Der Zweite Weltkrieg ging am 8. Mai 1945 zu Ende. Bei "Markus Lanz" erklärte Zeitzeugin Ruth Winkelmann, wie sie die Zeit damals überlebt hat. Gleichzeitig äußerte sie sich besorgt zum politischen Höhenflug der AfD.

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Auch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt die Erinnerung an die vielen Schicksale und Schreckenstaten. Bei "Markus Lanz" schilderte die 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann auf emotionale Weise, wie sie die letzten Kriegstage in Berlin erlebt hat. Gleichzeitig warnte sie eindringlich vor dem Aufstieg der AfD.

Das Thema der Runde

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Zwar entwickelte sich seitdem eine Demokratie in Deutschland - diese gerät jedoch mit dem Anstieg rechtspopulistischer Parteien wie der AfD immer mehr unter Druck. Markus Lanz sprach daher mit einer Zeitzeugin über die letzten Kriegstage in Berlin. Gleichzeitig analysierte er, wie gefährlich die aktuelle politische Entwicklung in Europa und in den USA wirklich ist.

Die Gäste

  • Zeitzeugin Ruth Winkelmann warnte zum 80. Jahrestag des Kriegsendes: "Frei sein kann man nur in einer Demokratie - das habe ich am eigenen Leib gespürt."
  • Autor Harald Jähner sprach über die Demokratisierung der deutschen Bevölkerung: "Es schien, als hätte sich der Faschismus in den Seelen der Deutschen fast vollständig in Luft aufgelöst."
  • Faschismusforscher Jason Stanley sagte: "Es gibt kein Land, das so sehr für die Überwindung des Faschismus steht wie Deutschland."

Die Offenbarung des Abends

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes erinnerte sich die heute 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann an die letzten Kriegstage in Berlin. Als Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter beschrieb sie bei "Markus Lanz": "Das ganze Leben damals war ein Seiltanz." Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende ging, war Ruth Winkelmann 16 Jahre alt. Sie war die letzten zwei Kriegsjahre in einer Gartenlaube versteckt. "Die Tage davor, die Tage danach - wie haben Sie das in Erinnerung?", wollte der ZDF-Moderator wissen.

Winkelmann antwortete ehrlich: "Davor hatten wir nur Hunger und haben gehofft, dass recht bald die Russen kommen, dass wir frei sind." Die Zeitzeugin weiter: "Als ich (...) die Russen hörte, bin ich meiner Mutti um den Hals gefallen und habe ganz laut im Bunker gesagt: 'Mutti, wir haben's geschafft. Wir haben überlebt. Wir sind jetzt frei'." Eine Aussage, auf die Lanz überrascht reagierte: "Das haben nicht alle so gesehen, dass das ein Moment der Befreiung war."

Ruth Winkelmann antwortete mit einem entschiedenen "Nein" und erklärte, dass der Tag der Befreiung nicht für alle "als Tag der Befreiung betrachtet" wurde, sondern "es war der Tag, wo die Bomben nicht mehr gefallen sind. (...) Es war eine Stille".

Ruth Winkelmann bei "Markus Lanz"
Die 96-jährige Ruth Winkelmann erklärte bei "Markus Lanz", wie sie die letzten Kriegstage in Berlin erlebt hat. © ZDF / Cornelia Lehmann

Im Krieg verlor Ruth Winkelmann unter anderem ihren jüdischen Vater, der in einem Nebenlager von Auschwitz umgebracht wurde. "Haben Sie das Deutschland jemals verziehen?", fragte Lanz mit ernster Miene. Ruth Winkelmann holte tief Luft und gab zu: "Meinen Vater zu verlieren, das ist heute noch für mich etwas ganz, ganz Schlimmes. Nach so vielen Jahren auch noch! (...) Wenn ich an meinen Vater denke, tut mir das immer noch weh."

Dennoch fügte die 96-Jährige hinzu: "Ich bin Deutsche innerlich viel mehr als viele andere. Den Nazis, denen habe ich das nie verziehen. (...) Deutschland ist mein Land und unser Land, in dem ich sehr gerne lebe." Die Zeitzeugin schilderte weiter, dass sie während des Krieges auf viele Menschen angewiesen war, "die uns Gutes getan haben". "Nicht alle Deutschen waren Nazis", so Winkelmann. "Sonst hätten diejenigen, die überlebt haben, nicht überlebt."

Buchautor Harald Jähner zeigte sich dankbar für die Differenzierung der 96-Jährigen. Er merkte an: "Am Ende sind es immer Einzelne. Millionen von Einzelnen." Dennoch wollte Markus Lanz wissen, wie Ruth Winkelmann ihr Schicksal und das Schicksal ihrer Familie verarbeiten konnte. Sie antwortete prompt: "Abschließen mit der Geschichte kann ich nicht. Solange, wie ich lebe, werde ich in Schulen und Universitäten gehen und jungen Menschen das erzählen, was ich durchgemacht habe."

Der Erkenntnisgewinn

Mit Blick auf die Vergangenheit wollte Markus Lanz am Donnerstagabend von Ruth Winkelmann wissen, was sie über den Erfolg der AfD denkt. Die Zeitzeugin reagierte nachdenklich: "Ich habe ein bisschen Angst natürlich davor, was kommen kann." Aber: "Ich kann daran leider nichts ändern und ich kann nur erklären, was war. (...) Vielleicht hilft das was."

Auch US-Philosoph und Faschismusforscher Jason Stanley warnte vor dem Zerfall der deutschen Demokratie, die "so wichtig für die Welt" sei: "Die AfD bringt eine Art und Weise von Sprache zurück, (...) die ein Teil der Nazi-Vergangenheit war. Das ist, wie es anfängt."

Jason Stanley bei "Markus Lanz"
Faschismusforscher Jason Stanley (l.) warnte vor der politischen Entwicklung in den USA und stellte klar: "Das ist keine Demokratie mehr." © ZDF / Cornelia Lehmann

Eine ähnliche Entwicklung sah Stanley auch in den USA, wo viele Menschen mittlerweile Angst haben, frei ihre Meinung zu äußern. "Das ist keine Demokratie mehr - auch wenn man sicher ist", verdeutlichte der Faschismusforscher. Grund genug für Lanz, zu fragen, wie die weltweite Lage wieder befriedet werden könne.

Ruth Winkelmann antwortete vorsichtig: "Ich möchte sagen, dass der größte Teil der Menschen lieber in einer Demokratie lebt als in einer Diktatur. Vielleicht haben wir von dem Krieg etwas gelernt."  © 1&1 Mail & Media/teleschau