Der neu ausgehandelte Koalitionsvertrag von Union und SPD stößt in den deutschen Kommunen auf Unverständnis. Bei "Markus Lanz" (ZDF) echauffierte sich der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer nicht nur über die Politiker in Berlin, er kritisierte auch den deutschen Sozialstaat scharf.

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Die deutschen Kommunen sind heillos überfordert, während die Sparmaßnahmen immer massiver werden. Bei "Markus Lanz" schlugen Lokalpolitiker wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer Alarm und berichteten von der verheerenden Lage. Dabei kritisierte Palmer vor allem die immensen Sozialleistungen im Land, die längst nicht mehr tragbar seien.

Das Thema der Runde

In Deutschland gibt es mittlerweile landesweit marode Brücken, Straßen und Schulen. Dennoch stehen viele Kommunen drastischen Sparmaßnahmen gegenüber. Selbst mit dem geplanten Finanzpaket der Bundesregierung wird sich an der verheerenden Situation wohl nichts ändern. Grund genug für Markus Lanz, mit den Politikern an der Basis über die größten Probleme und Sorgen zu sprechen, die schnellstmöglich gelöst werden müssten, um Deutschland wieder zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen.

Die Gäste

  • Ex-Grünen-Politiker Boris Palmer sieht im Koalitionsvertrag von Union und SPD "zu wenig Veränderung".
  • CDU-Politiker Achim Brötel warnt vor den vielfältigen Problemen der Kommunen: "Wenn das Ruder nicht herumgerissen wird, fährt die kommunale Ebene flächendeckend vor die Wand."
  • Die parteilose Politikerin Jutta Steinruck verzichtet wegen drastischer Sparmaßnahmen auf ihre zweite Amtszeit als Ludwigshafener Oberbürgermeisterin: "Das war mein Protest, um klarzumachen: So geht's nicht weiter."
  • SPD-Politiker Oliver Schmidt-Gutzat offenbart zur verheerenden Finanzlage in den Kommunen: "Unsere Verschuldung wird (...) von 20 auf 144 Millionen ansteigen."
Markus lanz, Boris Palmer, Jutta Steinruck, Achim Brötel, Oliver Schmidt-Gutzat
Markus Lanz sprach am Dienstagabend mit (v.l.n.r.) Boris Palmer, Jutta Steinruck, Achim Brötel und Oliver Schmidt-Gutzat. © ZDF / Cornelia Lehmann

Die Offenbarung des Abends

Bei "Markus Lanz" zeigte sich der Tübinger Oberbürgermeister und Ex-Grünen-Politiker Boris Palmer enttäuscht über das Ergebnis des Koalitionsvertrags von Union und SPD. In Bezug auf die geplanten Schulden in Milliardenhöhe fragte er kritisch: "Wie viel geben die wirklich ab nach unten? Das ist die entscheidende Frage. Dazu gibt es keine Aussage bisher im Koalitionsvertrag. Es muss aber wirklich was ankommen!"

Wie prekär die Lage auf kommunaler Ebene ist, machte auch CDU-Politiker Achim Brötel in einem klagenden Appell deutlich: "Im Moment ist die Situation wirklich dramatisch. (...) Ich habe sowas noch nie erlebt. Wir werden von der schieren Aufgabenfülle, der Aufgabenvielfalt regelrecht erdrückt. Wir kriegen immer neue, immer kostenintensivere Aufgaben übertragen, ohne die finanziellen Mittel dafür und ohne das Personal."

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Auf die Politiker in Berlin angesprochen ergänzte Brötel wütend: "Es würde ja schon helfen, wenn wir beteiligt würden bei Gesetzgebungsverfahren." Der CDU-Mann weiter: "Es geht darum, dass wir es viel besser könnten in Deutschland, wenn man mal wieder auf die hören würde, die es nachher umsetzen müssen. Das sind halt wir! Die Lebenswirklichkeit, die ist vor Ort im Rathaus und im Landratsamt, nicht im Bundestag in Berlin!" Boris Palmer nickte nachdenklich: "Wir fahren mit den Städten wirklich an die Wand." Der Ex-Grünen-Politiker warnte in dem Zusammenhang auch vor einem weiteren Anstieg der AfD-Wähler, denn: "Wenn wir das nicht in Griff kriegen, dann ist Schluss!"

Eine Sorge, die auch Achim Brötel teilte: "Das Vertrauen in die Demokratie wird vor Ort gestärkt oder vor Ort verspielt. (...) Wenn wir die Handlungsfähigkeit nicht mehr haben, dann geht dieser Staat wirklich schweren Zeiten entgegen. Das muss die Politik erkennen!" Die ehemalige SPD-Politikerin und Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck zeichnete ein ähnlich dramatisches Bild über die Finanzlage in ihrer Kommune. Sie offenbarte: "Seit 30 Jahren haben wir Sparrunden beim Haushalt und wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht. (...) Man hat uns Jahre erzählt, wir würden über unsere Verhältnisse leben!"

Steinruck stellte weiter klar: "Jetzt müsste endlich der Letzte verstanden haben, dass wir ein strukturelles Problem haben, wo es Änderungen geben muss." Boris Palmer nickte nicht nur energisch, er ergänzte auch, dass der deutsche Sozialstaat so nicht mehr tragbar sei: "Wir können uns (...) einfach nicht mehr leisten, Prämien zu zahlen, damit 63-Jährige früher in Rente gehen und das voll aus dem Bundeshaushalt finanzieren." Dazu machte der Oberbürgermeister deutlich, dass auch Bürgergeld-Summen von bis zu 6.000 Euro pro Monat ein Unding wären. "Vielleicht kann man sich mal wieder darauf reduzieren, dass der Staat gegen Notlagen hilft und nicht jedes Risiko auf der Welt absichert", forderte Palmer wütend. Er ergänzte, dass man "verdammt noch mal vielleicht wieder ein bisschen die Ärmel hochkrempeln" müsse, aber "ich lese davon im Koalitionsvertrag nichts".

Der Erkenntnisgewinn

Am Dienstagabend warf Markus Lanz einen ungeschönten Blick auf die "Politik an der Basis". Während Boris Palmer klarstellte, dass sich Deutschland "diesen ganzen bürokratischen Schwachsinn einfach nicht mehr leisten" könne, warnte Jutta Steinruck vor einer "gescheiterten" Bildungspolitik. Der ZDF-Moderator fügte derweil hinzu: "Der Sozialstaat frisst uns die Haare vom Kopf." Auch CDU-Politiker Achim Brötel blickte innerhalb der Sendung voller Sorge in eine Zukunft mit noch mehr Ausgaben für die Kommunen: "Wenn wir auch noch ein Einnahmeproblem dazubekommen, dann wird der Absturz noch krasser." Grund genug für Jutta Steinruck, von der Bundespolitik zu fordern: "Handelt endlich!"  © 1&1 Mail & Media/teleschau

Teaserbild: © ZDF / Cornelia Lehmann