Wie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland – und wer gefährdet sie eigentlich? Bei "Maischberger" prallten Katrin Göring-Eckardt und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer aufeinander. Dabei wurde deutlich, wie stark rechte Narrative die Debatte über Debatten prägen.
Katrin Göring-Eckardt und der neue Kulturstaatsminister
Die Themen des Abends
"Wie es um das Debattenklima in Deutschland steht", will Sandra Maischberger am Montagabend von
Die Gäste
- Helge Fuhst: Der Moderator und Leiter der "Tagesthemen" sagt zur Entscheidung von Bundestagspräsidentin
Julia Klöckner , die Regenbogenfahne zum CSD in Berlin nicht zu hissen: "Sie hat mit diesem demonstrativen Nicht-Hissen der Regenbogenflagge ein wahnsinnig großes Zeichen gesetzt." In Zeiten, in denen es immer mehr Gewalt gegen queere Menschen gebe, sei das für Fuhst "eben auch ein Statement von ihr". Klöckner wolle damit andere Wählergruppen ansprechen, glaubt der Journalist, allerdings verliere sie damit wiederum andere Wähler. - Anna Lehmann: Lehmann leitet das Parlamentsbüro der "taz" und widerspricht den Argumenten von Bundestagspräsidentin Klöckner, es gebe keinen parlamentarischen Bezug dazu, die Regenbogenfahne zum CSD in Berlin zu hissen. "Aber genau den gibt es ja. Die AfD sitzt mit 151 Abgeordneten im Bundestag, sie ist die zweitstärkste Fraktion und sie arbeitet jeden Tag daran, Rechte, die Minderheiten für sich erkämpft haben, Menschenrechte, wieder abzuschaffen."
Paul Ronzheimer : Der stellvertretende Chefredakteur der "Bild" sieht nach dem vergleichsweise niedrigen Wahlergebnis zum Parteivorsitz der SPD Lars Klingbeil unter Druck: "Er muss liefern. Von der SPD gibt's da ein klares Zeichen." Was auf dem Parteitag passiert zeige, so Ronzheimer, "wie wahnsinnig verlogen das in der Partei zugeht". Niemand habe offen Kritik an Klingbeil geübt, stattdessen hintenrum agiert.- Michael Otto: Otto war jahrelang Vorstandsvorsitzender der Otto GmbH und Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group. Auch wenn die Wirtschaft derzeit schwächele, müsse man am Klimaschutz festhalten: "Zum Thema Klimawandel müssen wir sehr viel stärker investieren. Den Schritt zur klimaneutralen Wirtschaft müssen wir gehen", erklärt Otto. Zum Lieferkettengesetz, das die Regierung Merz wieder abschaffen will, sagt der Unternehmer: "Die Abschaffung halte ich für falsch." Jedes Unternehmen müsse sich darüber Gedanken machen, wie seine Produkte hergestellt werden, so Otto.
- Wolfram Weimer: Der Kulturstaatsminister wiederholt die Äußerungen, die er bereits in einem Gastbeitrag in der "Süddeutschen" geschrieben hatte. Man müsse "die Korridore des Sagbaren" wieder weiten, statt sie zu verengen. Die Freiheit sieht Weimer global von links wie von rechts unter Druck. "Der Raum der bürgerlichen Mitte ist kleiner geworden, weil beide Seiten diese Räume enger machen." Diesen Raum wieder zu weiten, sei Aufgabe der bürgerlichen Mitte, so Weimer.
- Katrin Göring-Eckardt: Göring-Eckardt ist Bundestagsabgeordnete der Grünen. Göring-Eckardt will Wolfram Weimer erst einmal 100 Tage Zeit geben und sehen, ob die Kritik, er stünde für "wirtschaftsnahe, konservative Perspektiven und nicht für eine offene, diverse und kritische Kulturlandschaft", berechtigt ist. "In diesen 100 Tagen hat Herr Weimer auch Einiges gemacht, auch einen Gastbeitrag geschrieben, der eher auf das einzahlt, was da befürchtet worden ist."

Der Schlagabtausch des Abends
Wolfram Weimer ist mit klaren Vorstellungen zu Maischberger gekommen, wo die Bedrohung der Freiheit in Deutschland vor allem zu finden ist: links. Der Kulturstaatsminister spricht davon, man habe auf der linken Seite eine "Wokeness-Mode, eine Cancel-Culture-Mode" oder "identitätspolitische Vorgaben" gehabt und wiederholt damit die Stereotypen, die seit Jahren von rechts aufgebaut und etabliert wurden. Dazu zitiert Weimer eine Studie, laut der über 40 Prozent der Deutschen Angst habe, die eigene Meinung zu sagen.
Katrin Göring-Eckardt versucht die ganze Diskussion über, den Kulturstaatsminister auf seine Logiklücke und die Unwucht in seiner Perspektive aufmerksam zu machen. "Warum hat Herr Weimer noch nichts gesagt zu den 500 Fragen, die NGOs in Misskredit stellen?", fragt Göring-Eckardt gleich zu Beginn der Diskussion bezüglich Weimers Einseitigkeit.
Dann erklärt Göring-Eckardt den Denkfehler in Weimers Argumentation: "Die 40 Prozent, von denen Sie sprechen, die werden vielleicht jetzt 41,5 Prozent sein, weil Sie sie bestärken." Je häufiger man in den Sozialen Medien zu hören bekomme, man dürfe nicht mehr sagen, was man denkt, desto mehr griffen die entsprechenden Algorithmen. Tatsächlich würden die Menschen in Gesprächen erklären, dass sie sehr wohl alles sagen dürfen, "aber ich hab eben Sorge, dass ich Widerspruch bekomme". Die "konservative Blase" wolle diesen Widerspruch aber nicht.
Das Zitat des Abends
Zu der von Weimer zitierten Umfrage erklärt Katrin Göring-Eckardt noch einmal: "Meine Sorge ist, und ich glaube, das unterschätzen Sie total: Wenn auch der Wolfram Weimer, der sagt: 'Ich bin der Mann der bürgerlichen, liberalen Mitte', wenn der auch sagt: 'Hier kann man nicht mehr sagen, was man sagen will', obwohl es eigentlich nur darum geht, widerspruchsfrei zu bleiben, dann werden noch mehr Leute Angst und Sorge bekommen. Und das ist dann genau Ihre Verantwortung."
Später macht Göring-Eckardt aus dieser Sorge eine konkrete Forderung an Wolfram Weimer: "Ich möchte gerne, dass der Kulturstaatsminister Deutschlands, der über die Freiheit redet, sagt: Sie können in Deutschland sagen, was Sie wollen, rechnen Sie damit, dass ich Ihnen widerspreche […]!"
Das Geschwurbel des Abends
So scharf Wolfram Weimer am Montagabend das kritisiert, was er als "grüne, woke Blase" wahrnimmt, so sehr schwurbelt sich Weimer an anderen Stellen unkonkret durch die Diskussion. So spricht Weimer beschönigend von "Freiheitsreduzierungen" und "Freiheitseintrübungen, die repressiven Charakter annehmen", wenn er über die Zustände in
Als Feinde der Freiheit zählt Weimer islamistische, rechte und linke Ideologien auf, doch als Maischberger fragt, welche denn die gefährlichste sei, antwortet Weimer: "Ich würde gar nicht gewichten, ob die eine Seite schlimmer ist als die andere." Ob die Regenbogenflagge zum CSD auf dem Reichstag wehen sollte, dazu sagt Weimer: "Man kann es so oder so entscheiden, ich respektiere beides." Und auf die Frage, ob die von ihm angestrebte Steuer für Digitalkonzerne komme, antwortet Weimer: "Das werden wir jetzt sehen."
Die Erkenntnis
Es ist kein gutes Zeichen, wenn jemand in eine Diskussion einsteigt und die Kritik an seinen Äußerungen nicht inhaltlich beantwortet, sondern sie auf ein Nebengleis stellt. Aber genau damit beginnt Wolfram Weimer die Diskussion, denn er sieht die Kritik an seinen Äußerungen in der "Süddeutschen" über vermeintlich enger werdende Räume durch links und rechts nicht in den Äußerungen selbst begründet, sondern in der Tatsache, dass er durch den Sprung vom Journalisten und Verleger zum Politiker die Rollen gewechselt habe.
Bei der von ihm zitierten Umfrage zur Angst, seine Meinung zu äußern, zieht Weimer den Schluss: "Das heißt, es hat sich der Raum des Sagbaren, die politische Kultur, die Debattenkultur verdunkelt." Dieser behauptete Zusammenhang ist schlicht falsch, denn ein Gefühl beschreibt nun einmal nur ein Gefühl und nicht die Realität.
Ähnlich kritisch ist auch die Suche Weimers nach den Verantwortlichen: "Wer ist dafür verantwortlich? Natürlich viele. Aber eben auch eure grüne, woke Blase, die eine gefühlte Bevormundung hat entstehen lassen, wo viele Menschen sagen: Wir wollen das nicht." Sieht man einmal davon ab, dass Weimer damit nur rechte und konservative Narrative unhinterfragt wiederholt, liegt der große Fehler in der Unwucht, der Einseitigkeit und in unzulässigen Vergleichen.
Als Maischberger nämlich wissen will, warum er keine Beispiele für "rechte Unterdrückung" aus Deutschland nenne, behauptet Weimer "Ich sehe das Problem größer" und verweist auf die USA. Interessanterweise kann Weimer die Verengung der Freiheit von "linker Seite" aber erstaunlich detailliert und mit Einzelfällen aus Deutschland benennen, für die von rechter Seite weicht er aber aufs Ausland aus.
"Wir haben in Deutschland ja zum Glück keine AfD an der Macht", argumentiert Weimer außerdem, sieht eine Bedrohung der Freiheit von rechts also erst, wenn die Rechten in einer Regierung sind. Damit lässt er nicht nur all die "Freiheitseintrübungen" außerhalb der Parlamente, die es von rechter Seite jetzt schon, schon lange und immer mehr gibt, außer Acht. Weimers Zwischenfazit und Auftrag an die bürgerliche Mitte: "Wir wollen die AfD zurückdrängen – und die Linke."
Nicht weniger problematisch wird Weimers Argumentation an anderer Stelle. Denn der Kulturstaatsminister will nicht zwischen islamistischer, rechter und linker Bedrohung gewichten und umschifft damit Maischbergers eigentliche Intention der Frage nach der Gefährlichkeit, für die es nun wirklich genug Statistiken gibt. Gleichzeitig vergleicht Weimer aber eben schon die Feinde der Freiheit untereinander, wenn auch unbewusst.
Denn zuerst redet er über die "linke, woke" Bedrohung, laut der man nicht mehr Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow" hören dürfe, weil dort das Wort Oberindianer fällt. Für ein Beispiel islamistischer Freiheitsbedrohung nennt Weimer dann aber den Fall "Charlie Hebdo", als zwei Islamisten in die Redaktion der Satire-Zeitschrift eindrangen und zwölf Menschen erschossen. Hinkender kann ein Vergleich kaum sein.
Empfehlungen der Redaktion
Wenn Kritiker und auch Katrin Göring-Eckardt also nach der Benennung Wolfram Weimers zum Kulturstaatsminister Sorgen um dessen Vorstellung von Freiheit in der Kultur und seiner Unvoreingenommenheit haben, dann dürften, so die Erkenntnis des Abends, diese Sorgen sicher nicht geringer geworden sein.