Ist der Radikalenerlass zurück? Ein Vorgang in Bayern lässt aufhorchen: Einer Klimaaktivistin soll dort das Referendariat verweigert werden.

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Nach dem abgeschlossenen Lehramtsstudium und dem Staatsexamen geht es für frischgebackene Lehreranwärter für gewöhnlich mit einem Referendariat – also der praktischen Arbeit an einer Schule – weiter. Nach dem erfolgreichen Abschluss dieser zwei weiteren anspruchsvollen Jahre werden viele von ihnen verbeamtet und lehren im Dienst ihres Bundeslandes an Schulen. So hatte es auch Lisa Poettinger geplant.

Die 28-Jährige hat in Bayern Lehramt studiert – ist aber auch als Klimaaktivistin immer wieder in Erscheinung getreten. Nun will der Freistaat einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) zufolge Poettinger den Eintritt in den Staatsdienst verweigern. Der Grund: Ihre politischen Überzeugungen. Konkret: Die laut "Welt" "Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen".

"Radikalenerlass" seit den 90er-Jahren aufgehoben

Der Vorgang klingt wie aus einer anderen Zeit. In den 1970er-Jahren war es gang und gäbe, dass Staatsdiener – gerade im Schuldienst – aufgrund politischer Überzeugungen überprüft wurden. Der sogenannte Radikalenerlass wurde 1972 von SPD-Kanzler Willy Brandt und den Länderchefs ins Leben gerufen. Die Kritik daran wuchs bereits im Laufe der 70er-Jahre. Nach und nach verabschiedeten die Länder sich wieder von der Praxis. 1991 auch das letzte Bundesland: Bayern.

Was aber weiterhin für Staatsdiener gilt: Ihr Gelöbnis zur Verfassungstreue. Und genau da sieht das bayerische Kultusministerium bei Poettinger wohl ein Problem. Der Vorwurf: Poettingers Klimaaktivismus und ihr Selbstverständnis als Marxistin gingen nicht zusammen mit einer liberalen Demokratie. Slogans wie "System change not climate change", die Poettinger verwendet habe, seien nicht als Aufruf zur Klimaneutralität zu verstehen – sondern als Aufforderung zum politischen Umsturz. Schwere Vorwürfe, aber stimmen die auch?

Kultusministerium zweifelt Verfassungstreue an

Wie die "SZ" berichtet, soll die Aktivistin eine überzeugte Verfechterin des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung sein. Sie beruft sich in ihrer Verteidigung demnach auf das Bundesverfassungsgericht, das vor Jahren festgestellt habe: Das Grundgesetz nimmt keine Festlegung auf die Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung vor. "Folglich muss eine Ablehnung des Kapitalismus mindestens in Teilen unter Achtung des Grundgesetzes möglich sein", wird Poettinger zitiert.

Besonders schwerwiegend für das bayerische Kultusministerium soll laut der Zeitung Poettingers Protest gegen die Automobilmesse IAA gewesen sein. Sie war damals als Mitglied der Gruppe "Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen München" aufgetreten – eine der "SZ" zufolge legale Gruppierung. Poettinger nannte die Ausstellung öffentlich ein "Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima". Gerade das Wort "Profitmaximierung" stößt im Ministerium wohl sauer auf.

Denn der Begriff sei eine den "Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung. Die kommunistische Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar". Per Wörterbuch-Definition ist das Wort synonym mit Gewinnmaximierung zu verwenden – und damit etwas, das in der Wirtschaftswissenschaft als Unternehmensziel gilt.

Was das Ministerium zudem beschäftigt: Gegen Poettinger laufen wohl verschiedene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit ihrem Aktivismus. Verurteilt sei sie nicht, schreibt die "SZ", trotzdem: Das Ministerium will wohl keine Toleranz gegenüber einer jungen Lehramtsanwärterin zeigen, die offenbar den Einsatz "rechtswidriger Methoden" nicht bedauert. Konkret geht es etwa um Poettingers Rolle bei den Protesten in Lützerath.

"Mit der strafrechtlichen Unschuldsvermutung korrespondiert keine beamtenrechtliche Eignungsvermutung", zitiert die Zeitung das Ministerium. Es sei wichtig, wie sich die 28-Jährige während der Ermittlungen verhalte. Dabei falle auf, dass sie ihren Einsatz rechtfertige. Es braucht also keinen Radikalenerlass, um künftige Staatsdiener auszuschließen und im Einzelfall zu überprüfen. Poettinger will laut "Welt" gegen die Entscheidung klagen.

Poettinger hat mit möglichem Berufsverbot gerechnet

Poettinger selbst hatte bereits im vergangenen Dezember damit gerechnet, dass es so weit kommen könnte. Sie gab damals "nd" ein Interview und erklärte dort: "Ich wünsche mir von Herzen, Lehrerin zu werden und werde dafür auch kämpfen. Aber ich glaube, dass ich flexibel sein muss und mich nicht darauf versteifen sollte, dass es unbedingt das Lehramt wird. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Mir ist auch der Zustand der Welt wichtiger als meine Karriere."

Dass ein solcher Schritt im Raum stehen könnte, sei ihr klargeworden, als sie einmal von einem Zivilpolizisten angesprochen worden sei mit den Worten: "Frau Poettinger, wie läuft es denn mit Ihrem Lehramtsstudium, wenn Sie immer auf solchen Aktionen sind?" Zuvor hatte sie bereits eine sogenannte Gefährderansprache erhalten. Damals noch als Pressesprecherin von Extinction Rebellion, einer radikalen Umweltschutzbewegung, die in ihren Aktionen auf zivilen Ungehorsam setzt. (ras)

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