- Ein LKA-Beamter macht dem damals für das von der Ahrflut betroffene Gebiet zuständigen Landrat schwere Vorwürfe.
- Wo der CDU-Politiker, Jürgen Pföhler, an dem Tag zumeist war, versucht ein Untersuchungsausschuss im rheinland-pfälzischen Landtag kurz vor dem Jahrestag der Katastrophe zu klären.
- Pföhlers "rechte Hand" in der Kreisverwaltung konnte diese Frage nicht beantworten, obwohl er damals mehrfach mit Pföhler telefoniert hatte.
Der ehemalige CDU-Landrat Jürgen Pföhler hat nach den Worten eines ermittelnden Polizeibeamten fast keine eigenen Bemühungen unternommen, die Flutkatastrophe abzuwenden. "Er hat sich in Sicherheit gebracht und wenige Nachbarn in seinem unmittelbaren Umfeld gewarnt", sagte der Beamte des Landeskriminalamts am Freitag im rheinland-pfälzischen Landtags-Untersuchungsausschuss in Mainz. "Spätestens ab 22.00 Uhr müsste ihm (Pföhler) die Lage im Ahrtal und was da möglicherweise auf Bad Neuenahr-Ahrweiler zukommt, einigermaßen bekannt gewesen sein", sagte der 59 Jahre alte Zeuge. Nach 23 Uhr seien in Bad Neuenahr und Sinzig noch 87 Menschen gestorben.
Bereits spätestens um 20.00 Uhr habe Pföhler gewusst, dass man davon ausgehen musste, dass die Hochwassergefahr an der Ahr "generell sehr groß" und mit Sturzfluten und Überschwemmungen zu rechnen sei. Pföhler habe dann auch gewusst, dass der Pegelstand in Altenahr tatsächlich 5,09 Meter erreicht hatte und damit deutlich über dem des sogenannten Jahrhunderthochwassers von 2016 lag, sagte der Polizeibeamte. Zudem habe der ehemalige Landrat gewusst, dass mehrere hundert Kräfte im Einsatz waren, Menschen gerettet werden mussten und ein Einsatz mit Hubschraubern nicht mehr möglich gewesen sei.
Flutkatastrophe: Viele Menschen in Rheinland-Pfalz gestorben
Die Katwarn-Warnung der höchsten Stufe sei erst um 23:09 Uhr mit rund einer halben Stunde Verspätung rausgegangen, sagte er weiter. Pföhlers Ehefrau habe in einem Telefongespräch mit dem LKA gesagt, ihr Ehemann sei an dem Abend "bei ihr zu Hause und ab und zu mal weg" gewesen. Pföhler selbst habe sich nicht geäußert. Zeugen zufolge sei er nur zweimal kurz in der Technischen Einsatzleitung (TEL) gewesen, einmal gegen 19.20 Uhr, um Innenminister Roger Lewentz (SPD) zu treffen, und einmal vorher, zwischen 17.00 und 18.00 Uhr.
Die TEL in der Kreisverwaltung sei personell völlig unterbesetzt und ab einem gewissen Zeitpunkt auch völlig überfordert gewesen, sagte der LKA-Beamte. Der ehrenamtliche Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) habe keine Zeit gehabt, die Lage in Ruhe zu bewerten und sei Teil der Sachbearbeitung, aber kein Einsatzleiter gewesen. Pföhler habe erklärt, er habe an dem Tag keine Einsatzleitung gehabt, weil er diese Funktion bereits 2018 dem BKI "auf Dauer und generell" übertragen habe. Zu den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den CDU-Politiker und den damaligen BKI sagte der Beamte, es bleibe die Frage offen, was gewesen wäre, wenn Pföhler die Leitung übernommen hätte, welche Maßnahmen er hätte treffen können und wie diese gewirkt hätten.
Wo Pföhler die meiste Zeit war, konnte seine "rechte Hand" in der Kreisverwaltung, Erich Seul, im Untersuchungsausschuss nicht beantworten, obwohl er an dem Tag mehrfach mit ihm telefoniert hatte. Am Freitag versuchten die Abgeordneten das Rätsel zu lösen - mit Hilfe der Telefonliste und SMS von Pföhlers Handy, besuchten Internet-Seiten sowie Privatleuten als Zeugen. Demnach hatte Pföhler am häufigsten Kontakt zu Seul. Die zweithäufigste Nummer - 13 Anrufe - gehört zu einer als "Nring" im Handy abgespeicherten Frau aus dem Ahrtal, wie die mit der Auswertung betraute Beamtin des Landeskriminalamts (LKA) im Untersuchungsausschuss sagte.
Schwere Vorwürfe gegen Ex-Landrat
Dazu kamen SMS: Um 0:50 Uhr beispielsweise schrieb Pföhler an "Nring": "Katastrophe, Tote, Verletzte, Menschen auf Dächern, kein Hubschrauber, Stromausfälle, unser Haus ist geflutet, ich bin am Ende." Pföhler war nach Angaben der Ermittlerin am 14. Juli kurz nach 16 Uhr per SMS von Seul unterrichtet worden, dass der Pegelstand an der Ahr sehr stark ansteige und sich der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur und die Technische Einsatzleitung für einen größeren Einsatz vorbereiteten.
Um 18:24 Uhr habe Seul den Landrat informiert, dass Innenminister Roger Lewentz (SPD) den Krisenstab besuchen wolle. Zwischen 19 Uhr und 20 Uhr erfolgten gemäß der Handydaten nur private Kontakte. Wo sich der inzwischen 64-Jährige am Abend und in der Nacht jeweils aufgehalten hat, ließ sich nach den Worten von zwei LKA-Ermittlern nicht ermitteln. Die Standortdaten seien nicht erfasst, der Grund dafür sei unbekannt, sagte die Polizistin. Gegen 22:25 Uhr habe Pföhler bereits eine SMS an jene Frau geschickt, in der er von der bevorstehenden Evakuierung berichtet habe, und dass "alle mit den Tieren" auf die Straße gehen müssten. "Hoffentlich stürzt das Haus nicht ein", endete die SMS. Der letzte Anruf an Pföhler wurde um 1:57 Uhr am 15. Juli registriert.
Wichtige Zeugin sagte ab
Die Frau sollte eigentlich am Freitag als Zeugin aussagen, hatte ihre Ladung aber am Abend zuvor begründet abgesagt, wie der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) sagte. Nun soll sie am kommenden Freitag (15. Juli) gehört werden.
Pföhler habe sich auch mehrmals am Abend auf Medienseiten im Internet über die Hochwassersituation informiert, sagte die Polizistin weiter.
Insgesamt seien zwischen dem frühen Morgen des 14. Juli 2021 und dem 15. Juli um 2.30 Uhr 77 beantwortete Anrufe Pföhlers registriert worden, die jedoch teilweise weniger als 20 Sekunden lang gewesen seien. Daher sei es unklar, ob die Gespräche zustande gekommen seien, sagte die Ermittlerin.
Von den 51 SMS hätten 18 Bezug zu der Sturzflut gehabt. Die Inhalte der Telefonate seien nicht bekannt. Die Handy-Kontakte beschränkten sich nach der Auswertung der Ermittlerin auf Telefonate und SMS; Whatsapp sei auf dem Handy nicht installiert gewesen.
Pföhler soll im Untersuchungsausschuss aussagen
Pföhler soll im späteren Verlauf der Sitzung (ab 18:00 Uhr) erstmals im Landtags-Untersuchungsausschuss "Flutkatastrophe" erscheinen. Die Ehefrau des CDU-Politikers machte am Mittag von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Denn gegen Pföhler ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen. Pföhler hatte ebenfalls bereits angekündigt, deshalb nicht aussagen zu wollen.
Bei der Flutkatastrophe vor einem Jahr (14./15. Juli) waren mindestens 135 Menschen im nördlichen Rheinland-Pfalz ums Leben gekommen, darunter 134 im Ahrtal. 766 Menschen wurden verletzt. Auf einer Länge von 40 Kilometern an der Ahr wurden Straßen, Brücken, Gas-, Strom- und Wasserleitungen und rund 9000 Gebäude zerstört oder schwer beschädigt. Allein im Ahrtal sind rund 42.000 Menschen betroffen, landesweit etwa 65.000. (dpa/okb)