Der Strompreis ist überall in Deutschland gleich. Damit soll bald Schluss sein. Die EU will das Land in fünf Strompreiszonen aufteilen. Die einen freut's, die anderen wüten. Im Interview erklärt ein Strommarktexperte, warum sich eine Seite wohl durchsetzen wird.

Ein Interview

Ein windiger Tag in Norddeutschland. Unzählige Rotorblätter wirbeln in der steifen Brise. Windräder produzieren Strom im Überfluss. Und dennoch werden im Süden Gaskraftwerke angeworfen. Der Strompreis steigt. Dieses absurde Schauspiel findet an vielen Tagen in Deutschland statt und könnte doch so einfach der Vergangenheit angehören.

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Strompreiszonen könnten den Preis im Norden stabil halten, während er im Süden ein wenig steigt. Das gefällt vor allem den Unternehmen und Politikern im Süden nicht. Und auch in der Bundesregierung sträubt man sich noch, Deutschland zu teilen.

Aber spätestens in knapp sechs Monaten könnte die EU Ernst machen und Deutschland zwingen, mehrere Strompreiszonen einzuführen. Warum das Festhalten an einer Zone jährlich mehrere Milliarden Euro kostet und die EU-Nachbarn gegen uns aufbringt, erklärt der Programmleiter Strom von Agora Energiewende, Philipp Godron, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Deutschland soll in fünf Strompreiszonen aufgeteilt werden. Aber was sind Strompreiszonen genau, Herr Godron?

Philipp Godron: Strompreiszonen sind Regionen, teilweise ganze Länder – manchmal auch über Landesgrenzen hinweg -, in denen der Großhandelspreis für Strom an der Strombörse identisch ist. Dabei ist es egal, ob der Verbraucher in Regensburg oder Rostock sitzt.

Philipp Godron, Programmleiter Strom bei Agora Energiewende. © Agora Energiewende

Bislang besteht Deutschland aus einer Strompreiszone, oder?

Richtig, Deutschland bildet zusammen mit Luxemburg eine einheitliche Strompreiszone. Hier kann jeder Erzeuger seinen Strom an der Börse in Leipzig (EEX) handeln.

Wie sieht es diesbezüglich in anderen Ländern aus?

Die skandinavischen Länder sind bereits in mehrere Strompreiszonen aufgeteilt. Auch in Italien ist das der Fall. Frankreich, Spanien und Polen hingegen bestehen jeweils nur aus einer Zone. 

"Nachbarländer fühlen sich durch deutsche Strompolitik und deutsche Netze benachteiligt."

Philipp Godron, Angora Energiewende

Wenn es also beide Varianten gibt, wie kommt die EU nun dazu, für Deutschland mehrere Strompreiszonen zu fordern?

Unser Strommarkt ist Teil des europäischen Binnenmarkts. Für den hat die EU Regelungen erlassen, um Güter und Dienstleistungen möglichst ohne Hindernisse länderübergreifend handeln zu können.  

Lassen Sie mich raten, in Deutschland gibt es Hindernisse.

Tatsächlich gibt es schon seit 15 bis 20 Jahren die Debatte, dass sich Nachbarländer durch die deutsche Strompolitik und die deutschen Netze benachteiligt und behindert fühlen.  

Wie das?

Im deutschen Stromnetz kommt es immer wieder zu Engpässen. Es steht eben nicht zu jeder Stunde am Tag in Rostock oder Regensburg gleich viel Strom zur Verfügung. Und wenn jetzt beispielsweise Strom vom Norden in den Süden fließen soll, kann es sein, dass durch die Engpässe im deutschen Netz der Strom eine Schleife über Polen drehen muss und er dann dort das Netz "verstopft".  

Das rief also die EU auf den Plan.

Genau. ACER, die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, hat sich das deutsche Netz und die Netzbetreiber angeschaut und untersuchen lassen, in wie viele Zonen man Deutschland aufteilen müsste, um am effizientesten und kostengünstigsten zu sein. Dabei kamen fünf Zonen heraus. So ähnlich hat es die EU beispielsweise auch mit Schweden gemacht.  

"Die Kosten des Redispatch machen im Jahr mehrere Milliarden Euro aus – Tendenz steigend."

Philipp Godron, Agora Energiewende

Und wo genau ist die Verbindung zwischen Engpässen im Netz und Strompreiszonen?

Nehmen wir an, an einem windigen Tag wird im Norden viel Strom erzeugt. Das Angebot ist also groß, was zu einem niedrigen Preis führt. Wenn es jetzt aber immer mehr Unternehmen und Verbraucher in Süddeutschland gibt, die auf einen niedrigen Preis reagieren, um beispielsweise günstig ihr E-Auto zu laden, entstehen Netzengpässe. Das heißt, dass nicht genügend Strom aus dem Norden in den Süden gelangen kann.  

Was passiert dann?

Dann findet ein sogenannter Redispatch statt. Das heißt, um den Strombedarf im Süden zu decken, werden dort Gaskraftwerke angeschaltet. Diese verlangen wegen des Einsatzes von teurerem Erdgas einen höheren Preis. Und weil der günstige erneuerbare Strom im Norden nicht vollständig verkauft werden kann, müssen dort gleichzeitig Windkraftanlagen abgeschaltet werden. Dafür erhalten die Produzenten eine Entschädigung. Die Kosten des Redispatch werden auf die Verbraucher umgelegt. Das macht im Jahr mehrere Milliarden Euro aus – Tendenz steigend.

Und was würden mehrere Preiszonen an dem Szenario ändern?

Bis zur Netzkapazitätsgrenze wäre der Preis in allen Zonen gleich. Wenn aber dann aus einer Zone – sagen wir Süddeutschland – mehr nachgefragt wird, steigt dort der Preis und in der Zone, in der mehr produziert wird – beispielsweise Nord- oder Ostdeutschland –, wird er günstiger.  

Für die einen wird es teurer, für die anderen günstiger. Hört sich nach einer Nullrechnung an?

Nach unseren Analysen, wie auch nach dem von ACER beauftragten Bericht, überwiegen tatsächlich die Vorteile. Aber nicht alle profitieren im gleichen Maße. Vor allem Industriebetriebe machen sich Sorgen, die sie an die Politik richten.  

Berechtigte Sorgen?

Eine große Stärke eines Systems mit mehreren Strompreiszonen kommt tatsächlich allen Verbrauchern zugute: Es werden genauere Signale gesendet als in einer einheitlichen Zone. Der Preis spiegelt also viel besser die tatsächliche Marktlage und Netzauslastung wider. Von diesen Effizienzgewinnen können am Ende alle Verbraucher profitieren.

"Grundsätzlich ist ein gut ausgebautes Netz effizienter, verursacht weniger Probleme und senkt die Kosten."

Philipp Godron, Agora Energiewende

Was haben Ihre Analysen noch ergeben?

Wir haben Deutschland in unserer Analyse statt in fünf sogar in 22 Zonen eingeteilt. Dabei hat sich herausgestellt, dass in dem oben beschriebenen Fall der Preis in 18 Zonen sinken würde. Nur in vier Zonen würde er steigen, allerdings so geringfügig, dass das für Haushaltskunden kaum spürbar wäre. Da zudem die vorher beschriebenen Ausgleichszahlungen nahezu wegfallen würden, wäre Geld frei, Industriebetrieben in den vier genannten Zonen finanziell unter die Arme zu greifen. Aber es gibt noch einen anderen Vorteil, abgesehen von dem wirtschaftlichen.

Der wäre?

Mehrere Strompreiszonen dienen auch der Versorgungssicherheit. Denn schon jetzt sind Eingriffe in den Strommarkt wie der Redispatch sehr kompliziert und sie werden noch anspruchsvoller, wenn wir mehr E-Autos und Wärmepumpen haben – die wir ja brauchen. Kleinere Zonen können so die Widerstandsfähigkeit unseres Netzsystems erhöhen.

Der deutsche Netzausbau läuft eher schleppend – vor allem der Ausbau der Stromleitungen von Nord nach Süd. Wenn Deutschland jetzt mehr Strompreiszonen einführt, ist der Netzausbau dann erst einmal nicht mehr so wichtig?

Grundsätzlich ist ein gut ausgebautes Netz effizienter, verursacht weniger Probleme und senkt die Kosten. Jedoch hat der Bundesrechnungshof jüngst in einem Bericht festgestellt, dass wir mit dem Netzausbau etwa sieben Jahre hinterher sind. Dieser Rückstand lässt sich verringern, aber uns muss klar sein: Es wird nicht komplett ohne Redispatch gehen, denn die Netze bis zur letzten Kilowattstunde auszubauen, lohnt sich nicht. Strompreiszonen würden aber sogar dem Netzausbau helfen.

Das müssen Sie erklären?

Dort, wo die Strompreisunterschiede sehr groß sind, würde sich ein Netzausbau besonders lohnen. Das hilft den Netzbetreibern, ihre Ausbaupläne zu priorisieren.  

Union und SPD haben in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass es mit ihr keine Aufteilung in verschiedene Strompreiszonen geben wird. Kann sie das so durchsetzen?

Das Problem der Ineffizienzen wird von Jahr zu Jahr größer und damit auch teurer. Spätestens ab 2030 brauchen wir hier eine Lösung – für günstigere Strompreise und ein sicheres Stromsystem. Das sagen Energieökonomen fast unisono, und das erkennen auch immer mehr Verantwortliche in der Energiewirtschaft. Die Regierung sollte sich der Debatte offen stellen und das Problem gemeinsam mit allen Betroffenen – und den europäischen Partnern – fair und mit Weitblick angehen.

Über den Gesprächspartner

  • Philipp Godron ist Programmleiter Strom bei Agora Energiewende. Mit seinem Team arbeitet er zu Fragen rund um die Transformation zu einem klimaneutralen Stromsystem in Deutschland. Bei Agora Energiewende wird mit einem interdisziplinären und internationalen Team sowie in engem Austausch mit Stakeholdern wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Konzepte für den erfolgreichen Weg zur Klimaneutralität erarbeitet. Die Organisation entwickelt Konzepte zu Fragen der übergeordneten Klimapolitik und zur Dekarbonisierung des Energiesystems in Deutschland, Europa und international.