Sie werden nicht einfach: die Jahre in der außerparlamentarischen Opposition. Nach dem Bundestags-Aus wollen die Liberalen auf ihrem Parteitag in Berlin an diesem Wochenende den Wiederaufbau organisieren. Die neue Mannschaft soll künftig der ehemalige Fraktionschef Christian Dürr koordinieren. Kann das gelingen?

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Laura Czypull und Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Christian Dürr freut sich, nimmt Glückwünsche entgegen, bevor er unter Applaus ans Mikro tritt und seine Worte an den Bundesparteitag der Freien Demokraten richtet. "Heute fängt die Arbeit an", sagte er knapp. Als recht unspektakulär kann dieser Auftritt gewertet werden.

Mehr News zur Innenpolitik

Mit 82 Prozent wurde Dürr zum neuen Parteivorsitzenden der Liberalen gewählt. Ein solides, aber kein berauschendes Ergebnis. Jetzt gilt es: Schafft Dürr es, seine neue Mannschaft um sich zu versammeln und die FDP wieder aufzurichten oder werden auch nach dieser Legislatur weitere Jahre in der außerparlamentarischen Opposition (APO) folgen?

Sein Team ist jünger – er setzt aber auch auf Kontinuität. Dürr selbst war zuletzt Fraktionschef, ist bestens vernetzt in der Partei – und Niedersachse. Das könnte der FDP in ihrer APO-Zeit einen Aufschwung geben. Denn 2027 ist Landtagswahl in Dürrs Bundesland. Auch die Landtagswahlen im kommenden Jahr in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz könnten der FDP zugutekommen. Denn hier regiert sie derzeit bereits mit. Dürr muss zeigen, dass er das für sich zu nutzen weiß.

FDP-Chef Dürr setzt auf Kontinuität – und Verjüngung

Neben dem Parteichef soll die 40-jährige Nicole Büttner als Generalsekretärin aufgebaut werden. Ihre Wahl ist erst am Samstag. Sie soll den Posten von Ex-Justizminister Marco Buschmann übernehmen, der wie Christian Lindner nach der Wahlpleite auch seinen Rücktritt angekündigt hatte. Büttner ist bundespolitisch ein unbeschriebenes Blatt. War bisher weder Mitglied des Bundesvorstandes ihrer Partei noch Teil der Bundestagsfraktion. Sie hatte im Vorfeld bereits angekündigt, eine "ungewöhnliche FDP-Generalsekretärin" sein zu wollen, wie die "WirtschaftsWoche" die Politikerin zitierte.

"Neue Köpfe bringen neue Perspektiven und Impulse mit. Nicole Büttner ist eine erfolgreiche Unternehmerin, sie kennt sich mit Zukunftsthemen wie Digitalisierung und KI aus. Sie kennt die Herausforderungen, vor denen die Wirtschaft steht, besser als so mancher Berufspolitiker", zitierte die "Rheinische Post" Dürr kürzlich zu seiner neuen Generalsekretärin. In der Partei ist man vorsichtig optimistisch, mindestens aber gespannt, was von der Personalie zu erwarten ist.

Die Verjüngung der Partei unterstützen sollen zudem die beiden neuen Vize-Parteichefs Svenja Hahn (35 Jahre) und Henning Höne (38 Jahre). Hahn ist Abgeordnete im Europaparlament, Höne Fraktions- und Landesparteichef in Nordrhein-Westfalen. Für Kontinuität hingegen steht Wolfgang Kubicki. Er wurde mit 69 Prozent erneut zum Stellvertreter gewählt. Kein gutes Ergebnis. Hahn und Höne kommen auf jeweils 76 Prozent.

Doch eine neue Mannschaft reicht nicht allein, um wieder oben mitzuspielen. Zur Bundestagswahl hat sich die FDP an die Seitenlinie manövriert und ist dann krachend abgestiegen. Christian Dürr braucht mehr für seinen Aufstiegsplan.

Alles neu in der FDP oder nur aufgewärmt?

Die Noch-Chefin der liberalen Nachwuchsorganisation Junge Liberale (JuLis), Franziska Brandmann, hatte unlängst ein neues Grundsatzprogramm ihrer Mutterpartei gefordert – und damit eine inhaltliche Rundumerneuerung. Lange hatte Christian Dürr sich dazu nicht positioniert.

Im Gespräch mit unserer Redaktion am Rande des Parteitags sagte Brandmann dazu: "Christian Dürr war Vorsitzender der Fraktion, die aus dem Bundestag geflogen ist. Er muss jetzt deutlich machen, wie er trotzdem einen Neuanfang schaffen will. Der erste Schritt, den ich von ihm erwarte, muss ein neues Grundsatzprogramm sein das letzte stammt aus dem Jahr 2012. Wir müssen mit der Zeit gehen und uns auch inhaltlich neu kalibrieren." Auf dem Parteitag machte Dürr dann klar: Er sieht das ähnlich.

Ein neues Grundsatzprogramm könnte die Partei neu eichen, sie wieder vereinen. In der Vergangenheit hat sich die FDP immer wieder selbst zerfleischt, die Ansichten krachten aufeinander, führten zu keiner praktikablen Lösung. Dürrs Vorgänger Christian Lindner hat es trotzdem irgendwie geschafft, die Flügel der Partei auszugleichen, die Liberalen immer wieder hinter sich zu versammeln. Kann Dürr das auch?

Die Liberalen müssen klären, welche Partei sie sein wollen

Von der Antwort wird abhängen, ob die FDP eine Zukunft hat. Dafür müssen die Liberalen klären, welche Partei sie eigentlich sein wollen. Das konservative Lager möchte die FDP als Interessenpartei fest an der Seite der Union positionieren. Im Zweifel auch rechts davon. Dazu gehört der Flirt mit libertären Inhalten à la Musk und Milei.

Die Progressiven werben für Eigenständigkeit, für die stärkere Betonung von Bürgerrechten und einen Liberalismus, der mehr zu bieten hat als Steuersenkungen. "Vor allem sollten wir eines jetzt nicht: uns selbst radikalisieren", sagte der niedersächsische FDP-Chef Konstantin Kuhle im Interview mit unserer Redaktion.

Ein neues Grundsatzprogramm soll hier nun tatsächlich Antworten liefern, jedenfalls wenn Christian Dürr seinen Vorschlag in die Tat umsetzt. Spätestens bis zu den Landtagswahlen im kommenden Jahr muss man sie gefunden haben, die Antworten.

FDP-Auferstehung: Was dafür jetzt passieren muss

Doch nicht nur um interne Probleme muss sich Christian Dürr jetzt kümmern. Was der FDP zudem fehlt, ist eine Wählerbasis, die sie zuverlässig über die Fünf-Prozent-Hürde hievt. Die Grünen haben das. Die Liberalen müssen von Wahl zu Wahl zittern. Das hat auch damit zu tun, dass andere Parteien sich im liberalen Milieu breitmachen.

"Der historische Liberalismus ist längst nicht mehr an die FDP gebunden", sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer kürzlich in einem Gespräch mit unserer Redaktion. "Die Union bietet Wirtschaftsliberalismus an, die Grünen Bürgerrechtsliberalismus und in der SPD gibt es sozialliberale Traditionen", meint Vorländer.

Dafür wird es jetzt auf die Themensetzung ankommen. Christian Dürr will die Themen wieder nah an die Menschen bringen. Dafür sorgen, dass sie merken, die liberalen Themen betreffen sie auch persönlich und nicht nur die Wirtschaftslenker. "Als Freie Demokraten sollten wir größer denken", sagte Dürr in seiner Rede vor seiner Wahl zum Parteichef. Ein "programmatisches Angebot mit Mut" solle die FDP den Menschen machen. Was er damit konkret meint, ließ er aber unbeantwortet. Die Parteibasis setzt aber genau hierein ihre Hoffnung. Dass Dürr jetzt liefert, die FDP rettet, wie einst Lindner es getan hat.

Jetzt müssen Dürr und seine Mannschaft liefern

Die erste Hürde hat Christian Dürr am Freitagabend genommen. Der Parteitag hat ihn ins Amt gehoben. Die Aussprache am Nachmittag hat gezeigt, dass die Basis zwar nicht rebelliert, es aber durchaus deutliche Kritik daran gibt, wie sich die FDP zuletzt präsentiert hat.

Einer der Verantwortlichen dafür: Christian Dürr, der ehemalige Fraktionschef und jetzt Lindner-Nachfolger. Letzterer ist weg. Jetzt müssen Dürr und seine Mannschaft liefern.

Verwendete Quellen:

  • Besuch des Bundesparteitags der FDP