Gegenüber & nebenan: Junge Leute trainieren Tanz in U-Bahn-Stationen, andere besetzen den Kulturcampus. Severin Groebner findet: Lasst sie die Stadt zurückerobern.

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Wenn man aussteigt, hört man es bereits: Die Musik schallt durch den U-Bahnhof. Dann fährt man mit der Rolltreppe von der U-Bahn in die Zwischenebene, und dann sieht man sie auch: junge Leute, die nicht so faul sind wie man selbst. Die hätten wahrscheinlich die Treppe genommen. Denn die sind fit. Richtig fit. Das sieht man sofort. Die Bewegungsabläufe, die hier kollektiv durchgeführt werden, macht niemand mit, der nach zwanzig Treppenstufen ins Keuchen kommt.

Ein halbes Dutzend Köpfe kreisen synchron zur Musik, sechs Paar Beine werden gleichzeitig gestampft, geschleudert oder gestreckt. Der Beat dazu kommt aus der Bluetooth-Box.

In dieser U-Bahn-Station wird die Frage beantwortet, was die Kids eigentlich machen, wenn sie nicht am Handy hängen. Sie hängen in U-Bahn-Stationen rum. Obwohl sie nicht hängen, im Gegenteil, hier wird hart trainiert.

Ein großer Spiegel, der die Zwischenebene fast in voller Länge auskleidet, gibt den Tänzerinnen und Tänzern die Gelegenheit, ihr Tun professionell zu kontrollieren. Und man erwähnt hier absolut zu Recht beide Geschlechter, schließlich kann man zwischen all den heranwachsenden Damen auch – ab und zu – einen jungen Mann entdecken.

Geschützt vor Wind und Wetter, wird hier aber nicht nur getanzt, nein, hier holen sich Menschen ihre Stadt zurück. Es geht doch!

Wenn man sie nicht mit Verbotsschildern, Klageandrohungen, Bauzäunen oder abgestellten Autos daran hindert.

Ebenso gerade geschehen in der ehemaligen Kunstbibliothek des Uni-Campus Bockenheim. Dort hatten Menschen, für die Gebäude nicht nur "Investments" sind, sondern Räume mit Möglichkeiten, den Verantwortlichen auch etwas vorgetanzt. Nämlich, dass man nicht ewig Konzepte und Gremien befragen muss, sondern auch gleich was machen kann. Sie haben dort mit Veranstaltungen das Wort "Kulturcampus" mal mit Leben erfüllt. Jetzt sind sie leider weg.

Aber es gibt ja noch weitere Möglichkeiten. Den leeren Platz vis-à-vis der Alten Oper etwa, den ein gewisser österreichischer Immobilien-Investor, der sich als Zentrumszerstörer herausgestellt hat, hinterließ. Mit Basketballkörben wäre er ein zentraler Sportplatz, mit 500 Stück Farbkreiden eine Leinwand für Kinder und alle Erwachsenen, die sich noch bücken können.

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Dort könnte man Botschaften hinterlassen wie: Das ist unsere Stadt. Groß und in Farbe. Und wenn das nicht verstanden wird, kann man es auch vortanzen. Es gibt da junge Menschen in der U-Bahn-Station, die dafür schon seit Längerem proben. Weil man sie lässt.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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