Es war ein Wahldebakel, das die Freien Demokraten an 2013 erinnern dürfte: Mit 4,3 Prozent ist die FDP aus dem Bundestag geflogen. Die Partei muss sich neu aufstellen. Die Vorsitzende der Jugendorganisation Junge Liberale, Franziska Brandmann, beschreibt im Interview, worum es dabei jetzt geht.
Kisten packen ist bei den Bundestagsabgeordneten der Freien Demokraten in diesen Tagen angesagt. Die FDP-Fraktion wird in den kommenden vier Jahren nicht im Parlament vertreten sein. Die außerparlamentarische Opposition wird, wie zwischen 2013 und 2017, ihr neues Zuhause. Die Partei steht einmal mehr vor einem Erneuerungsprozess.
Den will allerdings nicht der Vorsitzende der vergangenen elf Jahre,
Frau Brandmann, die Bundestagswahl liegt erst wenige Tage zurück. Was ist Ihnen seitdem durch den Kopf gegangen?
Franziska Brandmann: Der Wahlabend war sehr bedrückend. Bei den ersten Nachwahlprognosen lag die FDP bei 4,9 und fünf Prozent. Da hatte ich noch Hoffnung. Als aber absehbar war, dass es nicht nur knapp wird, sondern deutlich nicht reicht, war ich sehr niedergeschlagen. Denn ich bin überzeugt: Deutschland braucht eine liberale Partei im Bundestag.
Was bedeutet es, dass die liberale Stimme in den kommenden vier Jahren nicht im Bundestag vertreten sein wird?
Wir wären so dringend auf eine liberale Kraft angewiesen, die für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik streitet, die wir so dringend brauchen, um unsere Verteidigung zu organisieren. Oder die im Bundestag
"Dass dann am Montag direkt die ersten Namen für den Parteivorsitz kursieren, halte ich für verfrüht. Ich schlage vor: erst die Fehleranalyse, dann die Personalvorschläge."
Als Reaktion auf das schlechte Ergebnis der FDP haben Parteichef Christian Lindner und Generalsekretär Marco Buschmann ihren Rücktritt angekündigt. Im Mai wird die Parteispitze neu gewählt. Wer sollte aus Ihrer Sicht die Partei erneuern?
Wir müssen uns alle am Prozess der Aufarbeitung beteiligen und gemeinsam die FDP erneuern, auch wir Julis müssen uns hinterfragen. Die Debatte um den neuen Parteivorsitzenden kommt aber zu früh. In der Nacht von Sonntag auf Montag war klar: Christian Lindner wird im Mai nicht erneut kandidieren. Ich behaupte mal: Von Sonntagabend auf Montagfrüh haben wir alle nur sehr wenig geschlafen. Dass dann am Montag direkt die ersten Namen für den Parteivorsitz kursieren, halte ich für verfrüht. Ich schlage vor: erst die Fehleranalyse, dann die Personalvorschläge.
Neben Christian Lindner war die vergangenen Jahre wenig Platz für jemanden, der sich als neuer Parteichef hervortun wollte. Welche Eigenschaften braucht eine neue FDP-Spitze?
Wir haben sehr unterschiedliche Liberale in der FDP. In der Partei, die für Individualismus eintritt, wäre das Gegenteil auch komisch. Es braucht deshalb eine moderierende Person, die alle Liberalen begeistert. Christian Lindner hat sich wahnsinnig verdient gemacht um die Partei, hat sie wieder zurückgeführt in den Bundestag. Aber die FDP war in den letzten Jahren stark auf ihn allein fokussiert. Gerade in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition, die jetzt auf uns zukommt, werbe ich für ein Team von unterschiedlichen Personen, die zeigen: Liberale sind unterschiedlich, aber sie stehen gemeinsam für eine Politik, von der Deutschland dringend mehr braucht: liberale Politik.
2013 ist die FDP schon einmal aus dem Bundestag geflogen und hat vier Jahre in der außerparlamentarischen Opposition (APO) verbracht. 2017 klappte der Wiedereinzug. Was erwarten Sie sich von den kommenden Jahren?
Das wird richtig hart. Ich habe damals in der Zeit der APO dem Bundesvorstand der Julis angehört und habe den gesamten Prozess mitbekommen. Die größte Herausforderung ist, sich weiterhin Gehör zu verschaffen. Wir müssen es schaffen, unsere eigenen Themen zu setzen, gleichzeitig fehlen die Abgeordneten und deren Mitarbeiter, die in Vollzeit den Parlamentsalltag begleiten, in Ausschüssen Einblicke erhalten. Ich bin mir der Herausforderung also bewusst. Trotzdem sehe ich eine Chance.
Und welche?
Im Unterschied zu 2013 bis 2017 hat Social Media inzwischen eine viel größere Bedeutung. 2013 bis 2017 waren Interviews, Gastbeiträge und Talkshow-Auftritte noch die fast alles entscheidende Währung. Inzwischen kann man Social Media nutzen, um sich Gehör zu verschaffen. Da ist egal, ob man im Plenarsaal des Deutschen Bundestages oder im Coworking-Space sitzt. Das müssen wir stark nutzen, um mit unserer Wählerschaft im Austausch zu bleiben und sie natürlich vor allem zu erweitern.
"Unser Ziel ist natürlich, 2029 mit der FDP in den Bundestag zurückzukehren. Aber nicht einfach so, sondern als modernste Partei Deutschlands."
Die Julis haben die FDP schon 2013 bei ihrem Erneuerungsprozess begleitet. Was ist die Aufgabe des Jugendverbands in der kommenden Zeit?
Wir müssen und wollen jetzt den Neuaufstellungsprozess der Partei begleiten. Es geht nicht nur darum, eine neue Person oder ein neues Team für die FDP-Spitze zu finden. Wir wollen die ganze Partei modernisieren. Unser Ziel ist natürlich, 2029 mit der FDP in den Bundestag zurückzukehren. Aber nicht einfach so, sondern als modernste Partei Deutschlands.
Klingt nach einer großen Aufgabe.
Wieso machen wir nicht digitale Vorwahlen wie die NEOS in Österreich, um transparent und offen zu entscheiden, wer welche Aufgabe in der Partei übernimmt? Auch eine Urwahl für den Parteivorsitz wäre eine Überlegung. Oder die Möglichkeit für eine Doppelspitze für alle Gliederungen der FDP. Wir haben viele Ideen und wollen uns aktiv einbringen. Und natürlich wollen wir zuerst bei uns anfangen – also auch die Strukturen der Jungen Liberalen verbessern.
Trauen Sie der FDP eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Fehler zu?
Die FDP hat schon einmal gezeigt, dass sie das kann. Damals gab es einen sehr intensiven Aufarbeitungsprozess. Und zwar nicht nur mit einer Fehleraufarbeitung, sondern vor allem durch eine umfassende Bestands- und Potenzialanalyse. Es geht ja nicht nur darum, Fehler zu erkennen und sich diese dann jeden Tag aufs Brot zu schmieren, sondern darum, dann gestärkt nach vorne schauen zu können.
War es ein Fehler, Christian Lindner nach dem D-Day-Papier im November als Parteivorsitzenden zu behalten?
Es ist immer müßig, sich zu überlegen, in welcher Situation man rückblickend etwas anders hätte machen sollen. Ich bin rückblickend etwa der Meinung, dass wir die Ampel früher hätten verlassen sollen. Nämlich als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds fiel und klar war: Es fehlen Milliarden – und es gibt kein gemeinsames Verständnis in der Regierung darüber, wie jetzt priorisiert werden muss.
Aufgabe einer Jugendorganisation ist es auch, eigene Perspektiven einzubringen. Hätten die Julis die FDP schärfer kritisieren müssen?
Ja, das ist dann die konsequente Folge daraus. Und auch wir müssen uns jetzt fragen: Was haben wir falsch gemacht? Passen unsere Strukturen noch in die Zeit? Dazu öffnen wir die Diskussion und diskutieren auf einer Verbandskonferenz darüber. Unser Aufarbeitungsprozess läuft jetzt an. Wir werden intensiv analysieren, wie wir besser werden können, uns als Verband neu sortieren und im September auch einen neuen Bundesvorstand wählen.
Was hat Ihnen in den vergangenen Jahren in der Politik Ihrer Mutterpartei gefehlt?
Vor allem bei den Themen Bildungs- und Digitalpolitik habe ich uns als zu defensiv wahrgenommen. Da ist als Partei des Aufstiegs durch Bildung und der Digitalisierung mehr drin. Die Aktienrente war eine tolle und einzigartige Idee, aber von solchen Ideen brauchen wir mehr. Ich glaube, wenn wir in der Partei wieder mehr Debatten führen, kommen die auch wieder.
Erklärtes Ziel es jetzt, in vier Jahren wieder in den Bundestag einziehen. Was muss die FDP tun, damit das 2029 klappt?
Zunächst widmen wir uns jetzt der Fehleranalyse. Dann werden wir uns personell erneuern und unsere inhaltliche Ausrichtung so kalibrieren, dass liberal denkende Menschen in Deutschland an der Wahlurne gar nicht mehr anders können als uns zu wählen. Sie werden ihr Kreuz bei der FDP machen müssen – und zwar nicht aus taktischer Erwägung, sondern aus Überzeugung. Das ist die Vision, um die es jetzt geht.
Über die Gesprächspartnerin
- Franziska Brandmann (Jahrgang 1994) ist seit 2021 Chefin der Jungen Liberalen (Julis). Sie ist in Münster geboren und in Grevenbroich aufgewachsen. Seit 2009 ist Brandmann Mitglied der Julis und seit 2010 ebenfalls der FDP, wo sie inzwischen auch Teil des Bundesvorstands ist. Sie hat Politikwissenschaft in Bonn und an der Harvard University studiert, in Oxford promoviert sie derzeit über wehrhafte Demokratie.