Geht sie oder geht sie nicht? Seit Monaten lässt Sahra Wagenknecht offen, ob sie eine neue Partei gründet. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt die Noch-Linken-Politikerin, warum sie eine solche Parteigründung für nötig hält – und trotzdem noch zweifelt.
Sie ist die bekannteste Politikerin der Linkspartei. Und die wohl umstrittenste. Ihre Gegner werfen ihr vor, der eigenen Partei zu schaden. Gleichzeitig ist
Die Ampel sei die schlechteste Regierung, die die Bundesrepublik jemals hatte, findet sie. Was aber will sie anders und besser machen? Und vor allem: Mit welcher Partei? Wagenknecht empfängt unsere Reporter im Bundestag und skizziert zwei Szenarien. Sie sagt, dass es besser ist, wenn man selbst etwas verändern kann. Als Politiker.
Frau Wagenknecht, die "Bild"-Zeitung hat getitelt: "Wagenknecht gründet ihre eigene Partei". Ist die Sache also beschlossen?
Sahra Wagenknecht: Das ist die Meinung der Bild-Zeitung. Es gibt keinen neuen Stand. Wir werden das noch in diesem Jahr entscheiden und dann natürlich auch öffentlich machen.
Nicht nur viele Ihrer Unterstützer hoffen auf eine Wagenknecht-Partei. Sie könnten der AfD Stimmen wegnehmen und bei der Linkspartei wäre eine lange Hängepartie endlich zu Ende. Was spricht gegen eine Gründung noch vor Jahresende?
Keine Person kann allein eine Partei gründen, zumindest keine, die ein Erfolgsprojekt wird. Man braucht Strukturen, man braucht fähige Organisatoren, man braucht ein richtiges Team. Und all das braucht eben auch Zeit. Die politische Notwendigkeit für eine neue Partei gibt es. Das ist für mich keine Frage. Ich bedauere, dass die Linke in den letzten Jahren immer bedeutungsloser geworden ist. Dadurch ist eine große politische Leerstelle entstanden. Viele Menschen, auch viele ehemalige Linke-Wähler, fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten und nicht wenige wählen aus Verzweiflung die AfD.
Bauen Sie die nötigen Strukturen für eine neue Partei gerade auf? Der Vorstand der Linken hat Ihnen das vorgeworfen.
Es ist bekannt, dass ich keine gute Organisatorin bin.
Wie bewerten Sie denn die aktuelle Oppositionspolitik der Linkspartei?
Die Linke hat gute Politiker, die Fraktionsvorsitzende
Sahra Wagenknecht: "Ursachen für Krise sind hausgemacht"
Die Ampelkoalition war von Anfang an mit schweren Krisen konfrontiert. Wäre da nicht etwas mehr Nachsicht angebracht?
Ja, die Lage ist schwierig. Aber die Frage ist, wie man darauf reagiert. Wieso liegt die Inflation in Spanien im Juni bei 1,7 Prozent und in Deutschland immer noch bei über sechs Prozent? Warum sind wir laut Internationalem Währungsfonds das Schlusslicht unter 22 Industrieländern? Die Ursachen dafür sind hausgemacht. Wieso kaufen andere europäische Länder billiges russisches Gas und Öl, sogar in größerer Menge als vor dem Krieg, nur wir nehmen lieber explodierende Energiepreise in Kauf? Wieso machen wir zusätzlich den Bürgern mit einem Heizungsgesetz das Leben schwer, obwohl es den CO2-Ausstoß nicht relevant reduzieren wird?
Welche Maßnahme würden Sie stattdessen ergreifen, um effektiven Klimaschutz zu machen?
Aus anderen Ländern gibt es sehr kreative Lösungen für CO2-neutrale Fernwärme: Etwa die Abwärme von Abwasser nutzen. Ein Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wäre allemal sinnvoll. Die Wärmepumpe dagegen lässt sich in Häusern, die nicht gut gedämmt sind, nicht effizient betreiben. Außerdem gibt es keinen durchdachten Plan, woher der Strom für die vielen Wärmepumpen kommen soll. Gerade im Winter sind die Tage kurz und auch der Wind weht oft nicht ausreichend, also kommt der Strom aktuell vor allem aus Kohle- und Gaskraftwerken. Wenn der Verbrauch steigt, wird das erst recht so sein. Das konterkariert den Umwelteffekt von allen Technologien, die auf Strom basieren – also auch der Wärmepumpe.
Woher sollte der Strom stattdessen kommen?
Der Ausbau der erneuerbaren Energieträger ist sinnvoll. Aber der Ökostrom braucht eine Ergänzung, die immer dann hochgefahren werden kann, wenn er ausfällt. Dafür gibt es nicht allzu viele Optionen. Einige Länder setzen auf Kernkraft. Hier hat sich Deutschland vor Jahren entschieden, auszusteigen. Ölkraftwerke sind teuer. Die sinnvollste Wahl wären Gaskraftwerke. Die sind sauberer als Kohlekraftwerke und flexibler als Kernkraftwerke. Dann muss man sich allerdings um preiswertes Gas bemühen.
Das kam bisher aus Russland.
Richtig. Andere europäische Länder haben überhaupt kein Problem damit, nach wie vor Gas aus Russland zu kaufen. Flüssiggas aus den USA oder Katar ist viel teurer und bisher gibt es noch nicht mal Verträge, die unsere Versorgung absichern. Die teure Energie ist für die Wirtschaft, aber auch für die Menschen ein echtes Problem.
Damit würde man aber ein Land, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, unterstützen.
Putin kann sein Gas auch woanders verkaufen und tut das. Während die russische Wirtschaft trotz Sanktionen wächst, schrumpft die deutsche. Wir ruinieren uns selbst. Das kann man als hehre Moral feiern, aber teure Energie wird wichtige Teile unserer Industrie ins Ausland treiben und den Lebensstandard in Deutschland senken. Andere Länder schauen da wesentlich rationaler auf ihre Interessen.
Ihrer Meinung nach sollte Deutschland wieder russisches Gas importieren, ohne Bedingungen zu stellen?
Na ja, was heißt Bedingungen stellen? Über den Preis muss man reden. Aber ich sehe nicht, wieso Deutschland als nahezu einziges Land auf dieser Welt seine Wirtschaft mit dem Argument ruiniert, wir dürfen mit einem Kriegstreiber keinen Handel treiben, gleichzeitig aber in Katar oder Saudi-Arabien vorstellig wird, die jahrelang einen blutigen Krieg im Jemen geführt haben. Im Übrigen haben wir unsere Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten auch nicht abgebrochen, als sie den Irak oder Libyen überfallen haben.
Um das Land aus der Krise zu holen, hat der Bundeskanzler einen "Deutschland-Pakt" vorgeschlagen. Es brauche eine gemeinsame "nationale Kraftanstrengung" von Regierung und Opposition. Stünden Sie dafür zur Verfügung?
Ich stehe immer für eine vernünftige Politik zur Verfügung. Wenn es jetzt einen Plan gäbe für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, für eine Außenpolitik, die wieder auf Diplomatie statt Waffen setzt, dann wäre ich die Erste, die das unterstützen würde. Aber an einer Politik, die unsere Wirtschaft kaputt macht und viele Menschen in soziale Not bringt, beteilige ich mich nicht.
Wagenknecht: "Die AfD ist nicht der Referenzpunkt, um den sich mein Denken dreht"
Sie haben vergangenes Jahr die Grünen als "die gefährlichste Partei im Bundestag" bezeichnet. Würden Sie das immer noch so sagen?
Ich habe gesagt, gemessen an dem realen Schaden, den sie anrichten, sind die Grünen die gefährlichste Partei. Das haben sie im zurückliegenden Jahr immer wieder unter Beweis gestellt.
Ihr Parteigenosse Dietmar Bartsch hat Ihnen damals widersprochen und gesagt, die AfD sei die gefährlichste Partei.
Die AfD ist eine Partei mit einem rechtsextremen Flügel, und Rechtsextremismus ist brandgefährlich. Aber im Unterschied zu den Grünen hat die AfD mit Ausnahme weniger Kommunalvertreter keine Macht. Wird die AfD immer stärker, verändert das natürlich unser Land. Die Zugewinne der AfD resultieren aber nicht aus der Attraktivität ihres Personals oder Programms, sondern sind das Spiegelbild der Verzweiflung der Menschen angesichts der Ampelpolitik und des Ausfalls der anderen Oppositionsparteien.
Sie grenzen sich also vom rechtsextremen Flügel der AfD ab. Was ist mit dem Rest?
Jeder in der AfD muss sich fragen, wie er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, mit handfesten Rechtsextremisten, auch mit Nazis in einer Partei zu sein.
Ist
Björn Höcke gehört zum rechtsextremen Flügel, er ist dessen Kopf.
Im Februar hatte Höcke Ihnen die AfD-Mitgliedschaft angetragen. Haben Sie die eigentlich abgelehnt?
Ich trage doch nicht zur PR von Höcke bei, indem ich mich öffentlich zu seinem völlig indiskutablen Vorschlag verhalte.
"Wieso überlässt man es der AfD, die Probleme, die mit zu hoher Zuwanderung verbunden sind, zu thematisieren? Ich halte das für vollkommen verrückt."
Umfragen zeigen, dass Sie besonders unter AfD-Wählern beliebt sind. Wo sehen Sie bei Ihren politischen Ideen die größten Unterschiede zur AfD?
Die AfD ist nicht der Referenzpunkt, um den sich mein Denken dreht. Deutschland braucht eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft, der sozialen Gerechtigkeit, eine friedliche Außenpolitik und Respekt vor der Meinungsvielfalt statt Cancel Culture. Die AfD setzt auf die Privatisierung vieler Bereiche, ob das Wohnen, Gesundheit, Verkehr oder die Wasserversorgung ist. Sie war schon immer gegen Mietregulierung und will den Mindestlohn nicht erhöhen. Natürlich sagt die AfD auch Dinge, die nicht falsch sind. Sonst wäre sie ja auch nicht so stark.
Neben der Position zum Ukrainekrieg gibt es auch beim Thema Migration gewisse Überschneidungen zwischen Ihnen und der AfD.
Wieso überlässt man es der AfD, die Probleme, die mit zu hoher Zuwanderung verbunden sind, zu thematisieren? Ich halte das für vollkommen verrückt. Natürlich werden gerade ärmere Menschen durch zu viel Migration schlechter gestellt. Es gibt inzwischen viele Städte in Deutschland, in denen alle Sozialwohnungen mit Zuwanderern belegt sind. Es fehlen Tausende Kita-Plätze und Lehrer. Und die Zuwanderer kommen nicht in die hochpreisigen Trendviertel, sondern in die Wohnbezirke, wo die ohnehin Benachteiligten wohnen. Nahezu alle Industrieländer limitieren den Zuzug. Aber Deutschland tut so, als sei es rassistisch und rechtsextrem, wenn man das fordert.
Worin unterscheidet sich Ihre Vorstellung bei der Migrationspolitik von der der AfD?
Die AfD bedient rassistische Ressentiments. Es geht nicht darum, dass Menschen, weil sie woanders geboren sind, nicht zu uns passen würden, sondern um soziale Probleme und Überforderung. Es geht darum, dass Integration nur in einem bestimmten Rahmen gelingt. Und natürlich dürfen wir nicht aus falsch verstandener Toleranz die Verbreitung von religiösen Hasslehren dulden, die sich gegen unsere Werte und unsere Kultur richten.
Also doch Migranten, die nicht nach Deutschland passen.
Der radikale politische Islam, der Kopftuch und Scharia predigt und die westliche Kultur für verkommen und verachtenswert hält, gehört selbstverständlich nicht zu Deutschland, sondern hat hier nichts verloren.
Mit Ihrem Buch "Die Selbstgerechten" wollen Sie eine Programmatik für eine "echte soziale Volkspartei" vorgelegen. Das ist ein großer politischer Anspruch. Wie wollen Sie Ihre Ideen für Deutschland künftig in die Tat umsetzen?
Man kann über Bücher, Artikel und öffentliche Äußerungen für eine andere Politik werben. Oder man kann sie selbst in einer Partei umsetzen. Da die Linke heute mehrheitlich andere Positionen vertritt als ich, gibt es für mich zwei Möglichkeiten: Entweder entsteht eine neue politische Kraft, in der ich mich wieder guten Gewissens engagieren kann. Oder ich werde nach der nächsten Bundestagswahl aus dem Parlament ausscheiden und von da an das politische Geschehen von außen kommentieren. Besser ist es natürlich, wenn man selbst als Politiker etwas verändern kann.
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