Kleine, süße Eichhörnchen zu Hause – das gibt es nicht? Bei Annette Schmalfeld schon. Sie rettet Eichhörnchen-Babys in Not und päppelt sie wieder auf, wenn die Nager ihre Mütter verloren haben. Warum sie ihre Arbeit so liebt und wie der Alltag als Eichhörnchen-Mama auf Zeit so aussieht, hat die Hamburgerin im Gespräch mit DeineTierwelt erzählt.

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Flink huscht das kleine Eichhörnchen über den Rasen auf die Terrasse, nimmt Anlauf, verlagert sein Gewicht auf seine kräftigen Hinterbeine und springt auf den Tisch. Der ist gedeckt mit Sonnenblumen und einer Schüssel voller Walnüsse, Weintrauben, Karotten, Mais und Gurkenstückchen – ein wahres Schlaraffenland für Eichhörnchen.

Hektisch schnappt sich das kleine Tier eine Nuss. Der weiße Eichhörnchenbauch und die Brust sehen ziemlich dick aus, die kleinen Brustwarzen treten hervor. Der Fall ist klar: Das Eichhörnchen ist schwanger, erklärt Annette Schmalfeld, die seit etwa zwei Jahren ehrenamtlich Eichhörnchen-Babys großzieht, sie auf ein eigenständiges Leben in der freien Natur vorbereitet und schließlich in ihrem Garten wieder auswildert.

Eichhörnchen-Babys nur mit Rat von Tierschützern aus der Natur entnehmen

Die kleinen Eichhörnchen übernimmt die 55-Jährige vom Hamburger Tierschutzverein. Spaziergänger finden die Tierchen oft außerhalb des Kobels ohne Muttertier im Rasen oder Laub sitzend vor und bringen sie dann zu den Tierschützern in die Süderstraße in der Hansestadt. Oft sei nicht klar, was den Hörnchen passiert ist, ob sie aus dem Kobel gefallen sind oder den Angriff eines Raubvogels gerade so überlebt haben, erzählt Annette. Manchmal stürzen die Jungtiere dabei auf ihren Kopf, bekommen Nasenbluten und liegen verletzt am Boden.

Wenn die kleinen Tiere mit dem buschigen Schwanz stark geschwächt sind, legen Fliegen Eier auf ihnen und in ihren Mündern ab. Bekommen die Nager dann keine Hilfe, sterben sie, da die schlüpfenden Maden sie langsam auffressen.

Vor Rettung eines Tiers ist Beobachten angesagt.
Vor Rettung eines Tiers ist Beobachten angesagt. © Foto: unsplash.com/Külli Kittus (Symbolfoto)

In vielen Fällen würden besorgte Passanten – aus gut gemeinter Tierliebe – die Eichhörnchen-Babys jedoch zu früh der Natur entreißen, sie mitnehmen, obwohl sie gesund sind und das Muttertier nur kurz Futter holen ist. Deswegen sei es wichtig, die Tiere zunächst aus der Ferne zu beobachten, zu prüfen, ob sie verletzt sind und sich im Zweifel Rat von Tierschützern einzuholen.

Eichhörnchen sind soziale Wesen und überleben ohne Artgenossen nicht

Das schwangere Eichhörnchen auf Annettes Terrassentisch erkennt die 55-Jährige sofort an seinem rostroten Fell wieder. Es handelt sich um Sissi. Anfang des Jahres nahm Annette Sissi zusammen mit Franzl und einem anderen Eichhörnchen aus dem Hamburger Tierschutzverein bei sich auf. "Eichhörnchen darf man nicht alleine halten. Das ist Tierquälerei. Alleine würden sie nicht überleben", sagt die Nager-Ziehmutter.

Die Jungtiere seien nämlich sehr sozial und müssten unbedingt mit Artgenossen aufwachsen, spielen, einander jagen, durch die Gegend tollen und gemeinsam eng an eng eindösen. Um also ihre Überlebenschancen zu steigern, setzten die Tierschützer Sissi, die ohne Geschwister in das Tierheim einzog, mit gleichaltrigen Artgenossen zusammen.

Annette fütterte ihr Eichhörnchen Sissi Tag und Nacht – alle vier Stunden

Für Annette fühlt es sich so an, als wäre es erst gestern gewesen, als Sissi nach dem Füttern liebevoll an ihren Fingern knabberte und leckte. Das kleine Eichhörnchen war gerade mal so groß, dass es perfekt auf Annettes Handfläche passte. Mit einem handwarmen Gemisch aus Pulvermilch und Fencheltee fütterte Annette das winzige Lebewesen – alle vier Stunden, auch nachts.

Damit die Kleine nicht unter Magenschmerzen und Blähungen leiden musste, massierte die Eichhörnchen-Mama anschließend das Babybäuchlein. "Die natürliche Mama leckt die auch, kuschelt mit denen und massiert den Bauch. Aber wenn es keine Mama gibt, dann bin ich eben die Mama." Während des Massageprogramms schlief Sissi meist unter Schnurren kuschelnd in Annettes Hand ein. Das Aufziehen von Eichhörnchen sei eine Win-win-Situation, findet Annette. Denn: "Sie geben viel Dankbarkeit, allein durch die Kuschelstunden."

Die Eichhörnchen nahm Annette mit zur Arbeit – in einem Brustbeutel

Sissi alleine zu Hause lassen, das wäre damals nicht infrage gekommen. Schließlich war sie noch ein richtiges Baby, das auf mütterliche Fürsorge angewiesen war. Deswegen nahm Annette Sissi und die anderen Eichhörnchen sogar mit zur Arbeit in die Seniorenresidenz, wo die 55-Jährige die Physiotherapieabteilung leitet.

In einem selbst genähten Brustbeutel aus einem alten Waschlappen und einem Band trug die Eichhörnchen-Retterin ihre Pflegekinder unter ihrem Arbeitskittel mit sich herum. "Das konnten die Senioren gar nicht glauben. Für sie war das ganz großes Kino", lacht sie.

Annette bringt den Eichhörnchen das Klettern und Nussknacken bei

Annette brachte Sissi alles bei, was sie wissen muss, um als Eichhörnchen in der Natur zu überleben. Schließlich musste Sissi eines Tages dazu in der Lage sein, selbst Nahrung zu finden und zu sich nehmen zu können. Dafür legte die Eichhörnchen-Ziehmama ihr zunächst geöffnete Walnüsse in den Käfig. Neugierig wie Eichhörnchen nun mal sind, erkannte Sissi nach kurzem Beschnuppern schnell, dass da Essbares in der Schale enthalten ist. Die nächste Nuss stellte Annette dem klugen Nagetier nur leicht geöffnet zur Verfügung. "Da musste Sissi schon leicht dran arbeiten", erinnert sie sich. Schon bald darauf bekam Sissi nur noch ganze Walnüsse, die sie komplett selbst knacken musste. "Ohne große Probleme gingen auch die auf."

Und auch Klettern muss geübt sein: Dafür nahm Annette Sissi und ihre Artgenossen mit in die geschlossene Duschkabine: "Da liefen sie auf mir herum bis zum Kopf. Auf diese Weise üben Eichhörnchen das Klettern und Springen. Je mehr Pullover, Wolle, ich dabei trage, desto besser", erklärt Annette. So hätten die Tiere nämlich leichteren Halt. Annette übt so lange mit ihren Ziehkindern, bis sie mit etwa sechs bis acht Wochen, einem Gewicht von ungefähr 150 bis 180 Gramm und hübsch glänzendem Fell bereit sind für die Auswilderung.

Dann öffnet Annette den Käfig in ihrem Garten, sodass die Eichhörnchen die Möglichkeit haben, die Natur in ihrem ganz eigenen Tempo zu entdecken und immer wieder zurückzukehren, wenn sie doch mal Essen oder Baumaterial benötigen. Und das tun die Eichhörnchen auch: Immer wieder kehren Annettes alte Bekannte zurück zu ihrem Terrassentisch und stibitzen sich Fürchte und Nüsse, so wie Sissi.

Mittlerweile war Eichhörnchen Sissi bereits zwei Mal schwanger

Von Anfang an hätte sich Sissi übrigens besonders gut mit Franzl verstanden. Schon bald seien die beiden sogar zu einem richtigen "Traumpaar" zusammengewachsen. Sie begannen, wie wild miteinander zu flirten. Tobten um die Bäume und rannten mit wedelnden Schwänzen auf dem Terrassentisch hin und her. Genau das sind die Momente, die Annette das Gefühl geben, alles richtig gemacht zu haben. Diese Augenblicke zeigen ihr, dass all ihre Arbeit einen Sinn hat, weil sie sieht: "Das Leben geht weiter. Die Eichhörnchen sind gesund, fühlen sich wohl und gründen selbst eine Familie." Mittlerweile war das Sissi bereits zwei Mal schwanger – mit Franzl als Vater.

Für ihren Kobel stibitzt sich das Liebespärchen auch schon mal Annettes Socken und Mützen von der Wäscheleine. Die Beklaute gibt zu, dass sie daran nicht ganz unschuldig sei: So habe sie den Kleinen im Käfig immer alte Wollmützen zum Reinkuscheln angeboten. Damit aber nicht mehr die guten Stücke abhandenkommen, hat Annette mittlerweile einen Stapel aus alten Kleidungsstücken, Stoffresten, schönem Moos und Stroh auf ihrer Terrasse bereitgelegt.

Mithilfe des Hamburger Tierschutzvereins zog Annette bereits 15 Eichhörnchen auf

Mittlerweile hat Annette bereits 15 Eichhörnchen erfolgreich aufgezogen. Gestorben ist noch keines. Zu verdanken hat sie das unter anderem der Tierpflegerin des Hamburger Tierschutzvereins, Kathrin Hallmeier. Sie hat Annette damals alles erklärt, was sie über die Aufzucht von Eichhörnchen wissen musste.

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Auch heute noch unterstützt Hallmeier Annette, wo sie kann: "Ich kann sie auch mitten in der Nacht anrufen und Kathrin ist für mich da. So was Einmaliges", schwärmt Annette. Einmalig ist auch Annettes unermüdlicher Einsatz für die kleinen Eichhörnchen-Babys. Und das immer wieder aufs Neue.   © Deine Tierwelt

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