Neuen Wiesbadener Stadtteil: Nach zehn Stunden Verhandlung fiel das Urteil: Der hessische Verwaltungsgerichtshof weist Klagen gegen den neuen Wiesbadener Stadtteil Ostfeld ab. Doch die Kläger könnten vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen.

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Der geplante Wiesbadener Stadtteil Ostfeld hat eine weitere Hürde genommen. Der 4. Senat des hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Kassel hat in zwei Normenkontrollverfahren die Rechtmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme "Ostfeld" bestätigt. Damit verfügt die Landeshauptstadt nach ihren Angaben über die notwendige Planungssicherheit, um den Bau des neuen Stadtteils für bis zu 10.000 Menschen weiter voranzutreiben.

Eine Klage des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hatte der VGH schon vor einer Woche zurückgewiesen. Für beide Urteile wurde die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden.

Fast zehn Stunden lang haben die Kasseler Richter am Donnerstag verhandelt, bis sie gegen 20 Uhr das Urteil sprachen. Die sieben Kläger wollten erreichen, dass die Entwicklungssatzung "Ostfeld" für unwirksam erklärt wird. Mithilfe der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme ist es der Stadt möglich, die für den Bau benötigten Grundstücke günstiger zu erwerben und die Eigentümer notfalls zu enteignen.

Richter sehen keine formellen oder materiellen Mängel

Die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung hatte 2020 den Beschluss für die Entwicklungsmaßnahme gefasst. Die Kläger gingen dagegen vor, weil aus ihrer Sicht fehlerhafte Annahmen zugrunde lagen, wie die Stadt mitteilte. Während der Verhandlung wurden von den Klägern – unter anderem Landwirte und Bewohner der Siedlung Fort Biehler – zahlreiche Beweisanträge eingebracht, die ihre Argumente untermauern sollten. So hieß es etwa, die Bevölkerung in Wiesbaden wachse gar nicht, außerdem gebe es keine Möglichkeit für die zwingend vorgeschriebene Schienenanbindung des Stadtteils.

Die Richter des 4. Senats führten in ihrer mündlichen Urteilsbegründung jedoch aus, dass die Satzung weder unter "formellen noch materiellen Mängeln" leide. Die Maßnahme stehe im öffentlichen Interesse und sei zudem finanzierbar. Insbesondere habe die Landeshauptstadt eine nachvollziehbare Prognose über die Bevölkerungsentwicklung angestellt, um den Mangel an Wohn- und Arbeitsstätten zu belegen. Dabei sei der Wert der gegebenenfalls zu erwerbenden Grundstücke durch den Gutachterausschuss für Immobilienwerte für die Gegend der Landeshauptstadt Wiesbaden zutreffend ermittelt worden, teilte das Gericht mit.

Zur Frage, ob die Stadt einen Fluglärmbereich in der Satzung hätte regeln müssen, sagte der Senat, dies sei eine Frage der konkreten Planung. Die Entwicklungsmaßnahme enthalte weder eine solche konkrete Planung, noch gebe sie der Stadt eine verbindliche Vorgabe. Deswegen habe es keiner Prüfung bedurft. Das gelte auch für die Aspekte des Klimaschutzes und der Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs.

Der Satzung sei nicht zu entnehmen, dass die Erschließung allein durch die sogenannte City Bahn zu erfolgen habe. Auf Nachfrage erklärte eine Gerichtssprecherin, es gehe um die Frage, ob dies in der Satzung hätte geregelt werden müssen, das sei aber nicht der Fall. Die Richter seien zum Schluss gekommen, dass Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit beim Satzungserlass beachtet worden seien.

"Wir wollen die Stadt voranbringen"

"Das ist ein guter Tag für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Wiesbaden, denn das ist das Kernstück der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme", kommentierte Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) das Urteil und fügte an: "Ich bin froh, dass der Satzungsbeschluss Bestand hat."

Er wertete das Urteil, wie auch das vorherige Urteil aufgrund der BUND-Klage, als Beleg dafür, dass die Entwicklungsmaßnahme vom damaligen Dezernenten Hans-Martin Kessler (CDU) "sehr gut vorbereitet" worden sei. Die Untersuchungen seien umfassend gewesen und die Begründung "gut gemacht", sagte Mende. "Wir sind ein gutes Stück weiter, aber es gibt noch sehr viele Dinge zu regeln." Er verwies unter anderem auf die Aufstellung von Bebauungsplänen und die Bauleitplanung.

Der Oberbürgermeister erneuerte sein Angebot an die unterlegenen Kläger, weitere Gespräche zu führen. "Dass die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Bestand hat, hat sicher auch eine Signalwirkung mit Blick darauf, Grundstücke bereitzustellen", sagte Mende. Er wünsche sich, dass die Gräben der Vergangenheit überwunden würden und alle Beteiligten nach vorne schauten.

Das sah auch Roland Stöcklin, Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsgesellschaft SEG, so: "Wir sind alle Wiesbadener und wollen die Stadt voranbringen." Er geht davon aus, dass nun mehr Eigentümer auf das Angebot der Stadt eingehen werden, insbesondere was den Flächentausch betrifft. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass schon in den Jahren zuvor viele Grundstücke erworben wurden.

Stöcklin sieht in dem Kasseler Urteil den Beweis für die geleistete Arbeit der vergangenen Jahre. "Wir haben auf dem Weg dorthin schon unglaublich viele dicke Bretter gebohrt, und das Normenkontrollverfahren ist ein wichtiger Zwischenschritt für das Ostfeld", sagte der SEG-Geschäftsführer.

Der hessische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) bedauerte derweil die Entscheidung des Gerichts. Vorsitzender Jörg Nitsch teilte mit, dass jetzt der großflächige Verlust von sehr fruchtbaren Ackerböden drohe. Außerdem befürchte er den Verlust von wichtigem Lebensraum für die seltene Feldlerche und weitere Tierarten. Der Vorsitzende gab zu bedenken, dass sich mit der "geplanten Trabantenstadt" auf dem Ostfeld auch die klimatische Situation in den angrenzenden Stadtteilen zu verschlechtern drohe.

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Der Verwaltungsgerichtshof hatte vor einer Woche die Klage des BUND zur Zielabweichung im Regionalplan abgewiesen. Laut Nitsch warte die Umweltorganisation auf die schriftliche Begründung, bevor sie über eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht entscheide.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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