr übernimmt mit eigener Auswahl. Erst die Flöten, leicht, wie Vogelgezwitscher – dann stimmt der Rest ein. Es wird laut, es wird drückend. Ein großes Tamtam, ehe es in der Deutschen Nationalhymne endet.
Auch die Gäste auf der Zuschauer-Tribüne stehen mittlerweile, sie singen mit: "Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland." Der Große Zapfenstreich wird abgemeldet. Es beginnt eine komplizierte Choreografie der Fackelträger und des Wachbataillons. Schließlich ziehen sie aus, wie sie gekommen sind. Als große Gruppe mit vielen Fackeln und im Gleichschritt. Kanzler Olaf Scholz wird direkt im Hof abgeholt. In der Blaulicht-Eskorte der Feldjäger verlässt der künftige Alt-Kanzler seinen Ehrenabend.
Verwendete Quellen
- Teilnahme am Großen Zapfenstreich für Olaf Scholz