Seine Kritiker nennen Baschar al-Assad einen Kriegstreiber, seine Befürworter sehen im syrischen Staatspräsidenten eine Chance für Stabilität im Bürgerkriegsland. Im Interview erklärt ein Nahost-Experte, an welcher These mehr dran ist und ob ein Frieden absehbar überhaupt realistisch ist.
Syrien sehnt sich nach Frieden. Doch ist ein solcher auch mit
Herr Meyer, ist es realistisch, dass es in Syrien in absehbarer Zeit Frieden gibt.
Prof. Dr. Günter Meyer: Ein Frieden in Syrien ist auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich. Sie haben auf der einen Seite das Regime, das von Russland und dem Iran unterstützt wird. Das Regime setzt auf die Eroberung des Ostteils von Aleppo. Jedoch kontrolliert diesen Teil die Nusra-Front, der Ableger von Al-Kaida, gemeinsam mit anderen dschihadistischen Extremisten. Wir hören ständig davon, dass die Zivilbevölkerung von den Russen und dem Regime zerbombt wird. Es ist aber keine Rede davon, dass die Dschihadisten die Waffenruhe von Anfang an abgelehnt haben und die Zivilbevölkerung als menschliches Schutzschild missbraucht wird. Die Scharfschützen der Extremisten verhindern, dass sich die Einwohner im belagerten Ost-Aleppo über die von den Russen geöffneten Korridore in Sicherheit bringen können. Weitgehend verschwiegen wird der seit Tagen anhaltende massive Beschuss der Wohngebiete im Westteil Aleppos durch Raketen und Artillerie der Dschihadisten.
Wenn wir von dschihadistischen Extremisten reden, sprechen wir von unvereinbaren ideologischen und religiösen Standpunkten oder nicht?
Die Dschihadisten geben für ihren Kampf religiöse Motive an. Sie wollen in Damaskus und Syrien ein islamistisches Regime etablieren, um danach die restliche arabische Welt bis einschließlich Europa zu erobern. Allen anderen religiöse Gruppen, von denen die ideologischen Anforderungen der Dschihadisten nicht erfüllt werden, droht Tod oder Vertreibung. Das Assad-Regime wehrt sich mit russischer und iranischer Unterstützung gegen die Machtübernahme durch die religiösen Extremisten und will die Kontrolle über das Land zurückerobern. Eine Niederlage der von den USA unterstützten Rebellen in Ost-Aleppo wäre für Präsident Barack Obama eine riesige Demütigung. Deswegen setzt Washington alles daran, um das zu verhindern.
Klingt bedenklich.
Nehmen wir die Eroberung der nördlich von Aleppo gelegenen Stadt Manbij, ein strategisch wichtiges Zentrum des sogenannten Islamischen Staates. Zwei Monate lang bombardierte die US-geführte Allianz diese IS-Hochburg, ohne Rücksicht auf die dort lebenden etwa 50.000 Zivilisten. Dass dabei unter anderem eine klar erkennbare Großwohnanlage von den Amerikanern bombardiert wurde, 95 Menschen getötet und zahlreiche andere verletzt wurden, war für die meisten Medien kein Thema.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Partnerin der USA, zeigt sich derweil öffentlichkeitswirksam mit Putin, um zu zeigen, dass sie auf den Frieden hinwirke.
Deutschland muss einerseits bündnistreu gegenüber den USA argumentieren. Andererseits versucht die Kanzlerin, die Spannungen zu Russland nicht noch weiter zu verschärfen. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen hat Deutschland kein Interesse daran, dass harte Sanktionen gegen Russland durchgesetzt werden. Deutsche Unternehmen haben viele Milliarden Euro in Russland investiert.
Versucht der Westen nicht vielmehr zu kitten, was er davor versäumt hat?
So wird argumentieren diejenigen, die einen verschärften Militäreinsatz wollen. Das wäre nicht nur ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Die militärische Führung in den USA hatte schon 2013 davor gewarnt, dass mit einem Sturz von Assad ein Machtvakuum entsteht, das von den Dschihadisten ausgefüllt werden würde. Wir haben nun die Wahl zwischen dem Assad-Regime, das als einziges in der Lage ist, Stabilität zurückzubringen und auf eine Friedenslösung hinzuarbeiten. Und zwischen den Dschihadisten, die nach dem Sturz des Regimes die Herrschaft in Syrien an sich reißen würden.
Frieden in Syrien geht also nicht ohne, sondern nur über Assad?
Das ist genau der Punkt. Nur: Wir haben es mit Stellvertreter-Kriegen zu tun. Die ausländischen Mächte setzen alles daran, ihre eigenen politischen Interessen zu verwirklichen. Sie haben nur dann Interesse an einer friedlichen Lösung, wenn sie dadurch ihre eigenen Ziele erreichen können. Die USA wollen verhindern, dass die Russen als "Sieger" dastehen. Die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan will verhindern, dass die Kurden im Norden Syriens ein eigenständiges Gebiet bekommen. Saudi-Arabien führt einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran und will ein salafistisches Regime in Damaskus an die Macht bringen. Katar setzt sich ebenso wie Erdogan für die Herrschaft der Muslim-Bruderschaft in Syrien ein. Iran und Russland wiederum wollen das mit ihnen verbündete Assad-Regime stabilisieren. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der von außen agierenden Mächte, ist die Chance für einen zeitlich absehbaren Frieden extrem gering.
An den Händen Assads klebt, bildlich gesprochen, viel Blut. Welchen Preis müsste man zahlen, wenn man einen Frieden mit ihm anstrebt?
Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes gegen den IS, Einstellung der Waffenlieferungen für die übrigen Dschihadisten, Wiederherstellung der Kontrolle des Assad-Regimes über Syrien und Durchführung von Wahlen. Dann wird sich zeigen, wie groß die Zustimmung für den "Massenmörder" ist. Gegenwärtig kann davon ausgegangen werden, dass sich mindestens zwei Drittel der Syrer für Baschar al-Assad als kleineres Übel entscheiden würden. Nur werden die ausländischen Assad-Gegner ein solches Szenario nicht akzeptieren.
Abschließend: Dass verschiedene Bevölkerungsgruppen eine Übergangsregierung unterstützt von internationaler Hilfe bilden, ist kein realistisches Szenario?
Leider ist das angesichts der militärischen Stärke des Regimes auf der einen Seite und der vom Ausland unterstützten dschihadistischen Extremisten auf der anderen Seite keine realistische Option. Die viel zitierte "moderate" Opposition oder die Freie Syrische Armee als vom Ausland unterstützte dritte Kraft existieren de facto nicht mehr.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.