Die Psyche leidet – spiegelt sich das auch im Schlaf wider? Gut möglich, sagt eine Professorin für Neurologie, die sich der Frage seit rund 30 Jahren widmet. In einem Interview erklärt sie die Warnsignale unserer Träume.
Hinweis: Dieser Artikel thematisiert psychische Erkrankungen, Suizid und Traumata.
Isabelle Arnulf ist Professorin für Neurologie an der Universität Sorbonne in Paris. Seit ungefähr 30 Jahren untersucht sie Träume – und was diese über die Menschen aussagen können. Im Interview mit Spektrum erklärt Arnulf, wie sich unter anderem Depressionen durch Träume bemerkbar machen.
Mögliche krankhafte Muster, die Menschen in der Nacht im Schlaf durchleben, lassen sich der Expertin zufolge nicht so einfach in Traumtypen unterteilen.
Als Beispiel nennt Arnulf Personen mit schizophrenen Psychosen – also Menschen, die etwa von Realitätsverlust oder Wahnvorstellungen betroffen sind. Sie würden der Expertin zufolge "unlogisch und unzusammenhängend" träumen, so wie sie unter Umständen auch untertags denken. Allerdings lässt das keinen Umkehrschluss zu: Nicht jeder Mensch, der so träumt, sei schizophren.
Träume alleine reichen für eine Diagnose keinesfalls aus
"Träume allein reichen nicht aus, um eine psychische Erkrankung zu diagnostizieren", stellt die Neurologin klar. Hinweise könne die Traumwelt dennoch geben. "Wer an psychischen Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen leidet, wird zum Beispiel häufiger von Albträumen geplagt", so Arnulf weiter.
Regelmäßige Albträume können demnach ein Indiz für mögliche Gefahren sein. Dies mache sich insbesondere bei suizidgefährdeten jungen Menschen bemerkbar, erklärt die Expertin. Sie sagt: "In jedem zweiten Fall erkennen Ärzte Suizidalität nicht, das ist ein gravierendes Problem. Da wiederholte Albträume mit einem erhöhten Suizidrisiko korrelieren, werden seit Neuestem Träume in die Diagnostik mit einbezogen."
Depressionen und Schlaf
Depressive Menschen würden im Schlaf oft negative Gefühle erleben. Träume fungierten dann, so Arnulf, als "Spiegelbild des Gemütszustandes". Eine Studie des Psychologen Dieter Riemann an der Universität Freiburg hat diesen Zusammenhang untersucht. Allerdings lassen sich noch keine Schlüsse ziehen, ob "der emotionale Grundton der Träume" tatsächlich das Ausmaß der Depression wiedergibt.
Ein Merkmal depressiver Personen sei jedoch, dass sie sich morgens trauriger fühlten als abends. Bei gesunden Personen ist das Gegenteil der Fall. "Beim Aufwachen sind wir tendenziell fröhlicher als beim Einschlafen. Wir vermuten daher, dass Schlafen und Träumen dazu dienen, negative Emotionen zu dämpfen, und dass dieser Vorgang bei depressiven Menschen nicht richtig funktioniert", erklärt Arnulf. Aktuelle Forschungsprojekte untersuchen diese Vermutung tiefergehend.
Grundsätzlich – so eine These des Neurowissenschaftlers Matthew Walker – können Träume dazu dienen, emotionale Erinnerungen des Tages zu verarbeiten. Laut Arnulf bekommt die Hirnregion, die Emotionen speichert (Amygdala), sodann ein Art Reset. Die Erinnerungen würden abgespeichert, nicht aber die damit verbundene Emotion. Das Wiedererleben eines Ereignisses reduziert so negative Gefühle schrittweise.
"Bei Albträumen funktioniert der Mechanismus offenbar nicht"
"Bei Albträumen funktioniert der Mechanismus offenbar nicht. Denn wenn der Traum oder sogar der Schlaf unterbrochen wird, kann die emotionale Verarbeitung nicht abgeschlossen werden", schränkt Arnulf ein. Etwa bei traumatischen Erfahrungen, wie Krieg oder Vergewaltigung, sei das Gehirn mit der Regulierung überfordert. Das kann sich darin äußern, dass die betroffene Person die traumatische Erinnerung immer und immer wieder durchlebt, bis sie aus dem Schlaf hochschreckt.
Wichtig ist laut Arnulf wiederkehrende Albträume professionell abklären zu lassen. Denn auch bei Stress, würden Menschen tendenziell schlechter träumen, da das Gehirn viele negative Emotionen auf einmal verarbeiten muss.
Quellen: Spektrum
Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de
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