Immer mehr Arbeitnehmer fordern eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Doch wie passt das zusammen in einem Land, das unter einem Fachkräftemangel und fehlender Produktivität leidet? Bei "Markus Lanz" warnte der "Junge Linke"-Sprecher David Christner vor einer Ausbeutung von Arbeitnehmern, während Unternehmerin Clara Hunnenberg den Blick auf die Arbeitgeber-Seite zu lenken versuchte.

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Natascha Wittmann auf die Debatte und den Auftritt der Gäste wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Thema der Runde

Fast 15 Millionen Baby-Boomer gehen in den nächsten Jahren in Rente. Zeitgleich herrscht in Deutschland schon jetzt ein verheerender Fachkräftemangel in unzähligen Branchen.

Markus Lanz nahm dies am Donnerstagabend zum Anlass, um mit seinen Gästen über das Thema Arbeit und Generationengerechtigkeit zu debattieren. Außerdem analysierte er den Vorwurf, die Generation Z habe keine Lust mehr, sich ins Berufsleben zu stürzen.

David Christner, Clara Hunnenberg
Im Gespräch mit dem "Junge Linke"-Sprecher David Christner erklärt Clara Hunnenberg, dass viele Arbeitgeber "schlaflose Nächte" und große Sorgen haben. © ZDF / Markus Hertrich

Die Gäste

  • Ex-Vizekanzler Franz Müntefering sprach über die Bedeutung von Arbeit: "Leben ist Arbeit - Arbeit ist Leben."
  • Wirtschaftsjournalist Julian Olk blickte auf die Risiken des demografischen Wandels für den Arbeitsmarkt: "Wir laufen in eine Situation rein, in der die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer nicht haltbar sind."
  • Unternehmerin Clara Hunnenberg äußerte sich zum Fachkräftemangel: "Ich verstehe nicht, dass so viele Leute keine Lust mehr haben, so richtig zu arbeiten."
  • Psychologiestudent David Christner sprach über die Generation Z sowie den Wert einer Work-Life-Balance: "Wir glauben nicht mehr an Aufstieg durch Arbeit."

Das Wortgefecht

Bei "Markus Lanz" warnte Wirtschaftsjournalist Julian Olk am Donnerstagabend, dass die Produktivität im Land nicht mehr wachse. "Wir haben viele Probleme an diesem Standort", so Olk. Er ergänzte, dass auch das Arbeitsvolumen nicht mehr "zum Wachstum" beitrage, sondern es sogar weiter schmälere. Der Journalist forderte daher: "Wir müssen (...) alles dafür tun, das zu ändern."

Grund genug für Markus Lanz, die Frage zu stellen, ob es ein Problem mit der Leistungsbereitschaft im Land gebe. David Christner, der Sprecher der Organisation "Junge Linke", sah das anders und offenbarte, dass seine Generation nicht mehr an das Aufstiegsversprechen glaube. Er kritisierte, dass im Bereich der Arbeit nur auf Zahlen und Grafiken geschaut werde, aber nicht auf Menschen.

"Ich frage mich, inwieweit wir außer Acht nehmen wollen, welche Schicksale dahinter stehen", so Christner. Er fügte hinzu: "Ich mache mir ehrlicherweise weniger Sorgen um den demografischen Wandel, (...) aber ich mache mir größere Sorgen darum, dass die Politik dieses Problem so groß aufbauscht, dass die Rente immer weiter runtergekürzt wird und ich in 40 Jahren dann gar keine gesetzliche Rente mehr bekomme."

Den Verdacht, die jüngere Generation wäre nicht mehr leistungsbereit, wies der 23-jährige Psychologiestudent derweil zurück und merkte an: "Die Erwerbstätigkeit von jungen Menschen ist (...) auf einem Rekord seit den 90er-Jahren." Hinzu komme, dass jeder dritte Student "in Armut" lebe. "Wir sind in einer Krisensituation und damit müssen wir umgehen", so David Christner. Lanz hakte daraufhin nach: "Werden Arbeitnehmer ausgebeutet Ihrer Meinung nach?"

Der "Junge Linke"-Sprecher nickte zustimmend und erklärte, dass vor allem in Pflegeberufen die Bedingungen untragbar seien. "Auf jeden Fall macht es die Menschen kaputt", warnte der Student. Dementsprechend bezeichnete Christner die Fünf-Tage-Woche in manchen Branchen als eine echte Zumutung, da die Arbeitsbelastung "für viele Menschen zu hoch" sei.

Derweil könnte die Vier-Tage-Woche "ein Anreiz für viele" sein. Ein Argument, dem Unternehmerin Clara Hunnenberg nicht ganz folgen konnte. Sie stellte klar, dass sie sich als Mittelständlerin die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich gar nicht leisten könnte und merkte an, dass es "schade" sei, dass "dieser Blick des Arbeitgebers vollkommen außen vor ist".

Clara berichtete daraufhin von vielen "schlaflosen Nächten": "Wir haben laufende Kosten, die gezahlt werden müssen. Wir müssen immer mehr Mitarbeiter-Benefits integrieren." Hunnenberg weiter: "Wir müssen ja ein Land sein, was auch attraktiv ist, um Arbeitgeber zu werden! Wo kommen die Jobs her, wenn es keine Arbeitgeber mehr gibt?"

Laut der Unternehmerin müsse die Politik nun Antworten auf die Frage liefern: "Wie können wir es überhaupt gewährleisten, dass auch Unternehmer die Möglichkeit haben, diese Arbeitsbedingungen zu stellen? Das kostet auch alles Geld und das Geld muss erst mal verdient werden."

Die Offenbarung des Abends

Nicht nur das deutsche Verhältnis zur Arbeit stand bei "Markus Lanz" im Fokus. Der ZDF-Moderator wollte auch mit Blick auf die Innenpolitik wissen: "Warum hat die SPD die Wahl so krachend verloren?"

Ex-Vizekanzler Müntefering antwortete schwammig: "Das hat natürlich den Vorlauf der vergangenen letzten Jahre gehabt. Da ist vieles zusammengekommen." Laut Müntefering habe die SPD einfach "nicht die Überzeugung vermitteln können, dass wir für die kommenden Jahre die entscheidenden politischen Kräfte sein können". Wirtschaftsjournalist Julian Olk ergänzte daraufhin: "Die SPD hat im Wahlkampf (...) einen sehr großen, strategischen Fehler gemacht."

Julian Olk
Wirtschaftsjournalist Julian Olk warnt vor den Risiken des demografischen Wandels mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt. © ZDF / Markus Hertrich

Laut Olk sei das "gegeneinander Ausspielen von sozialen Themen und Sozialausgaben und der Verteidigungsfähigkeit des Landes" im Wahlkampf Grund für das Scheitern der SPD gewesen. Die Frage "Renten oder Panzer" in Kombination mit Olaf Scholz als "Zeitenwende-Kanzler" sei laut Olk "der Lauf mit Anlauf in die Unglaubwürdigkeit" gewesen. "Ich habe mich wirklich gefragt, wer da im Willy-Brandt-Haus die Strategie gemacht hat. Die konnte nur scheitern", so der Wirtschaftsjournalist deutlich.

Eine Steilvorlage für Lanz, der wissen wollte: "War das der falsche Mann an der Spitze - Olaf Scholz?" Franz Müntefering reagierte verhalten und sagte, Scholz habe "im zweiten Wahlkampf die Menschen nicht mehr erreicht. Vielleicht wollte er es auch mental überhaupt nicht mehr". Scholz sei zudem "im Wesentlichen schon von anderen getragen worden". Die Personalentscheidung habe dementsprechend am Ende "schon eine Rolle gespielt".

Ähnlich kritisch äußerte sich der Ex-SPD-Chef auch zu Bundeskanzler Friedrich Merz. Über den CDU-Mann sagte Müntefering trocken: "Da gibt es keine besonderen Freundschaften, aber ich halte ihn für einen Klugen." Jedoch sei er "manchmal so ein bisschen zu schnell mit seinem Mund".

Als Lanz den Ex-Vizekanzler darauf ansprach, dass er vor der Wahl vehement von Merz als Kanzler abgeraten habe, konterte Müntefering unbeeindruckt: "Die Menschen haben anders entschieden. Sie haben ihn trotzdem zum Stärksten gemacht."

Der Erkenntnisgewinn

Mit Blick auf den Wunsch der Generation Z, mehr Wert auf Work-Life-Balance zu legen, stellte Franz Müntefering am Donnerstagabend klar: "Was mich stört, ist diese Resignation - keine Lust haben." Er ergänzte: "Alle müssen kapieren: Du kannst nicht nichts tun. (...) Und das Nichtstun ist für die Gesellschaft auch teuer." Das Plädoyer des Ex-Vizekanzlers? "Du bist gefangen, du bist im Leben drin - und dann mach was draus."

Wirtschaftsjournalist Julian Olk stimmte zwar zu, kritisierte jedoch den "Kommando-Ton" von Kanzler Merz, der jüngst mehr Arbeitsbereitschaft forderte: "Das motiviert die jungen Leute natürlich nicht."

Außerdem kritisierte Olk, dass das Thema Generationengerechtigkeit im Koalitionsvertrag viel zu kurz komme und nur zweimal erwähnt werde. "Wir laufen in eine Situation rein, in der die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer nicht haltbar sind", warnte der Journalist. Er ergänzte streng: "Jetzt wäre die letzte Chance, daran etwas zu ändern!"  © 1&1 Mail & Media/teleschau

Teaserbild: © ZDF / Markus Hertrich