Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler wird bestenfalls als holprig in die Geschichte eingehen. Das Umkippen in der Schuldenfrage hingegen als Wortbruch. Bei Caren Miosga sollte Kanzleramtschef Thorsten Frei am Sonntagabend erklären, wie die neue Regierung Vertrauen zurückgewinnen kann.
Am vergangenen Dienstag scheiterte
Das ist das Thema
Vor diesem Hintergrund ist es nicht wirklich ungewöhnlich, dass
Ein weiteres Thema bei Miosga war die aktuelle Lage im Krieg in der Ukraine.
Das sind die Gäste
- Thorsten Frei (CDU): Der neue Chef des Bundeskanzleramts sagt über die Botschaft, die von dem Treffen von Merz, Macron, Tusk und Starmer mit
Selenskyj in Kiew ausgeht: "Man braucht zunächst einmal die Waffenruhe, damit man überhaupt einen Raum für Verhandlungen und Gespräche schaffen kann." Sollte es diese Waffenruhe nicht geben, so Frei, gebe es Konsequenzen "in Form von verstärkten Sanktionen und natürlich auch einer entsprechenden Unterstützung der Ukraine". - Kerstin Münstermann: Münstermann ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros der "Rheinischen Post" und kritisiert den Umgang der CDU mit der Linken. Zum einen, weil man nicht bedacht habe, auf die Linke einmal angewiesen zu sein: "Dass man nicht letztes Jahr schon den Parteitag genutzt hat, um mal vorzudenken: Was könnte denn passieren?", fragt Münstermann. Zum anderen, weil man einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken habe, aber nicht mit dem BSW. "Das ist politisch nicht ehrlich", so Münstermann.

- Armin Nassehi: Der Soziologe von der Ludwig-Maximilians-Universität München sitzt im deutschen Ethikrat und ist sich sicher, dass die Merz-Regierung sich über die Komplexität der Sachlage vor der Wahl zwar bewusst gewesen sei, allerdings seien "vielleicht in den letzten Monaten manchmal zu starke Sätze gesprochen worden, die sich dann an der Realität womöglich ein bisschen brechen". "Ich glaube, wir haben ein Führungsproblem", resümiert Nassehi zum Unterschied zwischen den Wahlkampfankündigungen und der komplexen Realität. Die Menschen würden ein Konzept hinter den Versprechungen erwarten.
Soziologe über Unglaubwürdigkeit der Merz-Regierung: "Vertrauen in Führung wird unterminiert"
Das ist die Offenbarung
Es ist nur eine kleine Bemerkung, die noch dazu von Caren Miosga übergangen wurde, aber sie gibt einen kleinen Hinweis darauf, wie die Stimmung in der Union, vielleicht auch in der Koalition gerade ist. Miosga fragt, ob Frei bewusst sei, "dass es bei Ihnen auch Leute gibt, die Friedrich Merz ganz persönlich nicht überzeugend fanden oder auch finden?" Frei macht daraufhin beim Neustart einer Regierung zwei Sollbruchstellen aus.
Zum einen den Koalitionsvertrag, der immer ein Kompromiss sei, zum anderen "gibt's in einem Parlament natürlich immer viele Menschen, die die Erwartung haben, dass ihre politische Arbeit mit entsprechenden Funktionen gekrönt werden", erklärt Frei. Doch obwohl Miosga die Aussage übergeht, weil sie auf etwas anderes hinauswollte, bietet Freis Bemerkung doch Anlass zur Spekulation, wie es um das Frustpotenzial in der Union oder um die Führungsstärke von Merz gerade steht.
Das ist der Schlagabtausch des Abends
"Wie lange sollen diese Maßnahmen gelten, die jetzt begonnen haben?", will Caren Miosga über die aktuellen, verstärkten Grenzkontrollen wissen. Frei erklärt, die Kontrollen seien nur "ein Bestandteil von vielen restriktiven Maßnahmen". Miosga fragt erneut, wie lange das Zurückweisen gehen soll und diesmal kommt Frei immerhin einer Antwort näher: "Das soll so kurz wie möglich gehen." "Bis was erreicht ist?", probiert es Miosga wieder, doch Frei gerät ins Schwimmen: "Ich kann das nicht genau beziffern. Die Zurückweisungen an der Grenze sind eine Möglichkeit, die sofort eine Wirkung entfalten."
"Ihnen muss doch klar sein, was das Ziel ist", fragt Miosga erneut, aber Frei wolle "das nicht an den Zielen festmachen", stattdessen solle man "im europäischen Kontext schauen, wie wir zu besseren Lösungen kommen". Das klingt deutlich weniger breitbeinig als noch im Wahlkampf, aber immerhin erklärt Frei, dass es für eine gelungene Migrationspolitik mehr brauche, als nur eine Anweisung aus dem Innenministerium.
Das ist die Selbstkritik des Abends
Das gebrochene Wahlversprechen zur Verschuldung, eine Kanzler-Wahl erst im zweiten Durchgang und dann auch noch die Amtsübernahme der Parteikollegin und neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, die ihrem Amtsvorgänger Robert Habeck "eine fast übermenschliche Leistung" als Wirtschaftsminister attestierte, dem Merz selbst aber noch vorwarf, seiner Aufgabe nicht gerecht worden zu sein.
Es hätte also reichlich Gründe für den neuen Kanzleramtschef Thorsten Frei gegeben, kritisch mit der eigenen Partei oder auch mit Friedrich Merz umzugehen. Zumal mit Blick auf das Thema der Sendung, denn es gibt wenig, das mehr Vertrauen schafft, als Selbstkritik. Doch selbstkritische Zugeständnisse fielen bei Frei in der Regel so aus, dass er zwar Verständnis für die Argumentation des anderen zeigte, aber gleichzeitig immer eine weitere Erklärung parat hatte.
So führt Miosga etwa den Wortbruch Merz' an, keine überbordenden Schulden zu machen, um diese Politik dann "über Nacht vor den Bus geworfen" zu haben. Frei widerspricht: "Wir mussten sehr flexibel auf eine sich nochmal sehr zuspitzende Situation reagieren. [...] Wir brauchen für unsere Sicherheit und Verteidigung alles, was notwendig ist." "Es ist bemerkenswert, dass Ihnen das erst nach der Wahl aufgefallen ist", entgegnet Miosga. "Ich verstehe die Kritik, ...", geht Frei einen Schritt entgegen und mit "… aber es hat sich natürlich schon etwas verändert" wieder einen zurück.
Frei verweist auf die Rede von US-Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und auf die Demütigung von Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch bei Donald Trump. "Das sei nicht unbedingt der Grund" für die vielen Schulden, entgegnet Miosga. Mit einem "Ja" geht Frei ihr wieder einen Schritt entgegen und mit "Eine Koalition ist immer auch eine Vernunftehe" diesmal zwei Schritte zurück.
Das sind die Erkenntnisse
Sollte Thorsten Frei in das Gespräch mit Miosga tatsächlich mit der Absicht gegangen sein, bei den Zuschauern Vertrauen in die Regierung zurückzugewinnen, dann ist ihm das wahrscheinlich nicht gelungen. Das ist nicht unbedingt seine Schuld, vielleicht sogar am wenigsten, sondern liegt daran, dass Merz, seine Unionskollegen und die von der Schwesterpartei CSU nun an den Versprechen aus dem Wahlkampf gemessen werden und einsehen müssen, dass die Realität doch komplexer ist, als man es in Wahlkampfreden dargestellt hat. "Zwischen dem Wahlkämpfer Merz und dem Kanzler Merz steht eine große Diskrepanz", formuliert es Kerstin Münstermann am Sonntagabend.
Gleichzeitig konnte man sehen, wie fest Thorsten Frei an der Seite von Friedrich Merz steht. Das ist zwar eine Erkenntnis, aber keine überraschende. Das Maximum an Dissens, das Miosga Frei entlocken kann, ist ein Schweigen. Miosga unterstellt Frei, er sei gegen Merz' Idee gewesen, den Entschließungsantrag mit Stimmen der AfD durchzubringen. "Sagen Sie", antwortet Frei und als Miosga "Stimmt das nicht?" nachfragt, weicht Frei aus: "Das waren vertrauliche Gespräche, deswegen spreche ich da natürlich nicht drüber."
Das kann man vielleicht sogar nachvollziehen, dass Frei aber nicht ein einziges Mal klar und offen zugibt, es im Wahlkampf mit markigen Sprüchen gegen die Ampel und mit vollmundigen Versprechen übertrieben zu haben, ist erstaunlich. Denn das wäre wirklich ein erster Schritt, tatsächlich Vertrauen zurückzugewinnen.