In der gesellschaftlichen Diskussion ist längst angekommen, dass immer mehr Kinder und Jugendliche unter Schulstress und Leistungsdruck leiden. Ob es das berüchtigte "Turbo-Abi" war (G8, die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre) oder ob man über die langfristigen Folgen der Covid-Pandemie spricht: Schülerinnen und Schüler fühlen sich durch die Leistungserwartungen von Eltern und Lehrkräften zunehmend überfordert. Und das schon seit Jahren. Die Folgen von Überforderung und hohem Leistungsdruck können für Kinder und Jugendliche sowohl seelisch als auch körperlich schwerwiegend sein. Daher sollten Eltern und Lehrkräfte gerade auch mit den Themen "Zeugnisse und Zensuren" besonders behutsam umgehen.
"Mama, ich muss dir was sagen…" − Kinder und Jugendliche werden durch ein schlechtes Zeugnis oder gar eine Versetzungsgefährdung grundsätzlich erst einmal in eine seelische Notlage versetzt. Hat man das Glück, dass sich die eigenen Kinder ihren Eltern leicht anvertrauen, kommt man natürlich auf den ersten Blick besser mit solchen Situationen zurecht. Doch Vorsicht, man sollte sich nicht zu schnell in Sicherheit wiegen. Es kann auch sein, dass sich ein Kind gerade in einer Entwicklungsphase befindet, in der das Zeugnis besonders eng mit dem eigenen Selbstwertgefühl verbunden ist. Unsicherheit, Versagensängste, das Gefühl von Hilflosigkeit und Wertlosigkeit können jedes Kind und jeden Teenager jederzeit treffen − und damit auch die Eltern. Daher gilt bei einem schlechten Zeugnis zunächst das Gebot: durchatmen und ruhig bleiben.
Wie können Eltern auf schlechte Zeugnisse und Noten reagieren?
Was Eltern bei einem schlechten Zeugnis nicht tun sollten:
"Jetzt reichts, dein Handy wird einkassiert!" − ob Smartphone-Entzug, wochenlanger Hausarrest, das Verbot Freunde zu treffen oder eine andere Form der Bestrafung, die als Liebesentzug empfunden wird: Solche und ähnliche Sanktionen helfen nicht dabei, ein schlechtes Zeugnis wieder gutzumachen und Kinder zu motivieren, auf lange Sicht erfolgreicher und mit mehr Freude zu lernen. Natürlich können Eltern schlechte schulische Leistungen nicht einfach ignorieren, die Ursachen müssen untersucht und besprochen werden. Die Verantwortung hierfür liegt zunächst bei den Kindern und Eltern: genau hinschauen − und ehrlich zueinander sein. Man sollte auch nicht voreilig die "Schuld" bei Lehrkräften, Mitschülerinnen oder Mitschülern suchen. Es gilt, konstruktive Ideen zu sammeln. Wie kann man die Lernziele künftig besser erreichen und das Schuljahr doch noch meistern? Leistungsbereitschaft ohne Leistungsdruck fördern − das sollte das Ziel sein.
Bringt das Kind ein gutes oder sogar sehr gutes Zeugnis mit nach Hause, sollten Eltern darauf unbedingt mit Lob und Anerkennung reagieren und den Kindern zu ihren Erfolgen gratulieren. Ob liebevolle Umarmung, stürmisches Jubeln, ein Lieblingsessen oder ein Familienausflug: Formen der Anerkennung gibt es viele. Es kann großen Spaß machen, sich etwas Schönes als Belohnung für das eigene Kind auszudenken − auch mit dem Kind zusammen!
Das richtige Lob − in einem gesunden Maß: In der Erziehungswissenschaft und Forschung ist man zu der Erkenntnis gelangt, dass die Art des Lobens ganz entscheidend ist. Was man auf alle Fälle vermeiden sollte, ist falsches oder übertriebenes Lob. Kinder spüren, ob man es ehrlich meint. Ist Lob unaufrichtig, grundlos oder übertrieben, reagieren Kinder auf Dauer eher misstrauisch, beginnen an sich zu zweifeln oder lassen sogar in der Leistung nach. Wichtig ist zudem im schulischen Kontext, dass man sich beim Loben auf die Anstrengungen und Lernfortschritte konzentriert: Kinder sollten dafür gelobt werden, dass sie etwas lernen, etwas können, erreicht oder gemeistert haben − nicht dafür, dass sie bessere Zeugnisse haben als andere Kinder oder vermeintlich klüger sind.
Geld als Belohnung für ein gutes Zeugnis: Laut einer Forsa-Umfrage von 2018 belohnen weit über die Hälfte der Deutschen ihre Kinder für die Zeugnisse. Sechsunddreißig Prozent der Befragten gaben an, ihren Kindern Geld fürs Zeugnis zu geben. Pädagoginnen und Pädagogen sehen hier jedoch auch Gefahren: Eine Belohnung mit Geld fördert das Anspruchsdenken, Kinder erwarten dann ggf. immer mehr und mehr − je nach Leistung. Zudem kann die Zufriedenheit des Kindes mit seiner erbrachten Leistung geschmälert und durch den Wunsch nach einer Belohnung durch Geld ersetzt werden. Geld als Belohnung kann die materielle Orientierung von Kindern und Jugendlichen befeuern und unter Umständen negativen Einfluss auf die Charakterbildung haben.
Schulische Leistungen dürfen nie an die Zuneigung zum Kind gebunden bzw. damit verknüpft werden − weder die guten Leistungen noch die weniger guten. Zumal gut oder schlecht immer auch subjektive Kriterien sind. Was für das eine Kind ein gutes Zeugnis ist, mag für ein anderes schon unbefriedigend sein. Wenn ein Kind nicht konstant gute Leistungen bringt, ist das zunächst einmal auch kein Grund zur Sorge oder ein Anlass, dem Kind gegenüber Enttäuschung zu signalisieren.
Das nächste Zeugnis kommt bestimmt − und dann gibt es auch wieder einen Grund zur Freude:
Durch gezielte Förderung lässt sich fehlendes Wissen bzw. Grundwissen nachholen, damit die Lernziele in den betreffenden Fächern erreicht werden und das Zeugnis verbessert werden kann. Individuell auf die Lernbedürfnisse von Kindern, Jugendlichen oder auch Studierenden zugeschnitten, wird professionelle Nachhilfe für alle Fächer, Schularten und Klassenstufen angeboten: Einfach mal die unterschiedlichen Nachhilfeangebote vergleichen.
Auch prominente und sehr erfolgreiche Persönlichkeiten haben sich in der Schule schwergetan. Albert Einstein, der gemeinhin als Genie gilt, konnte sich nur schwer anpassen, verließ die Schule mit fünfzehn Jahren und holte erst später sein Abitur nach. Auch das politische Schwergewicht Winston Churchill und der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann blieben mal sitzen. Steven Spielberg, der zweiundzwanzig Mal für den Oscar nominiert wurde und als kommerziell erfolgreichster Regisseur gilt, hatte Schwierigkeiten im Studium. Auch viele deutsche Stars haben (mindestens) eine Ehrenrunde gedreht. Wer also mal ein schlechtes Zeugnis nach Hause bringt oder in der Uni eine Durchhänger-Phase hat, muss nicht gleich an sich zweifeln. All das sagt noch nichts darüber aus, wie erfolgreich man später mal im Leben ist.
Wir leben in einer sog. "Leistungsgesellschaft". Man nimmt also an, dass die Verteilung von gesellschaftlichem Einfluss und Ansehen, von Einkommen und Vermögen entsprechend der erbrachten Leistung bemessen werden kann. Dieses Leistungsprinzip setzt daher schon im Kindes- und Jugendalter an: Schulen bereiten junge Menschen darauf vor, bestimmte soziale sowie fachliche Qualifikationen und Fähigkeiten zu erwerben. Kinder und Jugendliche sollen sich im Leben zurechtzufinden, Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, sich in die Gesellschaft integrieren und diese aktiv mitgestalten. Um die Erreichung bestimmter Leistungsziele irgendwie bewerten zu können und auch vergleichbar zu machen, gibt es Leistungsmessungen und -bewertungen an Schulen, Berufsschulen und Unis. Am Ende steht also immer eine individuelle Leistungsübersicht: ein Zeugnis.
Wer in Mathematik eine Eins im Zeugnis hat, befindet sich auf dem höchsten Leistungslevel in diesem Fach. Mit einer Drei gehören Lernende noch ins Mittelfeld. Ab Note Vier ist die Leistung gerade mal noch ausreichend, mit einer Fünf oder gar einer Sechs im Zeugnis sind Lernziele nicht erreicht, die Versetzung ist gefährdet. Doch wie aussagekräftig sind Noten tatsächlich? Ist eine wirklich differenzierte und individuelle Beurteilung von Leistungen damit überhaupt möglich? Die numerische Bewertung (Note 1 bis Note 6) von schulischen Leistungen wird schon seit Jahrzehnten kontrovers von Pädagoginnen und Pädagogen sowie politisch Verantwortlichen in Bildung und Wissenschaft diskutiert.
Wer Zensuren befürwortet, argumentiert zumeist, dass diese numerische Leistungsbewertung einfach und gerecht sei − und für eine erfolgreiche Ökonomie und Wirtschaftsgröße wie Deutschland unumgänglich. Diese Argumentation folgt dem Leistungsprinzip: Wer ehrgeizig ist und sich ordentlich anstrengt, wird mit guten Noten belohnt. Nicht die Herkunft oder andere soziale Faktoren entscheiden, wer welche Ausbildung macht oder eine weiterführende Schule oder Universität besucht, nur die individuell erbrachte Leistung sollte zählen. Doch ist das in der Realität wirklich so?
Wer sich gegen die klassische Vergabe von Zensuren und Zeugnissen ausspricht, findet ebenfalls gute Argumente: Diverse Untersuchungen wie z. B. die IGLU-Studien aus den Jahren 2016 und 2021 belegen, dass das reine Leistungsprinzip nicht immer funktioniert. Die (soziale) Herkunft eines Kindes spielt tatsächlich auch eine zentrale Rolle, sodass eine rein objektive Leistungsmessung nicht oder kaum möglich ist. Lehrerinnen und Lehrer bewerten die Arbeiten ihrer Schützlinge trotz gleicher Ergebnisse oft unterschiedlich, können nicht völlig objektiv bleiben − selbst, wenn sie es aufrichtig versuchen. Wo es Menschen gibt, menschelt es. Besonders deutlich wird das beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I, also ob ein Kind eine Empfehlung für Hauptschule, Realschule, Gymnasium oder Förderschule erhält. Kinder aus sozial benachteiligten Familien werden beispielsweise trotz gleicher Leistungen nicht so oft für das Gymnasium empfohlen wie Kinder aus sozial besser gestellten Familien. Zeugnis-Noten sind demzufolge weniger objektiv und vergleichbar als häufig angenommen.
Fazit!?
Die meisten Eltern, Lehrkräfte und Bildungsministerinnen und -minister scheinen nach wie vor die Leistungsbewertung mittels Noten zu präferieren. Man hält Zensuren in einer Leistungsgesellschaft nach wie vor für notwendig, um Schülerinnen und Schüler besser bewerten und miteinander vergleichen zu können, im nationalen wie internationalen Vergleich. Doch die Debatte über Zeugnisse und Notenvergabe sowie über die Zukunft des Lernens wird weitergehen. Es gibt innerhalb der verschiedenen pädagogischen Richtungen diverse Ansätze und Modelle. Hinzu kommt, dass Bildung in Deutschland Ländersache ist und aufgrund des föderalen Charakters vereinheitlichte Lösungen kaum durchsetzbar sind.
Es gibt in Deutschland bereits einige Modellversuche und Alternativkonzepte für eine neue Form der pädagogischen Leistungsbewertung: "Zeugnisse ohne Noten", das Konzept der individuellen Lerncoachings und weitere Ansätze werden in den einzelnen Bundesländern bereits gelebt. Grundlage dieser Projekte ist die Überzeugung, dass eine Leistungsbeurteilung auch ohne Noten möglich ist. Gerade Grundschulen in Deutschland haben sich bereits vor vielen Jahren aufgemacht, andere Möglichkeiten der Leistungsbewertung ohne Noten zu erkunden.
So belebte beispielsweise die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper im Jahr 2022 die Idee der "Grundschule ohne Noten" wieder neu. In diesem Modellversuch gibt es an neununddreißig Grundschulen persönliches Feedback und Lerngespräche statt Noten. Die GEW Baden-Württemberg begrüßte das Vorgehen, weil viele Bildungsschaffende sowie Pädagoginnen und Pädagogen überzeugt sind, dass dadurch bessere schulische Leistungen möglich sind.
Es gibt auch Schulen, in denen es bis zur achten Klasse keine Zensuren gibt. Stattdessen trifft sich jede Schülerin bzw. jeder Schüler wöchentlich mit der Lehrkraft zu einem persönlichen Coaching-Gespräch, es gibt Lernbriefe statt Zeugnisse und individuelle Lerntagebücher mit Lernzielen zeigen auf, wo die Schülerin oder der Schüler gerade steht und was es (noch) zu lernen gibt.
(Quelle: Deutsches Schulportal)
Die Digitalisierung der Schulen in Deutschland ist nicht zufriedenstellend gelöst, was unter anderem eine PISA-Studie aus dem Jahr 2020 feststellt. Gerade während der Covid-Pandemie, in der Online-Unterricht und digitale Prüfungen den Präsenzunterricht größtenteils ablösten, wurden die Herausforderungen mehr als deutlich: Es fehlten vielerorts Geräte und Anschlüsse, Schulserver oder Plattformen für den Austausch. Auch viele Lehrkräfte, die bis dato eher analoge Unterrichtsmethoden gewohnt waren, standen vor großen Herausforderungen. Und von der Einführung eines digitalen Zeugnisses konnte erst recht nicht die Rede sein. Doch angesichts der Kritik über die mangelnde Digitalisierung und dem Wunsch nach Fortschritt, beschloss man in Sachsen-Anhalt, das Thema "Digitale Zeugnisse" voranzutreiben. Sowohl der erste Testlauf als auch die überarbeitete Version scheiterten jedoch, unter anderem wegen Sicherheitsbedenken bezüglich der dafür genutzten Blockchain-Technologie. Ob, wie und wann das digitale Zeugnis an deutschen Schulen eingeführt wird, bleibt weiterhin offen.
Ein Schuljahr ist in zwei Halbjahre geteilt, von denen das erste in der Regel mit einem Halbjahreszeugnis endet. Die Zeugnistermine sind dabei von Bundesland zu Bundesland verschieden. Fürs erste Schulhalbjahr bekommen z. B. Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg das Zeugnis bereits Anfang Februar, wohingegen sich die Kinder und Jugendlichen in Bayern bis Mitte Februar gedulden müssen. Das Halbjahreszeugnis gibt es demnach zwischen Ende Januar und Mitte Februar − oft vor den Winter- oder Faschingsferien (aber nicht immer und überall). Das zweite Zeugnis, das Jahreszeugnis inkl. Versetzungsmitteilung, wird in der Regel in der letzten Woche vor den "Großen Ferien" ausgegeben. Auch hier sorgt die föderale Struktur dafür, dass die Sommerferien in jedem Bundesland individuell geregelt sind.
Welchen Stellenwert ein Schulzeugnis hat, hängt ganz vom Ziel ab: Bewirbt man sich für einen Job, achtet ein Unternehmen in der Regel mehr auf den zuletzt erreichten Bildungsabschluss. Es ist also eher entscheidend, ob man einen Haupt- oder Realabschluss, Abitur, einen Hochschulabschluss oder den Abschluss einer Berufsschule vorweisen kann. Natürlich können Zensuren einem potenziellen Arbeitgeber auch Hinweise darauf geben, wo eine Bewerberin oder ein Bewerber Stärken und Schwächen hat. Doch allgemein sind Zeugnisnoten selbst eher zweitrangig. Bewirbt man sich jedoch für einen Studienplatz oder eine bestimmte Ausbildung, sind Noten und Zeugnisdurchschnitt oft ausschlaggebend, wenn es bestimmte Zulassungsanforderungen bzw. Zulassungsbeschränkungen gibt, z. B. einen Numerus clausus.
Ja, es gibt in Deutschland durchaus auch andere Schulformen, in denen weitgehend auf klassische Bewertungsmuster verzichtet wird: In Montessori-Schulen gibt es keine Noten, sondern zwei Mal im Jahr einen Leistungsbericht und in Waldorfschulen wird bis zur Oberstufe auf Zensuren verzichtet.
Vergleichbar ja, aber nicht zu 100 Prozent. Das Bildungssystem in Deutschland ist föderal organisiert: Bildung ist Ländersache. Tatsache ist, dass es immer wieder hitzige Diskussionen über die Vergleichbarkeit von Schulnoten, Zeugnissen und Abschlüssen gibt und solange das Schul- und Bildungssystem nicht auf Bundesebene vereinheitlich ist, wird das wohl auch so bleiben.
Beim Abitur kommt jedoch Bewegung in die Sache: Im März 2023 hat sich die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) darauf geeinigt, das Abitur bundesweit durch eine Reform ("Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe") vergleichbarer machen zu wollen. Die Anpassungen werden spätestens bis 2027 für alle verpflichtend, die 2030 Abitur machen.
Das Abitur ist in Deutschland als Reifezeugnis bekannt und wird − vor allem in Österreich und der Schweiz − auch Zeugnis der Matura genannt. "Maturitas" ist die lateinische Bezeichnung für Reife. Im schulischen Umfeld bedeutet das: Man erhält eine Urkunde über die allgemeine Hochschulreife. Diese Urkunde berechtigt die Maturantin oder den Maturanten zu einer höheren Schulausbildung, etwa an einer Universität oder Hochschule. Dieses "Zeugnis von Reife" bescheinigt vor allem die Fähigkeit eines Menschen, sich Wissen selbstständig anzueignen bzw. sich "wissenschaftlich zu beschäftigen" (lateinisch: "studare"). Man kann nun also studieren!