Immer dasselbe Beuteschema? Dann wird es Zeit, alte Dating-Muster aufzubrechen. Das sogenannte "Contra-Dating" könnte die Lösung sein. Das steckt dahinter.
Bei der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner auf einer Dating-App entscheiden wir meist in Sekundenschnelle, ob wir nach links oder rechts wischen. Ausschlaggebend sind neben dem Aussehen oft gleiche Interessen, Vorlieben oder Erwartungen. Doch was, wenn wir diesen automatischen Prozess einmal bewusst unterbrechen würden?
Die Dating-Seite "Plenty of Fish" hat den Trend "Contra-Dating" ins Leben gerufen. Das Konzept fordert die gängigen Vorlieben und Gewohnheiten heraus, die Menschen oft bei ihrer Partnerwahl leiten. Statt sich auf das Vertraute und Bekannte zu konzentrieren, soll dieser Ansatz dazu motivieren, bewusst außerhalb des üblichen Beuteschemas zu daten.
Dr. Nasanin Kamani, Autorin von "Date Education - Love Bombing, Tinder-Frust und Bindungsangst: Durchschaue dein Date" (EMF Verlag), sieht in dem Trend Potenzial: "Flexibel zu bleiben, ist nie verkehrt", erklärt die Ärztin der Psychiatrie und Psychotherapie gegenüber spot on news. "Solange man hierfür nicht die eigenen Werte aufgeben muss oder auf Punkte verzichtet, die einem in einer Beziehung enorm wichtig sind - zum Beispiel Monogamie, ein gemeinsamer Wohnort oder ein Kinderwunsch."
Starre Muster würden auch oft einengen: "Manchmal verfolgen wir fast schon automatisiert unser altbekanntes Schema X, denken und handeln in einem Rahmen, der sich für uns vertraut und damit sicher anfühlt und hinterfragen unsere aktuellen Bedürfnisse nicht", so Dr. Kamani. Denn Bedürfnisse können sich je nach Erfahrungsschatz, Reifestufe oder Lebensphase ändern. "Insofern könnte das Contra-Dating dabei helfen, die eigenen Erwartungen an einen Partner und an eine glückliche Beziehung noch einmal zu prüfen."
Contra-Dating als Chance, Muster zu aufzulösen
Dr. Kamani sieht das "Contra-Dating" auch als Chance, erlernte Muster zu durchbrechen - etwa in puncto emotionale Verfügbarkeit. "Manche finden Dating-Partner, die früh verbindliches Interesse bekunden und ganz ohne Hindernisse verfügbar sind, uninteressant oder halten diese automatisch für bedürftig. Dabei ist es sehr gut möglich, eine tiefe Bindung zu jemandem aufzubauen, ohne dass es zuvor Phasen gab, die von Unklarheit und Unsicherheit geprägt waren - oder der Eindruck entstanden ist, man habe sich beweisen oder um die Entwicklung der Beziehung kämpfen müssen", sagt Dr. Kamani.
Um ein solches Pattern zu entlernen, müsse man auch ruhigeren Kennenlernverläufen eine Chance geben und die Gefühlsstärke oder das Datingpotential nicht daran messen, wie sehr man sich den Kopf über die andere Person zerbricht.
Contra-Dating: "Nicht mehr dem ersten Impuls folgen"
Aber wie kann es gelingen, Menschen kennenzulernen, die normalerweise nicht in unser Beuteschema oder Raster fallen? Dr. Nasanin Kamani rät, sich etwa beim Online-Dating zum Ziel zu setzen, nicht mehr dem ersten Impuls zu folgen: "Man wählt bewusst auch mal braunhaarig statt blond, Wanderer statt Partymensch, Filmliebhaber statt Museumsgänger."
Dafür müsse man sich aber zunächst über das eigene Dating-Schema im Klaren sein. Hierfür könne man auch Freunde einbinden: "Sie können manchmal schneller als man selbst benennen, worauf man seit Jahren unermüdlich achtet."
Im realen Leben sei es etwas anders: "Begegnungen ergeben sich natürlicher, manchmal erscheint ein Freund oder Kollege erst nach Monaten oder gar Jahren in einem attraktiveren Licht", erklärt Dr. Kamani. "Diesem Gefühl darf man ruhig Raum geben, auch wenn die alten Vorlieben sich zu Wort melden und das Dating-Potential kleinreden wollen."
Die Risiken des "Contra-Dating"
Die Ärztin empfiehlt allerdings, mit der richtigen Erwartungshaltung an den Contra-Dating-Versuch ranzugehen. "Liebe, Dating und Beziehungen sind immer auch mit Risiken wie Zeit- und Energieverlust verbunden, manchmal auch mit Kummer und Wut", so Dr. Kamani. "Mich aus meiner Komfortzone herauszuwagen, Muster zu hinterfragen und Neuem eine Chance zu geben, bedeutet nicht, dass Dinge plötzlich von alleine oder ganz ohne Enttäuschungen ablaufen."
Sie rät, das Ganze eher als Experiment zu betrachten und nicht als die neue Wunderformel. Zudem solle man darauf achten, einen sensiblen Ton zu wählen, wenn man das "Contra-Dating" vor dem anderen thematisiert. "Dass jemand im Grunde das Gegenteil dessen ist, wonach man ursprünglich gesucht hat, kann verletzend klingen. Dass man positiv überrascht ist über die Entwicklung, da man einen ähnlichen Typ Mann oder Frau zuvor nicht gedatet hat, klingt schon ganz anders."
Wie wir beim Dating ein Beuteschema entwickeln
Woran liegt es eigentlich, dass die meisten Menschen beim Dating in Muster verfallen oder bestimmte Vorlieben entwickeln? Laut Dr. Nasanin Kamani nehmen viele die eigenen Eigenschaften oder Interessen als eine Art Mindeststandard: "Sie möchten zum Beispiel niemanden daten, der weniger sportlich, reisefreudig oder gebildet ist."
Auch bestimmte Charakterzüge würden eine Rolle spielen: "Manche begeben sich auf die Suche nach einer fürsorglichen-empathischen Natur, die mit den eigenen emotionalen Schwankungen gut zurechtkommt, diese vielleicht sogar abfängt." Andere Menschen seien auf der Suche nach Menschen, die sie subjektiv als "bessere Partie" empfinden. "Hier besteht die Hoffnung, sich dadurch aufzuwerten und zufriedener zu fühlen. Das funktioniert natürlich nicht", sagt Dr. Kamani. "Das 'Supermatch' wird aus den falschen Gründen gejagt und liefert zudem nur kurzfristige Selbstwertkicks, das hat mit tatsächlicher Stabilität wenig zu tun."
Andere Vorlieben entwickeln sich laut Dr. Kamani aus unserer Geschichte und vergangenen Erfahrungen: "Ein bedeutsamer Ex-Partner, der unser Bild von Liebe und einem gemeinsamen Alltag geprägt hat, oder die Beziehung der Eltern, die als positives Vorbild oder abschreckendes Beispiel dienen kann."
Warum Muster im Dating zum Problem werden können
Schwierig können bestimmte Muster laut Dr. Nasanin Kamani vor allem dann sein, wenn man in einem potentiellen Beziehungspartner nach einem emotionalen Auffangbecken oder einer Selbstaufwertung sucht. "In diesem Fall kann eine Therapie helfen, solche Muster zu reflektieren und mindestens in Teilen aufzulösen", so Kasmani. Natürlich dürfe auch eine gesunde Beziehung emotionalen Halt und Stabilität liefern, es sollte jedoch "nicht die Aufgabe des Partners sein, tiefere seelische Verletzungen zu behandeln".
"Manchmal landet man wiederholt in Beziehungen, für die sich nicht der reife und selbstfürsorgliche Teil in einem entscheidet, sondern der verletzte, vielleicht sogar traumatisierte", erklärt die Ärztin weiter. Dies seien oft Beziehungen, die von Ablehnung und mangelnder Kommunikation geprägt sind oder aber von dramatischen Dynamiken, in denen Abbrüche und Wiederannäherungen sich abwechseln. "Das kann auf Dauer das Selbstwertgefühl schädigen, sozial isolieren oder Ängste und Depressionen begünstigen." (ncz/spot) © spot on news
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