• Umstritten ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schon seit Langem.
  • In Deutschland sorgt er nun für einen Eklat, den es so noch nicht gegeben hat und schadet damit auch den eigenen palästinensischen Interessen.
  • Im Westjordanland wurde er mit Solidaritätsbekundungen empfangen.
  • Trotzdem steht Abbas auch dort unter Druck: Demokratischen Wahlen hat er sich schon lange nicht mehr gestellt.

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Beim eigenen Volk ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schon seit Jahren unbeliebt. Mit seinen Äußerungen zum Holocaust in Berlin hat der 86-Jährige sich nun möglicherweise auch international weiter ins Abseits manövriert. Im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz warf Abbas Israel "50 Holocausts" an den Palästinensern vor – und brachte damit auch seinen Gastgeber in Schwierigkeiten.

Danach ruderte der Palästinenserpräsident zwar wieder zurück und bekräftigte, der Holocaust sei "das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte". Doch der politische Schaden bleibt.

Regierungssprecher: Kanzler-Reise nach Ramallah "schwer vorstellbar"

Eigentlich wollte Abbas in Berlin für mehr internationale Unterstützung für die Palästinenserfrage werben. Denn die Palästinenser fühlen sich zunehmend von der internationalen Agenda verdrängt, einmal mehr seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Viele beklagen auch aus ihrer Sicht fehlende politische Unterstützung aus Deutschland. Abbas' Worte sorgten nun jedoch für das Gegenteil.

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit stellte bereits klar, dass der Vorfall das persönliche Verhältnis zwischen Scholz und Abbas überschatten werde. Eine Reise des Kanzlers nach Ramallah sei in absehbarer Zeit "schwer vorstellbar". Die Regierung werde aber in Kontakt mit den Palästinensern bleiben.

Einen Abbruch der Beziehungen könnten sich die Palästinenser auch nicht leisten. Deutschland gehört nach Angaben des Entwicklungsministeriums zu den größten Geldgebern. Die Bundesrepublik hat demnach mehr als 1,2 Milliarden Euro für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zugesagt. Allein im vergangenen Jahr flossen 150 Millionen Euro an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Und auch beim größten Geldgeber der Palästinenser sorgten die Aussagen von Abbas für Empörung. Sie seien "inakzeptabel", schrieb etwa EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas auf Twitter.

Von Solidaritätsbekundungen empfangen

Ob ihm sein Eklat jedoch in den eigenen Reihen geschadet hat, bleibt zu bezweifeln. Bei seiner Rückkehr nach Ramallah wurde er am Donnerstag bei einer Solidaritätsbekundung von Hunderten seiner Anhänger empfangen. Zuvor hatte seine Fatah-Partei dazu aufgerufen.

Der palästinensische Politologe Ghassan Chatib sieht keinen unmittelbaren Einfluss auf Abbas' Ansehen: "Seine Popularität ist sowieso schon angeschlagen, aus verschiedenen Gründen, wie dem Scheitern des von ihm unterstützten Friedensprozesses (mit Israel), der Korruption, Freiheitsbeschränkungen und Nichtabhalten von Wahlen", sagte er am Donnerstag. Er stellt jedoch auch klar, dass Abbas den Begriff nicht in Berlin benutzen hätte dürfen, "wegen der Sensibilität des Themas in Deutschland".

Mehr als drei Viertel der Palästinenser sind für Rücktritt

Der 86-Jährige regiert seit Jahren autoritär und ohne demokratische Legitimierung: Er wurde 2005 für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und seitdem nicht mehr durch eine Wahl im Amt bestätigt. Eine im letzten Jahr geplante Neuwahl sagte er wieder ab. Offiziell nannte er als Begründung einen Streit mit Israel um Ost-Jerusalem. Manche Beobachter werteten dies jedoch als vorgeschobenen Grund. Sie vermuteten als Motiv die Sorge von Abbas und dessen Umfeld vor einer möglichen Niederlage wegen der tiefen Spaltung der Fatah-Bewegung und dem großen Zuspruch für die islamistische Hamas.

Abbas' Werte bei Meinungsumfragen sind seit Langem sehr schlecht. Zuletzt waren laut einer Umfrage mehr als drei Viertel der Befragten für den Rücktritt des gesundheitlich angeschlagenen Palästinenserpräsidenten.

Greift nach Abbas die radikale Hamas nach der Macht?

Auf internationalen Bühnen war er jedoch lange ein gern gesehener Gast. Dort standen seine Rolle im Nahost-Friedensprozess und sein Einstehen für eine Zwei-Staaten-Lösung mit Israel im Vordergrund. Der Friedensprozess liegt jedoch schon seit 2014 brach. Zudem herrscht die Sorge, dass nach einer Ära von Abbas die Hamas auch im Westjordanland die Macht ergreifen könnte. Bisher kontrolliert sie nur den Gazastreifen. Unklar ist auch, ob ein Nachfolger von Abbas dessen Sicherheitszusammenarbeit mit Israel fortsetzen würde.

Abbas hat sich zwar immer wieder für Gewaltlosigkeit ausgesprochen. Besonders von rechten Israelis wird ihm aber regelmäßig vorgeworfen, er unterstütze Terror gegen ihr Land.

Holocaust-Aussage könnte Beziehungen zu Israel belasten

Die israelische Regierung unter Naftali Bennett und nun Jair Lapid hatte sich allerdings um einen besseren Kontakt mit Abbas bemüht. Vor allem Verteidigungsminister Benny Gantz traf sich seit Dezember mehrmals mit ihm, um vertrauensbildende Maßnahmen voranzubringen. Im Juli telefonierte dann auch Regierungschef Lapid mit Abbas. Es war das erste direkte Gespräch zwischen Abbas und einem israelischen Ministerpräsidenten seit Jahren. Doch nun rütteln seine jüngsten Aussagen wieder an den neu geknüpften Beziehungen.

In nur wenigen Monaten wählt Israel ein neues Parlament. Die rechtskonservative Partei von Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu hob auf Twitter bereits die Gefahr der "zwanghaften" Zusammenarbeit mit einem "Holocaust-Leugner" hervor und betonte, sich nicht von Abbas-Unterstützern abhängig machen zu wollen. Netanjahu, dem größten Konkurrenten von Lapid und Gantz, könnte der Eklat um Abbas bei der Wahl am 1. November in die Hände spielen. (dpa/fab)

Olaf Scholz

Union kritisiert Scholz nach Eklat bei Abbas-Besuch

Bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz wirft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israel vielfachen "Holocaust" vor. Der Kanzler reagiert empört, widerspricht seinem Gast bei dem gemeinsamen Auftritt aber nicht unmittelbar. (Photocredit: picture alliance / photothek / Janine Schmitz)