Friedrich Merz will der Ukraine weitreichende Waffen liefern und Deutschland die stärkste Armee Europas verschaffen. FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann findet beides richtig. Aber sie erwartet noch mehr vom neuen Bundeskanzler.

Ein Interview

Als in Berlin noch die Ampelkoalition regierte, gehörte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu den lautesten Verfechtern einer starken militärischen Unterstützung der Ukraine. Dafür legte sie sich auch mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Sozialdemokraten an.

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Inzwischen leitet Strack-Zimmermann den Verteidigungsausschuss des Europäischen Parlaments und in Berlin regiert seit kurzem eine neue Bundesregierung. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat zuletzt mit Ankündigungen aufhorchen lassen, auf die Strack-Zimmermann lange gedrängt hatte – die aber auch Fragen aufwerfen. Zeit für ein Gespräch mit der streitbaren Liberalen.

Frau Strack-Zimmermann, Bundeskanzler Merz hat gesagt, es gebe keine Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen an die Ukraine. Sie haben so einen Schritt lange gefordert. Wie zufrieden sind Sie?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Dieser Schritt ist richtig und hätte schon vor drei Jahren kommen müssen. Die Ukraine muss endlich in die Lage versetzt werden, die militärischen Anlagen, von denen Russland tagtäglich Hunderte von Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen abfeuert, frühzeitig zu zerstören. Russland muss so auf Abstand hinter seine Grenzlinie, tief ins russische Landesinnere gezwungen werden.

Erwarten Sie, dass die Bundesregierung jetzt den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefert? Friedrich Merz hat das als Oppositionsführer immer gefordert. Jetzt will er als Bundeskanzler darüber nicht mehr sprechen, um Russland im Unklaren zu halten.

Ich teile die Auffassung des Bundeskanzlers, dass zukünftig nicht mehr über jedes Waffensystem, welches Deutschland der Ukraine zur Verfügung stellt, öffentlich berichtet wird. Bisher wurde Russland nämlich bestens darüber informiert, was wir liefern – weil das Wirtschaftsministerium, welches über die Ausfuhr von Waffen zu entscheiden hat, jede Lieferung gewissermaßen an die Litfaßsäule geheftet hat.

"Jetzt ist es an der Zeit, dass die Herren Merz und Wadephul ihrer Forderung schnellstmöglich Taten folgen lassen."

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Gilt das auch für den Taurus?

Im Falle einer möglichen Taurus-Lieferung bedarf es einer deutlichen Klarstellung, denn es war die CDU unter Führung des Oppositionspolitikers Merz und des Verteidigungspolitikers Wadephul, welche die Lieferung des Taurus lauthals immer wieder im Bundestag gefordert hat. Die Ukraine hätte mit diesem System die komplette Lieferkette der Russen bereits frühzeitig empfindlich stören können. Leider war Bundeskanzler Scholz nie bereit, den Ukrainern diese Fähigkeit zum Schutze ihrer Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Herren Merz und Wadephul ihrer Forderung schnellstmöglich Taten folgen lassen.

Expertinnen und Experten betonen immer wieder: Der Taurus allein wird den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht beenden. Was kann eine Lieferung überhaupt ausrichten?

Angesichts der massiven russischen Angriffe der vergangenen Tage müssen Deutschland und Europa alles tun, damit die Ukraine nicht untergeht. Humanitär, wirtschaftlich, aber weiterhin auch militärisch. Dazu gehört unbedingt auch der Taurus. Denn damit kann die Ukraine militärische Ziele in Russland angreifen, um so weitere Angriffe zu verhindern und die eigene Verteidigung zu stabilisieren.

Friedrich Merz hat in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler auch angekündigt, Deutschland solle die "stärkste konventionelle Armee Europas" bekommen. Was halten Sie von so einer Ansage?

Angesichts unseres wirtschaftlichen Potenzials, unserer Einwohnerzahl und unserer geographischen Lage ist das ein richtiges, wenn auch sehr ambitioniertes Ziel. Ich bin die Letzte, die diesbezüglich Bedenken äußern will, ob das wirklich gelingen kann. Denn es war genau dieses ewige Zögern und stetige Verweigern, der Realität ins Auge zu schauen, welches uns in der Vergangenheit ausgebremst hat. Angesichts der akuten russischen Bedrohung finde ich diesen Anspruch richtig. Allerdings fehlt mir bei Merz’ Ankündigung der zweite Teil des Satzes.

Welcher?

Wir leben in einer gefährlichen Zeit. Die Ukraine steht unter Feuer – und damit ganz Europa. Wir werden schon jetzt durch Cyber- und hybride Angriffe massiv unter Druck gesetzt. Unsere Unterwasser-Infrastruktur wie Kommunikationsleitungen und Energieträger werden gezielt angegriffen. Russland vermint seit drei Jahren ukrainische Getreidefelder, die 400 Millionen Menschen vor allem in Afrika und Asien ernähren. Dadurch wird gezielt Migration Richtung Europa ausgelöst. Ganz gezielt, um unsere Gesellschaft unter Druck zu setzen und zu destabilisieren.

Was erwarten Sie also vom Bundeskanzler?

Wir leben in Zeiten, die wir uns alle so nie haben vorstellen können, geschweige denn uns gewünscht haben. Und genau das muss der neue Bundeskanzler den Bürgern jetzt unmissverständlich klarmachen. Eine starke Armee aufbauen zu wollen und gleichzeitig so zu tun, als ob das Leben in Deutschland einfach so bleibt, wie es ist, ist verantwortungslos, ja fahrlässig. Wir werden viel Geld in die Hand nehmen müssen, um unser Land und seine Menschen wirkungsvoll zu schützen.

Vielen Menschen ist nicht wohl dabei, wenn Deutschland immer mehr Geld in die Rüstung steckt.

Deswegen muss die Politik ihnen erklären: Investitionen in militärische Ausrüstung und Forschung kommen allen zugute, weil diese Investitionen ganz besonders auch zivilen Zwecken dienen. Ohne das Militär gäbe es zum Beispiel weder das Internet noch das GPS – darüber hinaus werden viele neue Arbeitsplätze entstehen. Bereits jetzt wechseln gut ausgebildete Techniker, Ingenieure und Informatiker von der Automobilbranche in die Rüstungsindustrie.

"Eine europäische Armee bleibt das Ziel, aber es wird eine Herausforderung."

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Müsste Merz nicht auch eine Botschaft an unsere Nachbarländer senden, wenn er die stärkste Armee Europas aufbauen will? Von deutschem Boden sind zwei Weltkriege ausgegangen.

Vor 80 Jahren ist der grausame Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Heute schaut Europa auf Deutschland und wartet auf Entscheidungen im Vertrauen auf uns. Unsere Nachbarstaaten wären erleichtert, wenn Deutschland auch in Fragen der Verteidigung vorangehen würde. Im November 2011 hat Radosław Sikorski, damals Außenminister Polens, etwas ausgesprochen, das aufhorchen ließ. In seiner berühmten Berlin-Rede sagte er, dass er in der Europapolitik weitaus größere Angst vor deutschem Nichtstun als vor deutschem Tatendrang habe.

Bräuchte Europa nicht eine europäische Armee, wenn es wirklich geeint und stark sein und nationales Denken überwinden will?

Eine europäische Armee bleibt das Ziel, aber es wird eine Herausforderung. Wir brauchen heute mehr denn je eine engere Zusammenarbeit. Das beginnt mit der gemeinsamen Beschaffung von militärischen Systemen. Deutschland arbeitet seit langem mit den Niederlanden sehr eng zusammen, wir haben auch entsprechende Kooperationen mit den Franzosen. Gemeinsam mit Norwegen zum Beispiel beschaffen wir baugleiche U-Boote. Diese Form der Zusammenarbeit sollte immer weiter innerhalb Europas intensiviert werden. Es entsteht so ein europäisches Sicherheitsnetz, welches immer kleinmaschiger wird. Aus diesem Netz heraus kann eines Tages eine europäische Armee erwachsen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist seit rund einem Jahr Mitglied des Europäischen Parlaments und dort Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung. Zuvor war die FDP-Politikerin seit 2017 Bundestagsabgeordnete und leitete dort ebenfalls den Verteidigungsausschuss. Sie wurde 1958 in Düsseldorf geboren, ist dreifache Mutter, Motorradfahrerin und hat vor ihrer Politik-Karriere als Verlagsrepräsentantin für einen Jugendbuchverlag gearbeitet.