Es wird immer heißer in Deutschland. Gleichzeitig nehmen die Extremwetter-Ereignisse zu. Höchste Zeit, um unsere Städte klima- und wetterfest zu machen, sagt Klimapolitiker Heinrich Strößenreuther (Grüne) im Interview.

Ein Interview

Dieser Sommer könnte wieder ein Rekordsommer werden. An mehreren Tagen werden mehr als 40 Grad erwartet. Temperaturen, auf die Menschen, Pflanzen, aber vor allem auch die Städte hierzulande nicht vorbereitet sind.

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Welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland, um uns vor der Hitze, aber auch vor zunehmenden Extremwetter-Ereignissen, wie Starkregen, zu schützen? Der Grünen-Politiker und Berliner Klimaaktivist Heinrich Strößenreuther hat Antworten.

Herr Strößenreuther, es wird immer heißer, gleichzeitig nehmen Extremwetter-Ereignisse wie Starkregen zu. Bekommen deutsche Städte deshalb bald ein Problem?

Heinrich Strößenreuther: Ganz sicher. In den Städten haben wir die Bäume, die mit diesen Wetterextremen bisher nie umgehen mussten und die Menschen, die auch darunter leiden. Berlin beispielsweise gilt noch, muss man sagen, als grüne Stadt. Aber 50 bis 90 Prozent der Bäume sind schon jetzt geschädigt. Pro Jahr werden in der Hauptstadt gut 6.000 Bäume gefällt. Das wären fast 100.000 bis 2040. Damit wird jeder fünfte Straßenbaum dann nicht mehr da sein; die Stadt wird grau, heißer und gefährlicher. Das ist fatal.

Was bedeutet das für die Menschen?

2022 gab es bei uns in Berlin gut zehnmal mehr Hitzetote als Verkehrstote. Über die wird aber zu wenig gesprochen. Sie sterben oft allein in ihren Wohnungen, überwiegend alte Menschen. Eine Umfrage der DAK aus dem vergangenen Jahr hat ergeben, dass sich auch 23 Prozent der Menschen im erwerbstätigen Alter im Job von der Hitze stark belastet fühlen. Das beeinträchtigt am Ende die Produktivität der Wirtschaft, eine erste Petition für Siesta & Hitzefrei haben wir bereits gestartet.

Es muss also schnell gehandelt werden. Welche Möglichkeiten haben Städte, um die Menschen zu schützen?

Beim Thema Hitze geht es in erster Linie um Kühlung und um Schatten. Da kommt des Deutschen liebstes Kind ins Spiel: der Baum. Er kann zwei bis sieben Grad kühlen, je nach Untergrund. Alle fünf bis zehn Meter bräuchte es in Städten einen Baum für den optimalen Effekt. Das wäre der Mindestschutz. Würden wir die heute auf einen Schlag frisch pflanzen, bräuchten die Bäume trotzdem rund 30 Jahre, bis sie diese Leistung erbringen können. Höchste Eisenbahn also. Wenn wir uns vor der Hitze schützen wollen, müssen wir diese Entscheidung heute treffen und nicht morgen.

Mit dem Volksentscheid Baum, dem "BaumEntscheid" in Berlin wollen Sie Vorreiter sein. Sie haben für Ihren Entwurf für ein Berliner Klimaanpassungsgesetz 33.000 Unterschriften gesammelt. Er wird im nächsten Schritt vom Senat geprüft. Das komplexeste Volksbegehren-Gesetz, das Berlin je gesehen hat.

Richtig, unser "BäumePlus-Gesetz" sieht vor, bis 2040 auf beiden Straßenseiten alle 15 Meter einen gesunden Straßenbaum gepflanzt zu haben, der kühlt und Schatten spendet. Außerdem sollen 1.000 Mini-Parks mit mindestens 30 Quadratmetern und 100 größere Parks à ein Hektar angelegt werden. Die Hitzehotspots, ein Drittel der Stadtfläche, sollen um zwei Grad gekühlt werden und das Regenwasser soll dort zu 50 Prozent aufgefangen werden. Mit einem Volksentscheid kann tatsächlich Realpolitik verändert werden – und im Idealfall kopieren das auch andere Städte. Tatsächlich haben wir schon 80 Prozent Rückhalt laut Umfragen, auch 70 Prozent bei CDU- und AfD-Wählern einmalig bei Klimathemen in Deutschland.

Welche Konzepte für wetterfeste Städte gibt es noch?

Vom Baum ist es nicht weit zur sogenannten Schwammstadt. Denn Bäume brauchen Wasser zum Leben. Macht man den Boden aufnahmefähiger, sorgt man also dafür, dass der Regen tief in den Boden einsickern kann, fungiert die Stadt wie eine Art Schwamm. Dazu bräuchte es mehr Dachbegrünung und der Asphalt müsste an vielen Stellen geöffnet werden für Büsche und Gras. Das saugt die brachialen Wassermassen der zunehmenden Starkregenwetter auf. Außerdem gibt es die Möglichkeit, ganz simpel gesagt, die Farben der Stadt zu ändern. Denn schwarz heizt sich im Sonnenlicht auf, es wird also heißer; weiß hingegen wirft das Sonnenlicht zurück.

"Möglicherweise müssen wir uns an einem Punkt entscheiden: entweder Denkmalschutz, um alte Gebäude zu schützen, oder Klimaanpassung, um Menschen zu schützen."

Klimapolitiker Heinrich Strößenreuther

Klingt nicht so kompliziert. Warum sind wir da noch nicht weiter?

Es kostet leider viel Geld. Um Berlin wetterfest und hitzesicher zu machen, um die nötigen Bäume zu pflanzen und zu pflegen, müssten rund sieben Milliarden Euro bis 2040 investiert werden. Das sind gut 500 Millionen im Jahr beziehungsweise 130 Euro pro Einwohner und Jahr. Das muss auch politisch gewollt werden in der Haushaltsplanung. Ein anderer Grund: der Platzkonflikt in der Stadt. Autos heizen die Stadt auf, Bäume kühlen. Mit versierter Carsharing-Politik und mehr autonomen Fahrzeugen kann weiter Auto mit deutlich weniger Parkflächenbedarf gefahren werden.

Eine Stadt von heute auf morgen umkrempeln, die möglicherweise auch noch den Denkmalschutz bedenken muss, ist vermutlich schwierig.

Es geht oft mehr, als man anfangs denkt. Möglicherweise müssen wir uns an einem Punkt entscheiden: entweder Denkmalschutz, um alte Gebäude zu schützen, oder Klimaanpassung, um Menschen zu schützen. Wenn beides gleichzeitig geht, prima. Wenn nicht, müssen wir angesichts zunehmender Hitze, Dürre und Klimawandel die Prioritäten neu setzen.

Sind wir nicht schon zu spät, wenn es diesen Sommer über 40 Grad heiß werden soll?

Wir haben bei der Klimapolitik zwei große Aufgaben: dafür sorgen, dass CO2 eingespart wird, dass ab 2045 kein Gas, Öl oder Kohle mehr verbrannt wird – und uns vor dem Klima schützen. Südspanische Städte beispielsweise sind die Hitze gewöhnt. Schmale Gassen bewirken, dass das Sonnenlicht nicht so tief in das Straßenfeld eindringen kann. In Deutschland, gerade Berlin, mit den breiten Straßen, knallt die Sonnenfront voll rein. Wir kommen also nicht drumherum, uns mit Klimaanpassungspolitik zu beschäftigen – und zwar flächendeckend in den bestehenden Häuserschluchten und betonierten und asphaltierten Flächen.

Klimaanpassungspolitik in Städten ist meist Kommunalpolitik, maximal Ländersache. Hat der Bund da überhaupt Mitspracherecht?

Ende 2023 wurde das Klimaanpassungsgesetz vom Bundestag verabschiedet. Das gibt Bund, Ländern, aber auch Gemeinden einen verbindlichen Rahmen. Die Bundesregierung verpflichtet sich damit, eine Klimaanpassungsstrategie mit messbaren Zielen zu verfolgen. Gleiches gilt für die Kommunen. Auch hier stellt sich die Kostenfrage: Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass von den 500 Milliarden Euro Sonderschulden nicht nur 100 Milliarden für Klimaschutz abgehen. Wir brauchen sicher auch 100 bis 200 Milliarden für die Klimaanpassungspolitik, also für Schutz vorm Klima. Das wurde bislang nicht eingeplant.

"Die ersten Aussagen der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fand ich erschreckend. Man hat den Eindruck, sie hat die Dringlichkeit im Klimaschutz nicht verstanden."

Klimapolitiker Heinrich Strößenreuther

Wir haben viel über die Kostenpunkte der Klimaanpassung gesprochen. Verschiedene Schätzung verdeutlichen aber, dass die Klimafolgekosten um ein Vielfaches höher ausfallen werden, sollten wir jetzt nichts ändern. Verschließt die Politik davor die Augen?

Ich glaube, das klimapolitische Fachwissen ist oft zu wenig ausgeprägt, um die Zusammenhänge zu verstehen. Bei den Grünen ist es möglicherweise zu wenig Mut, zu wenig überzeugende Konzepte und zu naive Klimakommunikation. Für meine ehemalige Partei, die CDU, kann ich nur sagen: Sie ist mit ihrer Klimapolitik sogar noch weit unter das Niveau von Merkel und Laschet zurückgefallen. Verheerend für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Klingt wenig hoffnungsvoll für die kommenden Jahre.

Die ersten Aussagen der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fand ich erschreckend. Man hat den Eindruck, sie hat die Dringlichkeit im Klimaschutz nicht verstanden, weder für unsere Heimat noch für die deutsche Wirtschaft, um sich in der globalen Transformation nicht abhängen zu lassen. Gut, dass uns die EU-Gesetzgebung und die wegweisenden Klimaurteile des Bundesverfassungsgerichts schützen. Dennoch müsste es schneller vorangehen mit einer Partei, die mit dem Christlichen in ihrem Namen der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet wäre, aber genau das Gegenteil tut. Die Beschleunigung im Klimaschutz, die wir unter der Ampel-Regierung, trotz aller Kritik, erlebt haben, wird es mit der GroKo nicht mehr geben. Um mit dem Luther-Zitat zu schließen: Wenn morgen die Welt untergeht, pflanze ich heute noch ein Apfelbäumchen. Genau das wollen wir mit dem "BaumEntscheid" erreichen, allerdings eine Million gesunde Straßenbäume in Berlin.

Über den Gesprächspartner

  • Heinrich Strößenreuther (Jahrgang 1967 aus Wilhelmshaven) hat zunächst Wirtschaftsinformatik studiert, ist inzwischen mehrfacher Klima-NGO-Gründer, Klima- und Verkehrsexperte, Lobbyist und langjähriger Umweltaktivist. Er hat mit dem Volksentscheid Fahrrad, der zum Berliner Mobilitätsgesetz führte, sowie Initiativen wie Changing Cities, GermanZero, KlimaUnion und "BaumEntscheid" bundesweit Veränderungen erwirkt.