Den ganzen Vormittag draußen spielen, Spielzeug ausprobieren und keine Hausaufgaben machen. Das klingt wie ein Kindertraum, freie Alternativschulen werben mit diesem Konzept. Kinder und Jugendliche von sechs bis 16 Jahren lernen dort, was und wie sie wollen.
Die Freie Humanistische Schule liegt am Dorfrand von Huntlosen in der Nähe von Oldenburg. Sie ist eine von rund 100 Schulen, die dem Bundesverband der Freien Alternativschulen angehören. Selbstbestimmt lernen, die Regeln der Schule demokratisch mitbestimmen und respektvoll miteinander umgehen - das sind die Grundprinzipien, die alle Freien Alternativschulen miteinander teilen.
"Die Schüler haben ein entscheidendes Mitspracherecht, was, wann und wo sie lernen", sagt Tilmann Kern, der Geschäftsführer des Verbands. Alle Schulen sind klein und überschaubar, viele von ihnen verzichten auf Noten, einige setzen einen künstlerischen oder naturpädagogischen Schwerpunkt.
Es bleibt den Schülern überlassen, welches Angebot sie nutzen
In Huntlosen beispielsweise ist der Schulwald Spiel- und Lernort zugleich. In der Werkstatt entstehen Stelzen aus Holz, Skulpturen oder Scherenschnitte. "Wir machen Angebote, und die Schüler können diese annehmen oder auch nicht", sagt die Schulleiterin Katharina Krebs.
Sie ist überzeugt, dass die Kinder und Jugendlichen besser lernen, wenn sie sich aus freien Stücken für eine Aufgabe entscheiden. Auch bei den gemeinsamen Regeln dürfen die Schüler mitbestimmen, beispielsweise ob das Handy mit in die Schule darf.
Christiane Gaefke hat die Schule in Huntlosen bei einem Tag der offenen Tür kennengelernt und war sofort begeistert. Ihre neunjährige Tochter Carlotta ist nach der ersten Klasse hierher gewechselt. 40 Schüler in zehn Jahrgangsstufen besuchen die Schule. Im Grundschulbereich lernen derzeit 16 Kinder altersübergreifend in wechselnden Kleingruppen. Das Schulgeld wird einkommensabhängig berechnet und beginnt bei 150 Euro plus zehn Euro Materialgeld pro Kind.
Genug Aufmerksamkeit für jedes einzelne Kind
Für Katharina Krebs ist die überschaubare Gruppengröße ein Grund dafür, dass selbstbestimmtes Lernen hier so gut funktioniert. Sie und ihre Kollegen können jedes einzelne Kind im Blick behalten und herausfinden, was es braucht. Wenn es beim Lesen oder Rechnen hakt, versuchen sie beispielsweise über ein Lieblingsthema die Lust an Zahlen und Buchstaben zu wecken.
Die Kinder und Jugendlichen machen aber auch viele Dinge, die auf den ersten Blick nichts mit Schulfächern zu tun haben. So haben Carlotta und ihre Freundinnen mehrere Tage damit verbracht, Beete umzugraben, Schubkarren voller Pferdemist zu schieben und Gemüseschösslinge einzupflanzen.
Viele Alternativschulen sind aus Elterninitiativen entstanden, und das nicht nur in Großstädten wie Hamburg oder Berlin. Auch in ländlichen Gegenden, wo die Schulwege oft weit sind, gründen Eltern eigene Schulen.
Pädagogische Ausrichtung anders als bei anderen Schulen
Von anderen Privatschulen, beispielsweise konfessionellen, internationalen oder Waldorfschulen, unterscheiden sich die Freien Alternativschulen in ihrer pädagogischen Ausrichtung: Lernen ist auch hier wichtig, aber es funktioniert anders. An Freien Alternativschulen ist es zum Beispiel ganz normal, dass nicht jedes Kind zur gleichen Zeit lesen lernt.
Aber was passiert bei einem Schulwechsel, zum Beispiel nach der Grundschulzeit oder bei einem Umzug? Manche Eltern befürchten, dass ihr Kind auf einer Regelschule nicht mehr klarkommt. Wie der Wechsel in solchen Fällen gelingt, dazu gebe es bisher kaum empirische Studien, sagt Prof. Kai Maaz, Leiter der Abteilung Struktur und Steuerung des Bildungswesens am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Berlin.
"Wenn ein Kind sehr langsam oder auch sehr schnell lernt, und das nicht mehr mit dem Regelstoff übereinstimmt, kann es bei einem Wechsel tatsächlich zu Problemen kommen", sagt der Wissenschaftler. Darum sei es wichtig, dass Schule und Eltern die Kinder auf die neue Situation vorbereiten.
Der Weg zur Alternativschule
Kern ist überzeugt davon, dass die Alternativschulen genau dies leisten und ihre Schüler beim Übergang gut unterstützen. Von Regelschulen bekommt er oft positive Rückmeldungen: "Da höre ich, dass die Schülerinnen und Schüler von Freien Alternativschulen ein hohes Maß an Selbstverantwortung mitbringen." So könnten sie fehlenden Stoff selbstständig nacharbeiten.
Für viele Schüler ist ein Wechsel auch gar nicht nötig. Oft schließt sich an die freie Grundschule gleich die weiterführende Schule bis zur zehnten Klasse an. Einige wenige Schulen führen auch bis zum Abitur. Die Prüfungen für die Schulabschlüsse werden meist von anderen Schulen oder Bildungseinrichtungen abgenommen, so auch in Huntlosen. Hier endet die Schulzeit nach der zehnten Klasse. Die Schüler können an der örtlichen Volkshochschule die Prüfungen für den Hauptschul-, Realschul- oder den erweiterten Realschulabschluss ablegen.
Christiane Gaefke ist zuversichtlich, dass ihre Tochter einen eigenen Weg findet. "Wenn Carlotta mit der Schule fertig ist, hat sie viele Möglichkeiten weiterzumachen. Und auch das Abitur ist kein Hexenwerk." Wichtiger als Wissen nach Lehrplan ist der Mutter, dass Carlotta ihren Bedürfnissen entsprechend lernen und herausfinden kann, was ihr im Leben wichtig ist. © dpa
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