Sie müssen mit ihrem eigenen Körper sprechen können – ohne Worte, ohne Gesten. Doch wer kann einem Schauspieler das beibringen? Ganz einfach: Pferde! Deshalb schickt die Athanor-Schauspielschule Passau ihre Schüler zu Lehrern auf vier Hufen. pferde.de sprach mit der Trainerin über tierisch gutes Lernen.

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Schauspielerei liegt ihr im Blut. Genauer: Regie-Arbeit. Schließlich ist ihr Vater David Esrig, der bekannteste rumänische Theaterregisseur seiner Zeit und Gründer der Athanor Akademie für Darstellende Kunst in Bayern. Nur: Dass Elma Esrig seine Leidenschaft mit ihrer Liebe zu Pferden einmal verbinden würde – das war nie geplant.

Angefangen hat ihre Beziehung zu Pferden ganz klassisch. "Ich wollte als Kind reiten und durfte dann mit sechs Jahren aufs Pferd", erinnert sich Esrig. "Ich bekam damals den typischen Abteilungs-Unterricht von einem schreienden Reitlehrer. Aber ganz ehrlich: Das war nie wirklich mein Ding." Mit 14 Jahren stieg sie vom Pferd und dachte: "Das war’s."

"Danach spielten Pferde überhaupt keine Rolle in meinem Leben", erinnert sie sich. Esrig machte Abitur, studierte, wurde Schauspiellehrerin und Regisseurin, heiratete, bekam zwei Kinder. Und dann passierte es doch: "Ich war 30, mein zweites Kind gerade im Kindergarten und ich hatte vormittags Zeit. Die wollte ich für mich nutzen. Und da war dann plötzlich der Gedanke da: Ich möchte wieder reiten." Und so suchte sie sich einen Trainer. "Ich hatte wirklich Glück und fand einen ganz unkonventionellen Trainer." Statt klassischem Dressurunterricht lernte sie vor allem eins: Spaß zu haben – und mit dem Pferd ein Team zu werden. "Wir saßen zum Beispiel beide auf Pferden, auf dem Boden ein großer Ball und wir haben dann hoch zu Ross Fußball gespielt."

Elma Esrig wollte nie aufgeben.
Elma Esrig wollte nie aufgeben. © Foto: Elma Esrig

Pferde-Kommunikation? "Habe ich von der Pieke auf gelernt"

Kurz darauf zog sie mit ihrer Familie auf einen Gutshof. "Da hatten wir dann auch Platz für ein eigenes Pferd." So kam Kara zu ihr. "Ich wusste, dass sie eine sehr schwierige Stute war, aber ich hatte mich in sie verliebt. Und ich dachte, ich schaffe das." Esrig lacht auf: "Sie hat mir ganz schnell gezeigt, dass ich es nicht konnte."

Aber aufgeben – das wollte Esrig nie. "Ich habe dann alles von der Pieke auf gelernt, zwei Trainerscheine gemacht." Dabei lernte sie jeden Tag von den Pferden. "Vor allem klare Kommunikation – nur mit dem Körper." Sie gab ersten anderen Pferdebesitzern Unterricht. "Aber nur nebenbei. Mein berufliches Standbein blieb die Schauspielschule." Bis ein Zufall die Pferde auch auf die Bühne der Athanor Akademie brachte.

Pferde als Lehrer für Schauspieler – heute staatlich anerkannt

Dort bekam Esrig nämlich eine neue Aufgabe. "Die Dozentin für Sensibilisierung fiel aus und ich sprang erst einmal als Übergang ein", erzählt sie. Sensibilisierung, das heißt zum Beispiel ein Gefühl für den eigenen Körper bekommen. "Da hatte ich die Idee, dass meine Pferde als ‚Lehrer‘ mithelfen können. Ich hab‘ den Vorschlag gemacht – und er wurde angenommen." Und nicht nur von der Akademie: "Es ist eine staatlich anerkannte Schule. Deshalb musste ich ein Konzept schreiben und der Schulaufsichtsbehörde Niederbayern schicken. Dort wurde es anerkannt und wird seitdem auch gefördert."

Für ihre Schauspiel-Schüler heißt es seitdem: Ab auf den Gutshof. Denn dort wird in Kursen mit den Pferden gearbeitet. "In der Gruppe sind jeweils vier bis sechs Schülerinnen und Schüler. Jeder hat 45 Minuten mit dem Pferd, die anderen gucken in der Zeit zu." Die Aufgabe: Das Pferd für sich interessieren und dann zusammenarbeiten. "Das ist zuerst ziemlich frustrierend. Es kann nämlich durchaus mal 30 Minuten dauern, bis sich das Pferd den Menschen überhaupt mal anguckt", erklärt die Schauspiel- und Reitlehrerin.

Pferde als Lehrer sind staatlich anerkannt.
Pferde als Lehrer sind staatlich anerkannt. © Foto: Elma Esrig

Zuerst gibt es meist eins – viel Frust für Schauspieler

Trainiert wird im Round Pen, in der Halle oder auf dem Reitplatz. Für die Jung-Schauspieler ist es eine ganz besondere Erfahrung. "Wir verzichten auf alle Gesten, auch auf die Stimme. Sie haben nur ihren Körper und lernen, damit zu arbeiten." Und das reiche, so Esrig. "Es gibt eine weiche, einladende Spannung. Oder die harte, abwehrende Spannung." Die Kunst: "Ich kann mein Pferd nur mit meinem Becken führen. Allein durch die Spannung zwischen Beckenkamm und Bauchnabel und den dazu passenden Gang-Rhythmus schaffe ich es, dass mein Pferd trabt oder galoppiert. Dafür muss ich selbst nicht rennen."

Vor allem die ersten Schritte seien hart für ihre angehenden Schauspieler. "Es gibt ungeheure Frust-Momente. Vor allem, weil wir Menschen so ungeduldig sind. Da kommt schon der Gedanke: Das muss doch auch schneller gehen. Aber wir wollen ja nicht schnell sein", gibt die Regisseurin zu verstehen und führt fort: "Wir wollen das Pferd nur durch unsere Person erreichen. Und diese persönliche Power muss jeder erst einmal erlernen." – So auch die Geduld. "Am Anfang ist es ein bisschen wie Topfschlagen: Sie versuchen etwas und hören immer nur ‚kalt‘. Dann kommt das erste Mal ein leises ‚wärmer‘ – und damit auch der Erfolg." Das Gute, so Esrig: "Unser Körper hat sein eigenes Gedächtnis. Wenn es dann klappt, dann merkt er sich das und kann es wieder abrufen."

Pferde sind Lehrer mit vielen Talenten

Wie diese Power wirkt, merken dann auch die Schauspieler, die gerade zugucken. Esrig: "Sie spüren diese Energie, werden selbst aufmerksamer. Und so verstehen sie: Wenn sie mit dieser Energie Theater spielen, dann erreichen sie als Schauspieler auch die Zuschauer in der letzten Reihe." Natürlich kommen dann später auch die Gesten dazu. "Aber sie müssen ehrlich sein. Große Gesten und Theatralik müssen mit Spannung und Echtheit gefüllt werden – sonst ist es nur ein schlechtes Spiel", sagt die Lehrerin.

Für ihren Unterricht hat sie gleich vierfache Hilfe auf vier Hufen dabei: Andrej, Galeon, Kairon und Levin. "Und jeder bringt seine ganz besonderen Eigenschaften mit", sagt Esrig. Andrej, zum Beispiel, ist ein zwölf Jahre alter Spanish-Norman. "Die Rasse ist in Europa ziemlich unbekannt. Es ist eine Mischung aus PRE und Percheron. Andrej ist also ein stattlicher Kerl – und 1.000 Kilo schwer." Als Herdenchef ruht Andrej in sich. "Er ist selbstsicher und braucht nicht unbedingt die Führung des Menschen. Das bedeutet: Ich brauche viel Klarheit und muss ihm etwas Spannendes bieten, dann macht er gerne mit", sagt die Trainerin.

'Pferde verändern uns, wenn wir es zulassen'.
'Pferde verändern uns, wenn wir es zulassen'. © Foto: Elma Esrig

Pferde verändern uns – wenn wir es zulassen

Ganz anders ist der zehnjährige Spanier Kairon: "Er liebt Menschen, ist dabei aber sehr empfindsam. Und er hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie man ihn richtig führt. Bei ihm lernt man, wie man sich im Raum und zum Publikum positioniert", sagt Esrig. Sein Kumpel Galeon, ein zwölfjähriger Spanier, ist der Experte für Ruhe.

"Er macht sich schnell Sorgen und will Sicherheit bekommen. Ihm muss man erstmal Vertrauen beweisen, sich viel Zeit lassen und viel loben", erklärt die Pferdeexpertin. Der Youngster ist Levin, ein vierjähriges Warmblut. "Er ist gerade in der Pubertät und reagiert gerne mal ein bisschen über." Er ist auch beim Coaching von Führungskräften dabei. "Bei ihm lernen sie, wie man aufgebrachte Gemüter beruhigt, ohne von der eigenen Sache abzulassen."

Nach dem Unterricht heißt es für die tierischen Lehrer: Ab auf die Weide. "Sie leben im Offenstall, bekommen Heu ad libitum – das ist mir sehr wichtig." Esrig lacht: "Andrej wird dadurch zwar ein bisschen dicker, aber dann stellen wir uns im Training darauf ein und er muss ein bisschen mehr machen." Dazu gibt es große Winter- und noch größere Sommerweiden. "Das Gelände ist leicht hügelig, das ist auch gut für die Beine und Sehnen", sagt sie.

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Dass ihre Pferde gute Schauspiel-Lehrer sind, hat sich bereits herumgesprochen. "Sie sind ein Geheimtipp", sagt Esrig lachend. "Wir hatten auch schon Schüler aus Osnabrück, Berlin, Bern und Zürich bei uns." Für sie ist das ein Zeichen, dass ihr Weg richtig ist: "Wir können von Pferden so viel lernen. Wenn wir uns darauf einlassen, verändern sie uns." – Und manchmal auch unser ganzes Leben…  © Pferde.de

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