Walter Sittler ist in den USA geboren worden. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Schauspieler, warum es ihm leicht über die Lippen geht, sich selbst als "alter, weißer Mann" zu bezeichnen und ordnet – mit Blick auf den Wahlsieg Trumps – ein, warum wir auch in "Deutschland schon ein paar Mini-Trumps haben".

Ein Interview

In der Rolle des Robert Anders ermittelt Schauspieler Walter Sittler in "Der Kommissar und der See", ein Spin-Off der langjährigen Fernsehreihe "Der Kommissar und das Meer". Seine Figur ist inzwischen im Ruhestand – und auch der 71-Jährige selbst bezeichnet sich mittlerweile als "alter, weißer Mann".

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Herr Sittler, in "Der Kommissar und der See" ermitteln Sie diesmal "In besseren Kreisen". Wobei: Sind es für Kommissar Robert Anders nicht gleichzeitig auch bekannte Kreise, in denen er sich dort am Bodensee bewegt?

Walter Sittler: Ja, das ist so. Dieser Kommissar, der viele Jahre auf der schwedischen Insel Gotland verbracht hatte (Anm. d. Red.: ein Bezug zur Serie "Der Kommissar und das Meer"), ist in seine alte Heimat an den Bodensee zurückgekehrt. Mittlerweile ist er Rentner. Natürlich sind noch eine ganze Reihe von Leuten vor Ort – auch die, vor denen Robert Anders damals weggelaufen ist. Jetzt, nach seiner Rückkehr, hat sich für ihn eine neue Gemengelage ergeben. Wenn man – so wie er – von Außen kommt, dann ist es oft leichter, das Ganze zu durchschauen. Er ist in keiner gesellschaftlichen Gruppe verfangen, sondern hat eine völlig neue Rolle inne. Das macht es ihm möglich, anders hinzuschauen als diejenigen, die ihre Heimat nie verlassen haben.

Walter Sittler (M.) ist am 9. Dezember in der Primetime in "Der Kommissar und der See" zu sehen. © ZDF und Manju Sawhney

Das gilt nicht nur für Kommissare.

Stimmt. Zum Beispiel dürfen Manager in Japan immer mal wieder ein, zwei Monate in die Einsamkeit abtauchen – einfach um nachzudenken, ob sie sich auf dem richtigen oder dem falschen Weg befinden. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die japanische Gesellschaft sehr kompliziert und anspruchsvoll ist. Die Selbstmordrate ist vergleichsweise hoch. Dennoch ist es für den Blick auf sich selbst ganz entscheidend, die gewohnten Gleise hin und wieder zu verlassen. Die Bibel empfiehlt, 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste zu verbringen. Ich halte das für einen sehr sinnvollen Vorgang …

… zu dem Sie wem raten würden?

Ich wünschte, einige der derzeitigen Politiker würden das machen – aber sie tun es nicht. Auf diese Weise würde man aber lernen, dass man die Wichtigkeit, die man zu haben glaubt, eigentlich nicht hat.

Ohne Sie in die Wüste schicken zu wollen: Aber leben Sie selbst nach dieser Maxime?

In meinem Beruf habe ich den großen Vorteil, dass ich dauernd Menschen anschauen kann. Ich kann studieren, wie sie so sind und warum sie so sind. Das überträgt sich natürlich auch auf mich selbst. Insofern fällt mir dieser Schritt zurück sehr leicht. Ich betreibe das also ständig und befinde mich so gesehen andauernd in der Wüste (lacht).

"Politiker sollten meines Erachtens mit 65 aus der aktiven Politik ausscheiden und Berater werden."

Walter Sittler

Von der Wüste zurück auf die Galgeninsel vor Lindau, wo sich der Tatort des neuen Falls von "Der Kommissar und der See" befindet: War Ihnen die sagenumwobene Geschichte dieser Halbinsel bekannt?

Obwohl ich einige Jahre in der Nähe des Bodensees zur Schule gegangen bin, kannte ich diese Geschichte zuvor nicht. Sie ist aber wahr und spielte sich im späten Mittelalter beziehungsweise in der frühen Renaissance ab. Delinquenten wurden gefesselt in den See geworfen – nur wenn sie überlebten, waren sie unschuldig. Da sie aber überhaupt keine Chance hatten zu überleben, waren sie auf jeden Fall tot.

In dem Film geht es um Roberts Schulfreund Bernd Eschenbach (gespielt von Peter Benedict), dessen manipulative Ader der Kommissar erst jetzt, viele Jahre später, erkennt. Warum merken wir oft viel zu spät oder gar nicht, dass wir manipuliert worden sind?

Es passiert im Leben ständig, dass man nicht versteht, was jemand mit einem macht – weil diese Person vielleicht tolle Reden schwingen kann oder besonders zugewandt auftritt. In der Politik und der Wirtschaft können wir das täglich beobachten. Auch hier ist es hilfreich, wenn man zurückkommt und von Außen auf etwas blickt. Robert Anders hat die Tentakeln sozusagen draußen. Da er in sich ruht, braucht er für sich selbst nicht viel Aufmerksamkeit. Er riecht den Dreck und folgt der Spur.

War diese Entwicklung der Figur ausschlaggebend dafür, dass Sie einer Fortsetzung unter dem leicht abgewandelten Titel zugestimmt haben?

Es gibt sehr viele, gute Krimis. Doch sehr häufig sind die Kommissarinnen und Kommissare recht einsam und ein bisschen eigen. Wir aber wollten einen Kommissar, der Vater ist und ein normales Leben führt. Wir wollten einen Kommissar, der innerlich nicht beschädigt ist. Im Vordergrund steht das Drama der Opfer und das Drama der Täter. Es geht um die Frage: Wo stehen wir in der Gesellschaft?

Wie lange kann und sollte man einen eigentlich pensionierten Kommissar noch ermitteln lassen?

In der Tat spiele ich diese Figur schon seit fast 20 Jahren. Es wird noch ein bisschen weitergehen. Aber: Ich bin mittlerweile ein alter, weißer Mann. Irgendwann muss man mal die Jüngeren ranlassen. Auch Politiker sollten meines Erachtens mit 65 aus der aktiven Politik ausscheiden und Berater werden. Nehmen wir die USA: Es ist nur noch entsetzlich, dass diese alten Männer nach wie vor bestimmen wollen.

Ich bin erstaunt, wie leicht es Ihnen über die Lippen geht, sich selbst als "alter, weißer Mann" zu bezeichnen …

Warum sollte mir das schwerfallen? Jung war ich schon – das sind jetzt andere. Auch die Welt ist eine ganz andere als die, die ich als junger Mann erlebt habe. Manche Dinge kann ich gar nicht mehr richtig verfolgen, weil es zu schnell geht. Auch ich habe große Manschetten vor diesen sogenannten sozialen Medien, weil sie im Wesentlichen Unheil anrichten. Das Internet ist grundsätzlich ein tolles Werkzeug, das aber inzwischen von Meinungsmachern missbraucht wird. Dennoch sage ich nicht: Früher war alles besser! Das stimmt nämlich nicht, ich war ja dabei. Es ist anders. Die Jüngeren müssen diese Welt handhaben. Wenn sie mich fragen, dann sage ich, was ich denke. Und wenn sie mich nicht fragen, dann sage ich auch nichts.

Sie sind gebürtiger US-Amerikaner und haben im Sommer gegenüber der "Stuttgarter Zeitung" gesagt: "Wenn Trump gewinnt, haben wir ein großes Problem." Sie bleiben dabei?

Ja, wir haben jetzt ein großes Problem. Wir erleben zum ersten Mal seit langer Zeit, dass eine Gruppe von Leuten den Staat als ihr Eigentum übernimmt. Diese Menschen halten nichts von Gesetzen, sondern machen nur das, was sie für richtig halten. Und jeder, der nicht so denkt wie sie, ist ihr Feind. Diese Menschen übernehmen Teile des Faschismus. Das ist genau das, was in Amerika gerade passiert – allerdings nicht in dem Umfang, wie wir das damals in Deutschland hatten. Dafür sind noch zu viele andere da, die noch bei Verstand sind.

Wie groß ist dieses "Problem" Ihrer Meinung nach für Deutschland?

Wir werden große Probleme bekommen, als Partner wahrgenommen zu werden. Denn Partner gibt es für diese Leute nicht. Die sind oben und die Anderen sind unten und haben zu gehorchen. Diese Ausgangssituation wird es sowohl wirtschaftlich als auch politisch schwierig machen. Aber wir sind nicht hilflos – auch wenn wir in Deutschland schon ein paar Mini-Trumps haben.

"Die Amerikaner könnten so viel mehr Gutes anrichten, wenn sie sich nicht so wichtig nähmen."

Walter Sittler

An wen denken Sie?

Es gibt auch bei uns Politiker in wichtigen Positionen, die Gelder streichen, wo man sie wirklich braucht, etwa bei der Altenpflege oder der Kinderbetreuung. Dabei sind doch die Kinder diejenigen, die das Geschehen übernehmen müssen, wenn wir eines Tages nicht mehr können.

Wollen Sie sich nicht an Kommissar Robert Anders orientieren und Ihren Blick von Außen einbringen – in diesem Fall Ihren Blick auf das politische Geschehen? Sie waren bereits zweimal auf Vorschlag der SPD Mitglied der Bundesversammlung.

Die sollten mich nicht mehr hinschicken. Denn die, die ich wähle, die werden es nicht (lacht). Ich habe beide Male verloren. Im Übrigen gehört das aber zur Politik dazu. Mann muss auch verlieren können. Es nützt nichts, sich zu beklagen und zu weinen. Politik ist ein Geschäft – und es ist ein schwieriges Geschäft. Aus diesem Grund habe ich für alle Politikerinnen und Politiker, die sich an die Demokratie und die Wirklichkeit halten, große Sympathien.

Wie viel Sympathien haben Sie heute noch für Ihr Geburtsland übrig?

Amerika ist das Land, in dem mein Vater geboren wurde und in dem meine Mutter die glücklichsten Jahre ihres Lebens verbrachte. Ich hänge an diesem Land, das so unglaublich vielfältig, toll und gleichzeitig entsetzlich ist. Es bietet einerseits viele Freiheiten und andererseits viele kapitalistische Einschränkungen, die den Menschen das Leben unfassbar schwer machen. Die Vermögensunterschiede gehen auf keine Kuhhaut. Trotzdem steht das Land zum Beispiel nach wie vor für wunderbare Musiker und wunderschöne Landschaften. Die Amerikaner könnten so viel mehr Gutes anrichten, wenn sie sich nicht so wichtig nähmen. Das trifft in besonderem Maße auf ihre Militäreinsätze zu. Immer, wenn sie ohne ihre Partner etwas gemacht haben, ist es schiefgegangen – ob im Irak oder in Afghanistan. Sie behaupten, dass es gutgegangen wäre – es stimmt aber nicht.

Werden Sie während der zweiten Trump-Ära in die USA reisen?

Eine Sippenhaft im Stile von Donald Trump schließe ich aus. Von den 230 bis 250 Millionen Wahlberechtigten haben ihn circa 30 Prozent gewählt. Das muss man sich nur vor Augen führen. 70 Prozent der Wahlberechtigten haben entweder nicht ihn oder gar nicht gewählt. Ich werde den Teufel tun und meine Reisen einschränken, nur weil in den USA ein demokratieverachtender Lügner Präsident wird. Ich denke gar nicht dran.

Neben der Schauspielerei widmen Sie Ihre Zeit diversen Lesungen. Unter anderem lesen Sie mit Ihrer langjährigen Schauspielkollegin Mariele Millowitsch aus dem Roman "Alte Liebe" vor. Trifft das Motto "Alte Liebe rostet nicht" auch auf Sie beide zu?

Oh, ja, da rostet gar nichts. Diese Lesung ist uns wie auf den Leib geschrieben, das machen wir bereits seit 2018.

Schwelgen Sie beide noch manchmal in Erinnerungen, wenn Sie an die Serien "girl friends" und "Nikola" zurückdenken? Sie galten ab Mitte der 90er als Traumpaar des deutschen Fernsehens.

Dafür sind wir beide zu sehr auf dem Boden und in der Realität. Die Sachen, die wir gemacht haben, sind ja vorbei. Wenn uns jemand fragt, dann reden wir natürlich darüber. Es ist ein großes Glück, wenn man zum richtigen Zeitpunkt auf Leute trifft, mit denen einen mehr verbindet als nur Arbeit. Und wenn das auch auf dem Bildschirm sichtbar wird. Wir haben gemeinsam komplett unterschiedliche Sachen gemacht – eine sehr freundliche Familienserie ("girl friends") und nahezu parallel die Comedyserie ("Nikola"), die heute noch bei RTL wiederholt wird. Wenn du im Fernsehen gute Geschichten erzählen willst, dann brauchst du gute Bücher. Alles andere ist zweitrangig.

Wann erscheint die Doku "Girl's don't cry", die Sie gemeinsam mit Ihrer Frau Sigrid Klausmann gedreht haben?

Ich bin zwar der Produzent, war aber nicht bei den Dreharbeiten dabei. Meine Frau ist die Regisseurin – und das inhaltliche Zentrum. Es geht um sechs Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Mit jeder haben wir einen eigenen Kurzfilm gedreht. Nur sie – und manchmal die Eltern – kommen zu Wort. Diese sechs Episoden sind letztlich in einem langen Film zu sehen – allerdings nicht einfach nur aneinander geschnitten, sondern thematisch miteinander verwoben. Die Musik stammt von unserer Tochter (Lea-Marie Sittler; Anm. d. Red.). Der Film ist mittlerweile fertig und soll nächstes Jahr in die Kinos kommen. Aktuell sind wir dabei, ihn bei Festivals einzureichen. Noch wichtiger aber ist, dass wir "Girl's don't cry" in die Schulen bekommen.

"Der Kommissar und der See": Ab 30. November in der ZDFmediathek und am 9. Dezember um 20:15 Uhr im ZDF.

Über den Gesprächspartner

  • Walter Sittler ist ein US-amerikanisch-deutscher Schauspieler und Filmproduzent. Mitte der 1990er-Jahre wurde er mit der Fernsehserie "girl friends" sowie der Sitcom "Nikola" einem breiten TV-Publikum bekannt. Von 2007 bis 2021 spielte er die Titelrolle in der Fernsehreihe "Der Kommissar und das Meer". Seit 2022 ist er in dem Spin-Off "Der Kommissar und der See" zu sehen.
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