- Mit einem spektakulären Auftritt im russischen Staatsfernsehen hat eine Frau den Krieg von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine verurteilt.
- Der Kreml wirft ihr "Rowdytum" vor - zeitweise fehlte von der in den sozialen Netzwerken gefeierten Journalistin jede Spur.
- Jetzt hat ein Gericht sie zu einer Geldstrafe verurteilt.
"Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg." Mit diesen Sätzen auf einem Plakat hat Marina Owsjannikowa im Moskauer Staatsfernsehen einen Eklat ausgelöst.
In der russischen Tagesschau - den Abendnachrichten "Wremja" des Ersten Kanals - hielt sie das Transparent in die Kamera, lief hin und her, während Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa über Sanktionen des Westens sprach. "Nein zum Krieg!" rief Owsjannikowa, bevor die Sendung unterbrochen und ein anderer Beitrag eingeblendet wurde.
Zu Geldstrafe verurteilt
Der Vorgang gilt in dem fast militärisch streng geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Von der 44-Jährigen, die in den sozialen Netzwerken am Dienstag international als mutige Heldin gefeiert wurde, fehlte stundenlang am Dienstag jede Spur.
Am Nachmittag dann veröffentlichte der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow in seinem Telegram-Kanal ein Foto von Owsjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude. Sie wurde am späten Nachmittag deutscher Zeit zu einer Geldstrafe von in Höhe von 30.000 Rubel (226 Euro) Geldstrafe verurteilt. Ihr Anwalt Gaschinski wies darauf hin, dass Owsjannikowa als Mutter von Kindern im Alter von 11 und 17 Jahren nicht zu einer Arreststrafe verurteilt werden dürfe.
Owsjannikowa hattte am Dienstag auf Twitter geschrieben, dass sie nicht wisse, was mit ihr passieren werde. Die Medien-Plattform The European Network schrieb auf Facebook, dass der Tweet daraufhin gelöscht wurde. Auch das Twitter-Profil der Frau war am Dienstagnachmittag nicht mehr zu finden.
Mehrere Stunden lang vermisst
Zunächst war befürchtet worden, die Redakteurin könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Wer das Ansehen von Putins Streitkräften durch vermeintliche oder reale Falschmeldungen beschmutzt, dem drohen neuerdings in Russland bis zu 15 Jahre Gefängnis.
Auch die EU hatte sich nach ihrem Verschwinden besorgt gezeigt. "Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen", sagte ein Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell. Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kreml widerlege.
Kreml spricht von "Rowdytum"
Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Vorfall als "Rowdytum", die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Nicht einmal Staatsmedien kamen umhin, darüber zu berichten.
Im Netz verbreitete sich zudem ein vor dem TV-Auftritt aufgenommenes Video, in dem die Frau sagt, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. "Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen." Verantwortlich für die Aggression sei nur Russlands Präsident
Eltern aus Ukraine und Russland
Owsjannikowa, die in dem Video eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine trägt, erzählt auch, dass sie Tochter eines Ukrainers und einer Russin sei - "und sie waren nie Feinde". "Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können."
Nach ihrem Protest wurde ihr weltweit eine Welle der Anerkennung zuteil. Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde am Dienstag vielfach unter anderem bei Twitter und bei Telegram geteilt. "Was Mut wirklich bedeutet", schrieb etwa Pianist Igor Levit dazu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr. Er lobte Russen, "die versuchen, die Wahrheit zu sagen".
Unterstützung von Alexej Nawalny
Und auch das Lager des russischen Oppositionsführers
Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. Man wolle die Strafen übernehmen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Team am Dienstag bei Twitter. Russische Journalisten dürfen nicht von Krieg sprechen, sondern nur von einer "militärischen Spezial-Operation". Da gab es noch die Hoffnung, dass es nur bei einer Geldstrafe bleiben könnte. (dpa/fab)