Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Die Politologin Ursula Münch erklärt, wer sich wo durchgesetzt hat und warum sie der künftigen Regierung deutlich mehr zutraut als der Ampel.
Als die Parteichefs von Union und SPD am Mittwoch vor großem Publikum im Paul-Löbe-Haus den Koalitionsvertrag präsentieren, betont jeder seine Erfolge.
Doch wer musste welche Kröte schlucken? Und wie glaubwürdig ist die zur Schau gestellte Einigkeit von Quasi-Kanzler
Frau Münch, ein Koalitionsvertrag ist immer ein verschriftlichter Kompromiss. Wer hat mehr für sich herausgeholt, Union oder SPD?
Ursula Münch: Inhaltlich sehe ich keinen Ober oder Unter. Ich empfinde das als relativ ausgewogen. Auffallend ist die Ressortverteilung. Zehn Ministerien für CDU und CSU, sieben für die SPD. Da haben sich die Sozialdemokraten gut durchgesetzt.
Den deutlichen Politikwechsel, den Merz im Wahlkampf versprochen hat, wird es also nicht geben?
Dass Merz seine vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampf so nicht wird umsetzen können, muss sowohl der Union klar gewesen sein als auch ihrer Wählerschaft. Zumal das Wahlergebnis ja nochmal nennenswert schlechter ausgefallen ist als CDU und CSU sich das ein paar Wochen vor der Bundestagswahl noch ausgemalt hatten. Eine Regierungsbildung ist in Deutschland zwangsläufig davon geprägt, dass man auf den Koalitionspartner zugehen muss. Und wenn man dem Koalitionspartner, wie im Fall der Union, noch nicht mal mit einer Alternative drohen kann, muss man auch als stärkerer Partner deutliche Zugeständnisse machen.
Aber gleich ein zentrales Wahlversprechen brechen, wie Merz es mit der Reform der Schuldenbremse getan hat, muss man nicht. Hat er zu verantworten, dass die AfD seit der Bundestagswahl in Umfragen nochmal zugelegt hat?
Das Umfragehoch der AfD ist meines Erachtens ganz klar eine Reaktion darauf. Viele Wählerinnen und Wähler der Union hat das durchaus verärgert und diese Umfrageergebnisse sind ihr Protest. Aber das ist eine Momentaufnahme. Das heißt nicht, dass sich das dauerhaft so festsetzt.
Sehen Sie im Koalitionsvertrag Maßnahmen, die das Zeug haben, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Ganz klar: ja. Zuvorderst beim Thema Migration. Kontrolle an allen deutschen Staatsgrenzen, Stopp des Familiennachzugs, Bezahlkarte für Flüchtlinge oder, dass Flüchtlinge aus der Ukraine nicht länger Bürgergeld erhalten. Das sind Themen, über die gerade AfD-Anhänger sehr lautstark lamentiert haben. Da mussten die Sozialdemokraten auch mit Blick auf die eigene frühere Wählerschaft deutliche Zugeständnisse an die Union machen. Ich denke aber auch an Digitalisierung, Verschlankung des Staats und Modernisierung der Infrastruktur. Wenn hier Verbesserungen gelingen, wird das die Unzufriedenheit der Menschen mindern und die AfD Stimmen kosten.
In der Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag haben die Parteivorsitzenden mehrfach betont, dass sämtliche Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Ist da Streit ums Geld, woran die Ampel zerbrochen ist, vorprogrammiert?
Union und SPD haben zwar den Schuldenrahmen deutlich ausgeweitet, aber er ist dennoch beschränkt. Und die 500 Milliarden Euro Sondervermögen für die Infrastruktur verteilt auf zwölf Jahre werden garantiert nicht reichen. Es wird natürlich Auseinandersetzungen um Ressourcen geben. Die gibt es aber in jeder Koalitionsregierung.
CDU-Chef Merz und SPD-Chef
Die Querschüsse in der Ampel kamen vor allem von der FDP und von den Grünen. Von den einen mit Blick auf die Finanzen, von den anderen mit Blick auf Minderheitenrechte. Bei allen Unterschieden zwischen Union und SPD sehe ich bei dieser Regierung mehr Chancen für Einigungen als ich sie in der Ampel gesehen habe. Noch dazu ist der innenpolitische Druck, aber auch der außenpolitische Druck durch Russland und die USA zurzeit immens. Ich glaube, das wirkt. Das hat sich jetzt schon in der relativ kurzen Verhandlungsdauer gezeigt und jenseits von Herrn
Zur Person
- Prof. Dr. Ursula Münch ist seit 2022 Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Zuvor lehrte sie Politikwissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München. Sie forscht unter anderem zu Parteien, dem Föderalismus sowie zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf Politik und Gesellschaft.