2.871 Menschen wurden im vergangenen Jahr Opfer rechtsmotivierter Angriffe. Der Verband der Opferberatungsstellen prangert ein Versagen der Behörden an - und ein häufiges Wegschauen der Gesellschaft.
Die Zahl rechter Gewalttaten ist in Deutschland im Jahr 2022 um mehr als 15 Prozent gestiegen. Vor allem in Ostdeutschland schaffe dies ein flächendeckendes Klima der Angst und Unsicherheit, so der Verband der Opferberatungsstellen (VBRG). In zehn der 16 Bundesländer wurden insgesamt 2.093 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe registriert - mehr als die Hälfte aller Angriffe seien rassistisch motiviert gewesen. Diese Zahlen stellte der Verband am Dienstag in seiner Bilanz für 2022 in der Bundespressekonferenz vor.
"Versagen der Behörden"
"Rassismus ist bei mehr als der Hälfte der Fälle das dominante Tatmotiv", sagte Vorstand Roger Kusche. Die Zahl der antisemitisch motivierten Angriffe hat sich nach Angaben des Verbands im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Eine Verdopplung registrierten die Opferberatungsstellen auch bei Gewalttaten gegen Menschen der LGBTIQA*+ Community, also Lesben, Schwule, Transsexuelle und andere sexuelle Minderheiten. Insbesondere queere "People of Colour" und Transpersonen seien häufig Opfer.
Sultana Sediqi vom Verein Jugendliche ohne Grenzen kritisierte die staatlichen Behörden scharf. Diese würden rassistische Motive oft nicht ernst nehmen. Sie prangerte ein "Versagen der Behörden“ und ein "Wegschauen der Gesellschaft“ an. Betroffene von rassistischer Gewalt fühlten sich oft schutzlos: "All das macht das Leben zu einem Überlebenskampf - jeden Tag.“
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Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Dilan S.
Doris Liebscher von der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung in Berlin kritisierte auch Polizei und Justiz. Noch zu oft gebe es eine Täter-Opfer-Umkehr, bei der die Betroffenen selbst für die Gewalttat verantwortlich gemacht würden.
Als Beispiel nannte sie den Fall von Dilan S. aus Berlin. Die 17-Jährige hatte im Februar 2022 in der Straßenbahn eine Gruppe rechter Hooligans aufgefordert, eine Maske zu tragen. Daraufhin wurde sie rassistisch und frauenfeindlich beleidigt und körperlich verletzt.
Die Polizei hatte die 17-Jährige in ihrer Pressemitteilung zunächst selbst als Maskenverweigerin dargestellt und die rassistische Komponente der Tat verschwiegen. Später korrigierten die Behörden ihren Fehler. Auf eine Entschuldigung wartet die junge Frau bis heute.