Störche, die Jungtiere aus dem Nest schubsen, Eisbären, Löwen, Nilpferde und sogar Erdmännchen, die Tier-Babys auffressen – für uns Menschen wirken diese Verhaltensweisen mehr als verstörend. Infantizid ist im Tierreich aber gängige Praxis.
Es gibt Verhaltensweisen unserer tierischen Mitbewohner, die sprachlos machen. Infantizid ist eine davon. Denn so nennt sich die bewusste Kindstötung unter Säugetieren. Dieses Phänomen ist vor allem von Löwen bekannt. Denn nach Übernahme eines Rudels töten männliche Löwen oftmals ganz gezielt die Jungen ihrer Vorgänger. Dadurch sind die Löwinnen wieder paarungsbereit, das neue Männchen zeugt schneller eigenen Nachwuchs und gibt so seine Gene weiter.
Auch von männlichen Bären, von Nilpferden wissen die Forscher, dass sie gezielt Kindstötungen anwenden, damit ein Weibchen schneller wieder paarungsbereit wird. Selbst Störche fressen ihren Nachwuchs oder schubsen diesen aus dem Nest.
Forschende vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und vom Institut des Sciences de l´Èvolution der Unvisersité Montpellier hatten dieses Verhalten auch bei weiblichen Säugetieren untersucht. Sie stellten dabei fest, dass Infantizid auch unter Weibchen ein weitverbreitetes Phänomen ist.
Hierzulande war 2008 das Entsetzen unter den Besuchern des Nürnberger Zoos groß, als das Eisbärenweibchen Wilma ihre beiden Babys nicht nur tötete, sondern auch auffraß. Lange rätselte man über dieses Verhalten und gab auch der Zoohaltung eine mögliche Schuld daran.
Warum gibt es Infantizid unter Tieren?
Infantizid ist innerhalb einiger Säugetierarten die häufigste Todesursache von Jungtieren. Die Gründe für die Kindstötung können je nach Lebensumstand der Tiere ganz unterschiedlich sein. Streitfrage kann zum Beispiel das Territorium sein. Durch den Infantizid werden andere Weibchen verdrängt, um somit mehr Platz für sich und den eigenen Nachwuchs zu schaffen.
Auch Muttermilch, Nahrung, Brutorte oder Status können zum Streitpunkt werden. Die Weibchen töten die Jungen ihrer Konkurrentinnen, wenn der Zugang zu diesen Ressourcen oder der eigene soziale Status innerhalb der Gruppe gefährdet sind.
Fressen Störche ihren Nachwuchs auf oder schubsen ihn aus dem Nest, nennen Forscher diesen Vorgang der Elternvögel "Kronismus". Der Begriff ist an die griechische Sage angelehnt, in der der Titan Kronos vorsorglich seine Kinder aufaß, damit sie ihm später nicht den Thron wegnehmen konnten. Bei den Störchen gehen die Forscher von ähnlicher Voraussicht aus.
Denn gerade Tiereltern, die eine besonders aufwendige "Brutfürsorge" bieten, töten das schwächste Junge, wenn es scheint, dass es nicht genügend Nahrung gibt. Die Logik dahinter: Wenn das schwächste Glied, dessen Überlebenschancen eh gering wären, getötet wird, werden die Überlebenschancen der anderen Jungen erhöht.
Mord häufig innerhalb einer sozialen Gruppe
Die Forschenden stellten fest, dass Infantizid innerhalb sozialer Gruppen häufiger stattfindet als unter fremden Tieren. Ein Grund dafür ist, dass es einfach mehr Möglichkeiten für eine Kindstötung gibt, wenn mehrere Weibchen zusammen leben. Ob die Tiere verwandt sind oder nicht, spielt dabei keine Rolle.
Elise Huchard, Forscherin vom Institut des Sciences de l´Èvolution der Unvisersité Montpellier stellt fest: "Eine Kindstötung erfolgt häufig dann, wenn die Anwesenheit fremder Nachkommen den Fortpflanzungserfolg eines Weibchens direkt gefährden. Gründe liegen vor, wenn fremde Jungtiere den Zugang zu Ressourcen einschränken, die für den eigenen Nachwuchs lebenswichtig sind."
Häufig findet man daher Infantizid bei Säugetierarten, die unter schwierigen Bedingungen leben und bei denen das Austragen und die Aufzucht der Nachkommen mit besonders hohem Aufwand verbunden ist, so "BBC Earth".
Welch raffinierte Strategie Braunbärenweibchen gegen die "Macht getriebenen Tötungsambitionen" der Männchen entwickelt haben, konnten Forscher der Universität Wien vor Jahren beobachten. Die Weibchen paaren sich einfach mit mehreren Männchen und lassen die "tumben" Kraftprotze damit in dem Glauben, der Nachwuchs sei ihr eigener. © Deine Tierwelt
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