Die Bundesregierung hat einen Pressebericht dementiert, wonach Kanzler Merz eine "nationale Notlage" ausruft, um mehr Migranten an den Grenzen zurückweisen.

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Bundeskanzler Friedrich Merz will keine "nationale Notlage" in der Asylpolitik ausrufen. "Der Bundeskanzler setzt keinen nationalen Notstand in Kraft", sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag. Zuvor hatte die Zeitung "Welt" berichtet, Merz wolle diese Sonderklausel in Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union aktivieren.

Artikel 72 sieht vor, dass zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" von EU-Recht abgewichen werden kann. Die Nutzung der Klausel hatten CDU und CSU im vergangenen Jahr verlangt, um "umfassende Zurückweisungen" auch von Asylbewerbern zu ermöglichen.

Seitdem sind die Asylzahlen aber deutlich gesunken. Im Januar hatte die vorherige Bundesregierung erneut betont, aus ihrer Sicht seien die Voraussetzungen für die Nutzung der Ausnahmeklausel nicht gegeben.

Zudem wies Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) Befürchtungen zurück, dass die verschärften deutschen Grenzkontrollen nun zum Dauerzustand werden. Man ergreife jetzt Maßnahmen, weil es bislang nicht gelinge, die EU-Außengrenzen wirksam zu schützten, sagte Frei auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. "Aber wir sind uns im Klaren darüber, dass es kein dauerhaftes Ziel sein kann, dass wir wieder Binnengrenzkontrollen in Europa haben. Das widerspricht auch unseren Vorstellungen von Schengen, einem grenzenlosen Europa und vielem anderen mehr", betonte Frei.

Dobrindt verkündet verschärfte Grenzkontrollen

Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte am Mittwoch verschärfte Grenzkontrollen angekündigt, um die Flüchtlingszahlen zu senken. Dazu sollen mehr Bundespolizisten an der Grenze stationiert und fortan auch Asylbewerber zurückgewiesen werden. Ausnahmen soll es für Kinder und Schwangere geben. Dies hatte Proteste bei den Nachbarländern Polen und Schweiz ausgelöst.

Am Donnerstag wurden im Bundesinnenministerium Botschafter der Nachbarstaaten unterrichtet, wie Dobrindts Ressort am Abend im Online-Dienst X mitteilte. Sie seien durch einen Staatssekretär "über die Maßnahmen zur Intensivierung der bestehenden Binnengrenzkontrollen informiert" worden. "Bei diesem Termin wurde gegenseitig betont, dass man weiterhin partnerschaftlich und eng zusammenarbeiten wird", hieß es weiter.

Die Regierungsparteien Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag die Zurückweisung auch von Asylsuchenden vereinbart. Dies soll allerdings "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" erfolgen.

Die Ausrufung der Notlage würde das Dublin-Abkommen aussetzen und Deutschland erlauben, mehr Asylbewerber in die europäischen Nachbarländer zurückzuschicken.

Schritt wäre EU-rechtlich umstritten

Im Asylverfahren ist vorgesehen, dass zumindest eine kurze Befragung und eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt werden müssen, um festzustellen, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.

Allerdings eröffnet das EU-Recht unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, von diesen Regeln abzuweichen. So erlaubt Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Ausnahmen, wenn die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit bedroht ist – eine sogenannte Notlagenklausel.

Ob eine solche Notlage tatsächlich vorliegt und ob eine Berufung auf diese Klausel im konkreten Fall rechtmäßig wäre, ist allerdings offen. Die Entscheidung darüber läge letztlich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der bisher sehr restriktiv mit solchen Ausnahmeregelungen umgeht. Das Risiko ist also hoch, dass der Europäische Gerichtshof eine "Notlage" nicht anerkennt.

Europäische Partner dürften nicht begeistert sein

Ein weiteres Risiko wäre die Belastung der Beziehungen zu den europäischen Partnern. Die deutschen Pläne zu strengeren Regeln an deutschen Grenzen würden vor allem in den Nachbarländern Polen, Tschechien und Österreich für Unmut sorgen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte am Mittwoch bei einem Treffen mit Bundeskanzler Friedrich Merz argumentiert, es sei im Interesse Deutschlands und Polens, den "freien Durchgang" zwischen den Ländern aufrechtzuerhalten. Die österreichische Außenministerin Beate Meinl-Reisinger sagte in Warschau, beim Thema Grenzkontrollen sei europäisches Recht zu beachten.

Der neue deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat nach Gesprächen mit seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski versichert, dass Deutschland eine Verschärfung der Migrationspolitik nicht gegen den Willen des Nachbarlands Polen durchsetzen werde. Deutschland werde "Schritt für Schritt" vorgehen, sagte Wadephul dem Deutschlandfunk. Schritte würden dabei "bewusst und auch bedacht" gemacht und "immer in Abstimmung mit europäischen Freunden und Kollegen". (afp/dpa/bearbeitet von lko/cgo)