Der Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz zeigt: Die Demokratie in Deutschland steht unter Druck. Einen besonderen Anstieg gibt es im Bereich des Rechtsextremismus.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Anzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten ist im vergangenen Jahr auf eine "erschreckende Zahl" angestiegen, sagt Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2024. Konkret sei das rechtsextremistische Personenpotenzial auf mehr als 50.000 angestiegen – doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren.

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Mit dem Personenpotenzial sei auch die Gewaltbereitschaft angestiegen. Die Zahl der vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als gewaltorientiert eingeschätzten Rechtsextremisten stieg im vergangenen Jahr erneut – um 800 Personen – auf nunmehr 15.300. Die Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund sind laut Bericht ebenfalls auf 38.000 gestiegen.

Dobrindt zeigt Entwicklung rechtsextremen Personenpotenzials
Bundesinnenminister Dobrindt zeigt mithilfe einer Grafik, wie sich die Zahl der Rechtsextremisten verändert hat. © picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Das neue Personenpotenzial von 50.000 Menschen entspricht einem Anstieg um rund 23 Prozent. Das hat unter anderem mit dem Mitgliederzuwachs bei der AfD zu tun. Laut Verfassungsschutzbericht wurden im vergangenen Jahr 20.000 Mitglieder der Partei dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zugeordnet. Die AfD hatte nach eigenen Angaben im November 50.000 Mitglieder. Seit 2024 wird sie vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet.

Zwischenzeitlich hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD nicht mehr nur als Verdachtsfall, sondern als gesichert rechtsextrem eingestuft. Eine Einordnung, gegen die die Partei vor Gericht Einspruch eingelegt hat. Bis zum Urteil hält sich der Geheimdienst an eine sogenannte Stillhaltezusage: Das BfV führt die AfD bis zum Urteil nicht als gesichert extremistisch.

Dobrindt sieht AfD-Verbot kritisch

Auch bei der Vorstellung des Jahresberichts wollen weder Dobrindt noch BfV-Vizepräsident Sinan Selen konkret auf die Einstufung der AfD eingehen. Die Partei werde als Verdachtsfall geführt – für alles Weitere müsse zunächst das Gerichtsurteil abgewartet werden. Man sehe in dem Jahresbericht zudem, dass eine Vielzahl von Parteien und Vereinigungen und deren Mitglieder in Teilen dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden könnten.

Sprich: Der Anstieg liege nicht nur an der AfD. Vielmehr habe man es häufig auch mit unstrukturiertem Rechtsextremismus zu tun. BfV-Vize Selen ergänzt: Die AfD habe eher eine Scharnierfunktion inne. Durch die Partei und ihre Mitglieder werden Themen aufgegriffen und in den Gesamtdiskurs überführt. Die AfD sei also eine "Teilmenge vom Gesamtphänomen".

Auf die Frage einer Journalistin zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren gibt Dobrindt seine persönliche Einschätzung: Aus seiner Sicht als CSU-Politiker Alexander Dobrindt ist die AfD eine rechtsextreme Partei. Aber: Statt die Partei verbieten zu wollen, müsse es darum gehen, sie aus der Mitte heraus "wegzuregieren".

Wie dieses "Wegregieren" aussehen soll? Dobrindt verliert sich in Floskeln. Probleme im Land müssten gelöst, Lösungen gefunden werden. In diesem Zusammenhang spricht der Innenminister außerdem davon, dass die Polarisierung, die gerade der Rechtsaußenpartei nützt, aufgelöst werden muss. Inwiefern seine eigene umstrittene Asylpolitik die genannte Polarisierung auflösen kann, sagt Dobrindt nicht.

Der Minister zweifelt offenbar den Erfolg eines möglichen Verbotsverfahrens an. Aus seiner Sicht bezieht sich die Debatte darum vor allem auf das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur AfD. Ein Gutachten, das laut Dobrindt nicht als Grundlage für ein solches Verfahren reicht.

Denn: Ein Parteienverbot hat hohe Hürden. So muss etwa eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die Demokratie, den Rechtsstaat oder die Menschenwürde nachgewiesen werden. In besagten Gutachten gehe es vor allem um das Menschenbild der AfD. Wie "Tagesschau" berichtet, wäre allerdings auch eine Partei, die "nur" die Menschenwürde angreift, verfassungsfeindlich.

Sorge um junge Radikale

Größere Sorgen als die AfD bereiten Dobrindt wie Selen die jungen Radikalen. Also junge Menschen, die sich gerade im digitalen Raum radikalisieren und gewaltbereite Subkulturen bilden. Der Verfassungsschutz-Vize nennt in diesem Zusammenraum sowohl den Bereich des Rechtsextremismus als auch des Islamismus.

Zahlen gebe es hier noch nicht. Aber es sei deutlich zu erkennen, dass Extremisten speziell Foren ansteuern, in denen sich vorrangig junge Menschen bewegten. Die Taten in der realen Welt – oder im analogen Raum, wie Selen es nennt – seien ein guter Indikator für die These, dass es offensichtlich eine Radikalisierung junger Menschen gibt.

Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, mahnt das Problem radikalisierter Jugendlicher an. Er erklärte auf eine frühere Anfrage dieser Redaktion: "Schule muss ein Schutzraum sein – und nicht der Ort, an dem rechte Parolen, Antisemitismus oder Queerfeindlichkeit geduldet werden. Doch genau das passiert. Immer öfter. Und immer offener." Er forderte in dem Zusammenhang: "Demokratie muss man machen – und das fängt im Klassenzimmer an."

Bedrohung kommt nicht nur von rechts

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands steht aber nicht nur von rechts unter Druck. So beobachtet der Verfassungsschutz aktuell wieder einen leichten Zuwachs bei islamistischen Gruppierungen. Das Islamismuspotenzial stieg um knapp vier Prozent auf 28.280 Personen an. Das gewaltorientierte islamistische Personenpotenzial, das in diesem Jahresbericht erstmals ausgewiesen wird, schätzt die Sicherheitsbehörde auf 9.540 Personen.

Auch die Anzahl der Linksextremisten wuchs 2024 laut BfV von 37.000 auf etwa 38.000. Bei den als gewaltorientiert eingeschätzten Linksextremisten blieb das Personenpotenzial jedoch mit 11.200 Extremisten auf dem Niveau des Vorjahres.

Verwendete Quellen

  • Vorstellung des Jahresberichts in der Bundespressekonferenz
  • Mit Material der dpa
Teaserbild: © picture alliance / Andreas Gora/Andreas Gora