Arbeitsmarkt in Hessen: Der Herbst bringt kaum Belebung am hessischen Arbeitsmarkt. Und auch wenn es ein paar gute Nachrichten gibt, sind einige Arbeitsuchende besonders benachteiligt.
Der Stellenabbau in vielen Unternehmen bremst den für den Herbst typischen Rückgang der Arbeitslosenzahlen. "Saisonüblich ist die Arbeitslosigkeit im November gesunken", kommentiert Frank Martin, Leiter der hessischen Regionaldirektion, die am Freitag veröffentlichte Statistik.
Der Rückgang um 2300 auf fast 193.000 Arbeitslose sei allerdings deutlich geringer als erhofft. Die Arbeitlosenquote stagniert bei 5,5 Prozent. Martin nennt das aktuelle wirtschaftliche Umfeld als entscheidenden Grund dafür. Und er sieht angesichts der schwierigen Lage vieler Unternehmen auch für die nächste Zeit keine Chance auf Besserung: "Eine Trendwende zeichnet sich momentan nicht ab."
Das bestätigt auch die jüngste Ausgabe des Ifo-Beschäftigungsbarometers, wonach insbesondere die Industrieunternehmen verstärkt planen, ihre Belegschaften zu verkleinern. Aktuell gebe es dort vermehrt Kurzarbeit. Ähnliches gelte für den Handel. Und auch im Baugewerbe zeige sich wenig Bewegung bei der Personalplanung.
Hoher Anteil an Bürgergeldempfängern in Hessen
Eine positive Entwicklung gibt es allerdings bei den offenen Stellen, die bei den Arbeitsagenturen gemeldet sind. Insgesamt werden 48.254 Arbeitskräfte gesucht, was ein Plus von 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Der Zuwachs im November, also die Zahl der diesen Monat gemeldeten Stellen, fiel mit knapp 8800 allerdings um 4,1 Prozent geringer aus als im November 2023.
Positiv wiederum ist die Entwicklung bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung: Es gibt 17.100 Arbeitsverhältnisse mehr als im Vorjahr. Insgesamt liegt die hochgerechnete Zahl der regulären Angestellten in Hessen bei knapp 2,8 Millionen. Wie schon in den Monaten zuvor liegt Hessen damit über der Entwicklung des Bundes.
Sehr hoch ist mit 66,9 Prozent weiterhin der Anteil der Bürgergeldempfänger unter den Arbeitslosen in Hessen. Das sind zwar 1,3 Prozent weniger als noch im Oktober, aber 1,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. "Menschen mit geringer formaler Qualifikation stehen derzeit vor besonders großen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt", sagt der Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph.
"Ernst zu nehmende Entwicklung"
Gleichzeitig seien sie von der aktuellen Konjunkturschwäche besonders betroffen, da sie häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiteten und eher entlassen würden als Fachkräfte. Vor diesem Hintergrund zeigt sich Rudolph besorgt über die angespannte finanzielle Lage vieler Jobcenter. Im anstehenden Bundestagswahlkampf drohe zudem eine populistische Zuspitzung des Themas auf das falsche Bild der "faulen Arbeitslosen".
Mehr als 70 Prozent der im Jobcenter Frankfurt gemeldeten Arbeitslosen haben nach Darstellung des Geschäftsführers Ulli Dvořák keinen Berufsabschluss. "Diese Zahl zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Qualifikationen vieler Arbeitsuchender", so Dvořák.
Zudem sei die Zahl der Langzeitbezieher im Vergleich zum Vorjahr abermals gestiegen. "Eine ernst zu nehmende Entwicklung, die zeigt, wie schwierig es für Menschen ohne berufliche Qualifikationen ist, wieder in eine langfristige und stabile Beschäftigung einzutreten", so Dvořák. Seine Behörde versuche, dem mit Weiterbildung und Qualifizierung sowie intensiver Beratung entgegenzuwirken.
In der Qualifizierung sieht auch Frank Martin einen sinnvollen Ansatz zur Prävention von längerer Arbeitslosigkeit. Darum empfiehlt er sie auch schon für jene, die noch in Beschäftigungsverhältnissen sind, weil die Entlassung von Fachkräften für Arbeitgeber längerfristig keine gute Wahl sei. Unternehmen könnten beispielsweise in auftragsschwachen Zeiten mit Weiterbildung und Unterstützung der Arbeitsagenturen ihre Lohnkosten senken und Fachkräfte halten.
Sorge bereitet in diesem Zusammenhang der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG, dass in der Gastronomie immer häufiger nur befristete Arbeitsverträge vergeben würden. "Es gibt zwar einen Fachkräftemangel, trotzdem verzichten einige Betriebe in Frankfurt nach wie vor darauf, ihre Beschäftigten zu binden", sagt Hendrik Hallier von der Gewerkschaft.
So sind nach seinen Angaben im ersten Quartal dieses Jahres 35 Prozent der von privaten und öffentlichen Arbeitgebern in Frankfurt abgeschlossenen 48.220 Arbeitsverträge befristete Jobs gewesen. Hallier gibt zu bedenken, dass befristet Beschäftigte es schwerer hätten, eine Wohnung zu mieten oder einen Kredit beispielsweise für einen Autokauf zu bekommen. Das wirke sich oft auch auf die Familienplanung aus. Um das zu verhindern, fordert die NGG Rhein-Main, Befristungen ohne konkreten Grund – wie die Überbrückung einer Elternzeit – abzuschaffen.
Inklusion als eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Betroffene
Die wirtschaftliche Lage wird häufig als Grund für Befristungen angeführt. Und sie ist wohl auch der Grund, warum Unternehmen Menschen mit Behinderungen immer seltener einstellen. Im Oktober seien in Hessen 11.650 dieser Menschen arbeitslos gewesen, fast sechs Prozent mehr als ein Jahr zuvor, meldet die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf eine Studie des Handelsblatt Research Institute und des Vereins Aktion Mensch.
Immer mehr Unternehmen kämen ihrer gesetzlichen Pflicht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, nicht nach. "Der Anteil der in Hessen ansässigen Betriebe, die die vorgegebene Fünf-Prozent-Quote vollständig erfüllen, ist auf einen Tiefstwert gesunken", teilte Aktion Mensch mit.
In Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern sind Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. In Hessen sind das den Angaben zufolge derzeit mehr als 13.000 Unternehmen. Lediglich 42 Prozent davon erfüllten die Quote vollständig.
Nach Angaben der Arbeitsagenturen waren 2022 rund 102.000 schwerbehinderte Menschen in Hessen in einer Beschäftigung. Frank Martin nennt Inklusion eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Betroffene, denn sie seien vielfach überdurchschnittlich qualifiziert. "Dies hilft Unternehmen und Betrieben, den Fachkräftebedarf zu reduzieren" , so Martin. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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