Am vergangenen Freitag griff die israelische Armee unter dem Operationsnamen "Rising Lion" mehrere Ziele und Personen im Iran an. Das Ziel, so Israels Premier Benjamin Netanjahu, war, "die nukleare Bedrohung und die Bedrohung Israels durch ballistische Raketen zu beseitigen." Inzwischen hat der Iran auf den fortwährenden Angriff mit dem Raketenbeschuss auf Israel reagiert. Dementsprechend fragt Caren Miosga am Sonntagabend ihre Gäste: "Wohin führt die Eskalation zwischen Israel und dem Iran?"

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Christian Vock auf die Sendung wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das war das Thema

"Beim Blick in den Nahen Osten kann es einen derzeit nur schaudern", beginnt Caren Miosga am Sonntagabend mit Blick auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023, den Gaza-Krieg und auf die gegenseitigen Attacken zwischen Israel und dem Iran. Doch trotz des Schauderns entdeckt Miosga auch eine Möglichkeit in diesem Blick in den Nahen Osten: "Was, wenn darin aber auch eine Hoffnung liegt? Die Hoffnung etwa auf keine Atombombe in den Händen eines verbrecherischen Regimes"?

In der Tat diskutiert Miosga auch darüber, der Fokus liegt aber auf anderen Themen. Zum Beispiel auf den militärischen Fähigkeiten des Iran, auf den Reaktionen der Menschen in Israel und auch im Iran, auf dem Ablauf der Operation "Rising Lion", auf der Wirkung der Angriffe, auf der Rolle der USA und insbesondere auf der Rolle Donald Trumps, auf den Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm, auf einer möglichen Vermittlerrolle Putins und auf dem Ausblick, wann und wie dieser Krieg enden könnte.

Das waren die Gäste

  • Sophie von der Tann. Die ARD-Korrespondentin ist aus Israel zugeschaltet und berichtet von ihren Eindrücken, etwas aus dem Süden Israels, wo ein mehrstöckiges Hochhaus massiv getroffen worden sei. Angriffe wie dieser blieben, so von der Tann, nicht ohne Folgen. So sei das relative Sicherheitsgefühl, das man bisher durch die israelische Flugabwehr gehabt habe, "schon sehr erschüttert." "Die Leute nehmen das sehr ernst", berichtet von der Tann über die Momente, wenn Alarm ausgelöst wird. Die Korrespondentin geht auch nicht davon aus, dass Israel aufhören werde, wenn der Iran die Angriffe einstellt: "Man wird so lange weiter angreifen, wie es nötig ist. Das kann jetzt noch dauern."
  • Guido Steinberg. Der Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärt, dass es nicht neu sei, dass der Iran Wohnhäuser beschießt, er tue dies aber nicht gezielt, sondern greife generell die Stadt Tel Aviv an und es sei dem Iran egal, was er dort treffe. Über die iranische Armee selbst sagt Steinberg: "Die militärischen Fähigkeiten Irans sind schon stark begrenzt." Für ein Volk von 90 Millionen, das seit Jahrzehnten aufrüste, seien das Ergebnis der Angriffe sehr bescheiden und die Mittel begrenzt. Gleichzeitig hätten die israelischen Schläge im vergangenen Jahr das Raketenprogramm des Irans erfolgreich redzuiert.
  • Isabel Schayani. Schayani hat deutsch-iranische Wurzeln und moderiert seit zehn Jahren den "Weltspiegel". Die Journalistin berichtet von Gesprächen mit Iranern, die die Angriffe am Freitag zunächst als "gigantischen Auftakt" wahrgenommen hätten. Die Menschen hätte Freudentränen in den Augen gedacht, weil sie dachten, "jetzt passiert was". Diese Anfangsfreude sei in der Zwischenzeit gewichen, weil die Menschen gesehen hätten, dass nicht nur militärische Ziele und Köpfe des Regimes ins Visier genommen wurden, sondern auch zivile Ziele. "Es war ein Hoch und Tief", berichtet Schayani. Die Menschen würden nun Richtung Norden fliehen, im Land gebe es keine Luftschutzbunker.
  • Frederik Pleitgen. Pleitgen ist CNN-Journalist und glaubt, dass die Fähigkeiten Irans auch dadurch geschwächt wurden, weil im vergangenen Jahr dessen Verbündete in Syrien oder bei der Hisbollah zurückgedrängt wurden. Trotzdem dürfe man die Lage nicht unterschätzen, der Iran habe vielleicht zwei- oder dreitausend Raketen mit großer Bandbreite, die Israel erreichen könnten: "Da sind schon riesige Raketen dabei", so Pleitgen. Außerdem fasse man im Iran nach dem Anfangsschock langsam wieder Tritt, weshalb man nun mehr Raketenangriffe sehen werde.

Das war der Schlagabtausch des Abends

Einen richtigen Schlagabtausch gab es am Sonntagabend nicht, wohl aber eine Meinungsverschiedenheit. Denn während Pleitgen und Steinberg glauben, der Angriff hätte zwar innenpolitische Vorteile für Netanjahu, der Grund für die Angriffe sei aber vor allem objektiver Natur. In Israel habe man den Iran sehr nah an einer Atombombe gesehen und das sei "wichtiger als alles, was in Gaza passiert", so Guido Steinberg. Außerdem habe man vor einem Jahr bereits Teile der Luftabwehr zerstört und nun vor deren Reparatur angreifen wollen.

Frederik Pleitgen erklärt zudem, dass es sich um einen hoch komplexen Angriff gehandelt habe. Die Angriffe seien weit von Israel entfernt erfolgt, zudem habe man "massiv Geheimdienstleute eingeschleust". "Das muss alles Jahre in der Vorbereitung gewesen sein", so Pleitgen. Schayani ist da anderer Meinung. Sie glaubt, dass die Angriffe von Netanjahus Krieg im Gaza-Streifen ablenken sollen. "Dieser Punkt muss auf jeden Fall eine Rolle gespielt haben", so Schayani. Es habe zwar in der Tat einen guten Moment für die Angriffe gegeben, aber Netanjahu habe sich nicht über die Kritik an seiner Politik gefreut.

Caren Miosga am 16.06.
© NDR/Thomas Ernst

Sophie von der Tann bringt noch einen anderen Blickwinkel in die Frage ein. Netanjahu habe zwar seine Ziele benannt, es könne aber zusätzlich auch ein Regimewechsel im Iran beabsichtigt sein, schließlich habe Netanjahu das iranische Volk zum Widerstand aufgerufen. Die Frage sei nur, ob das bei den Menschen im Iran ankomme, wenn gleichzeitig auch Zivilisten angegriffen würden. Gleichzeitig könne sich Netanjahu als "Mr. Security" präsentieren, sein Image habe nach dem Hamas-Massaker nämlich in dieser Hinsicht sehr gelitten.

Das war die Offenbarung

Israel verfüge nach den USA zwar über das modernste Militär der Welt, dennoch dürfe man, so warnen Frederik Pleitgen und Guido Steinberg, den Iran nicht unterschätzen. Zwar seien die getöteten Militärs nicht so schnell zu ersetzen, aber "das Personal ist da", so Guido Steinberg. Die potenziellen Nachfolger seien zwar jünger, aber "das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein." Gleichzeitig gibt Steinberg zu Bedenken: "Der Iran ist nicht die Hisbollah. Wir haben es nicht mit einer kleinen Terrororganisation zu tun." Das Land habe "über eine Million Mann, die unter Waffen stehen. […] Die werden keine Probleme haben, diese Strukturen neu zu besetzen." "Es wird sehr schwierig werden, sie zu schlagen", so Steinbergs Fazit.

Das war die Erkenntnis

So ruhig und sachlich die Diskussion am Sonntagabend war, so erkenntnisreich war sie. Dass ein Regimewechsel im Iran unwahrscheinlich ist, darüber sind sich alle drei Gäste einig: "Das Regime kann sich nur selbst stürzen", glaubt etwa Guido Steinberg. Einig sind sich Schayani, Pleitgen und Steinberg auch, dass die Verhandlungen mit dem Iran um das Atomprogramm zwar unterbrochen, aber noch nicht erledigt sind. "Das ist noch lange nicht gegessen", glaubt Pleitgen.

"Ich glaube, dass Donald Trump keinen Krieg will", erklärt Pleitgen weiter. Das glaubt auch Guido Steinberg. Man erlebe gerade zum ersten Mal, dass ein US-Präsident rhetorisch noch auf der Seite Israels sei, aber nicht so richtig mitmachen wolle. Daher wolle Israel nun so schnell wie möglich Fakten schaffen. Pleitgen kann sich allerdings nicht vorstellen, "dass die USA jemals Israel nicht unterstützen werden." Gleichzeitig werde man versuchen, nicht in den Krieg hinein gezogen zu werden.

Uneinigkeit herrscht bei der Frage, wie nah der Iran tatsächlich an einer Atombombe ist. Guido Steinberg glaubt der Einschätzung Israels, Isabel Schayani ist hingegen über diese Gewissheit überrascht. Frederik Pleitgen hat eine Alternativ-Vorstellung. Er sei sich nämlich nicht sicher, ob der Iran wirklich jemals eine Atombombe hat haben wollen. Die Anreicherung sei als Druckmittel wegen der Sanktionen ausgeweitet worden. Pleitgen ist der Meinung: Wenn der Iran eine Atombombe hätte haben wollen, hätte er sie schon längst gehabt.

Empfehlungen der Redaktion

Was die nahe Zukunft anbelangt, glaubt Guido Steinberg, dass Israel den Angriff frühzeitig werde abbrechen müssen, denn "Präsident Trump hat es in der Hand und er will keinen Krieg." So sieht es auch Frederik Pleitgen und prophezeit: "Ich glaube, dass es zu Verhandlungen kommen wird."