Cybergrooming: aktuell eines der größten Risiken für Kinder
Daniel Nübling ist Internetexperte und Mitglied des Medienkompetenz Teams. Er beschäftigt sich mit Chancen und Gefahren der Digitalisierung. Im Interview spricht er über eine ernstzunehmende Entwicklung: Die Zunahme sexueller Anbahnungen über das Internet.
WEB.DE Blog: Daniel, erst mal vielen lieben Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und wir Dich interviewen dürfen! Du hast über 20 Jahre Berufserfahrung in der Medien- und IT-Branche – magst Du uns vielleicht zunächst verraten, wie Du ausgerechnet zum Medienkompetenz Team Karlsruhe gefunden hast und was das Medienkompetenz Team genau macht?
Daniel: Sicher, sehr gerne! Ich habe mich beruflich und privat immer für die neuen Trends und Möglichkeiten der digitalen Welt interessiert und mich dabei natürlich auch mit den Risiken beschäftigt. Über einen Bekannten, der bereits Workshops in Schulen durchführte, erfuhr ich, dass die Schulen mit dem Thema Medien teilweise überfordert waren. Ausufernde WhatsApp-Gruppen bis hin zu Cybermobbing waren an der Tagesordnung.
In meinem persönlichen Umfeld traf ich zudem vermehrt auf Eltern, die selbst wenig Berührungspunkte mit den technischen Hintergründen hatten und daher nicht wussten, wie sie mit dem Thema Medien in der Familie umgehen sollen und Unterstützung suchten. Da entschied ich mich, mein Fachwissen sinnvoll einzusetzen.
Wie ich da ausgerechnet zum Medienkompetenz Team kam? Ganz einfach: Weil es so gut zu mir und meinen Fähigkeiten gepasst hat! Das Medienkompetenz Team ist ein gemeinnütziger Verein aus Karlsruhe. Wir sind einerseits mit Präventions-Workshops vor Ort in Schulen im Raum Karlsruhe.
Andererseits versuchen wir mit unterschiedlichen Formaten auch Eltern und andere Interessierte mit den wichtigsten Informationen zu versorgen. Dabei geht es nicht nur um die reine Mediennutzung, sondern auch um die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und Themen wie Meinungsmache und Fake News.
WEB.DE Blog: Was würdest du sagen, auf welches Thema Ihr beim Medienkompetenz Team im Moment die meiste Zeit verwendet? Gibt es etwas, das Euch aktuell sehr beschäftigt?
Daniel: Wir arbeiten aktuell an mehreren Projekten, an deren Ende die Veröffentlichung von frei verfügbaren Schulungsmaterialien steht. Das Ziel ist, dass wir unser Wissen auch anderen Organisationen bereitstellen, um somit auch mehr Menschen zu erreichen.
In unseren Workshops vor Ort fokussieren wir uns thematisch aktuell vor allem auf die digitalen Grundlagen – also auf die grundlegenden Themen wie Kommunikation und Nutzung von digitalen Medien. Mit diesem Angebot sind wir mittlerweile bereits in den Grundschulen unterwegs.
Bei den etwas älteren Schülerinnen und Schülern liegt dann der Schwerpunkt vor allem auf den Chancen und Risiken von Social Media, den rechtlichen Grundlagen im Internet und – wie eben schon erwähnt – auf den Themen Meinungsmache und Fake News.
Persönlich beschäftigt uns vor allem das Thema Cybergrooming: Uns erschreckt immer wieder, wie viele Kinder Erfahrungen mit Kontaktaufnahmen von Fremden im Internet machen.
WEB.DE Blog: Was steckt denn genau hinter "Cybergrooming"? Wie läuft das ab und wer ist am ehesten betroffen?
Daniel: Cybergrooming bedeutet, dass ältere Jugendliche oder Erwachsene versuchen, sexuelle Kontakte im Internet mit Kindern oder anderen Jugendlichen herzustellen. Eltern können sich häufig gar nicht vorstellen, welchen Kontakten ihre Kinder im Netz ausgesetzt sind. Heute gibt es in den meisten Apps und Spielen Chatfunktionen. Und diese werden auch genutzt.
Das Thema betrifft vor allem jüngere Kinder: 98 % der Opfer sind 13 Jahre oder jünger. Gefährdet sind vor allem Kinder ohne Vertrauensperson, mit familiären Problemen oder einem geringeren Selbstwertgefühl. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Kinder aus "normalen" sicheren Verhältnissen treffen kann.
Die Täter sind überwiegend männlich und es sind nicht nur Erwachsene. Auch Kinder und Jugendliche belästigen Gleichaltrige im Internet. Laut der bundesweiten Kriminalstatistik ist in den letzten Jahren ein Anstieg unter jugendlichen Tatverdächtigen zu verzeichnen.
Anfangs versuchen die Täter, sich das Vertrauen zu erschleichen. Es werden Komplimente gemacht, Verständnis und Interesse vermittelt, vielleicht sogar virtuelle Geschenke in Form von z. B. Gutschein-Codes gemacht. Das Ziel ist hierbei das Kind dazu zu bewegen, in einen nicht-öffentlichen Chat zu wechseln, wo sich der Täter dann ungestört mit dem Kind unterhalten kann.
Dann wird das Vertrauen ausgebaut und über das Gespräch versucht, an persönliche Informationen zu kommen. Angefangen bei Namen, Adresse, Alter über weitere Details zum Privat- und Familienleben, bis hin zu privaten Fotos oder Videos, die sich hin und hergeschickt werden. Diese Phase kann sich über Wochen oder Monate hinziehen.
Es gibt Untersuchungen von verschiedenen Stellen, die sich z. B. als junges Mädchen ausgegeben haben, um das Vorgehen von Tätern zu dokumentieren. Die Täter sind hier sehr geschickt und perfide. Sie versuchen ein Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis herzustellen, um ihre Opfer manipulieren und kontrollieren zu können.
Das Ziel ist, Material zu sammeln, mit dem das Kind dann anschließend erpresst werden kann. Dabei wird dann das Kind isoliert, um zu verhindern, dass es Hilfe holt. Am Ende steht das Ziel, weitere Inhalte zu erpressen oder gar ein persönliches Treffen zu vereinbaren.
Bei der Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen über das Internet sprechen wir nicht von Einzelfällen: Laut einer repräsentativen Studie durch die Landesanstalt für Medien NRW wurden bereits 24 % der Kinder und Jugendlichen im Netz von Erwachsenen zu einer Verabredung aufgefordert. Davon wurde jedem sechsten Kind von einer älteren Person eine Gegenleistung versprochen, wenn es Bilder oder Videos von sich verschickt.
Jedes siebte(!) Kind wurde bereits aufgefordert, sich vor einer Webcam auszuziehen oder die Handykamera anzuschalten und etwa 15 % aller Kinder haben schon ungewollt Nacktbilder zugesendet bekommen.
WEB.DE Blog: Warum ist das Thema gerade im Moment so akut? Und wie kann man sich am besten davor schützen?
Daniel: Cybergrooming ist aktuell eines der größten Risiken, denen Kinder und Jugendliche im Internet ausgesetzt sind. Es gibt viele Angebote, die Interaktionen mit Unbekannten zulassen, seien es Spiele-Apps oder Social-Media-Plattformen. Hinzu kommt, dass immer mehr Kinder unbegleitet diese Angebote nutzen. Vermutlich da vielen Eltern die Risiken nicht bewusst sind.
Allein im Jahr 2022 wurden in der bundesweiten Kriminalstatistik 2.331 Fälle erfasst, bei denen Täterinnen und Täter über das Internet auf Kinder oder Jugendliche eingewirkt haben, um einen sexuellen Missbrauch vorzubereiten. Allerdings ist laut Polizei die Dunkelziffer bei solchen Taten vermutlich weitaus höher.
Das wichtigste Mittel, um Cybergrooming vorzubeugen ist, Kinder im Netz nicht allein zu lassen. Der wichtigste Schutz ist die Begleitung durch Erwachsene.
Kinder im Grundschulalter sollten digitale Medien nur in Ausnahmefällen allein nutzen. Angebote, bei denen die Kinder online mit unbekannten Personen in Kontakt kommen können, sollten sie auf gar keinen Fall allein nutzen.
Es müssen Regeln für Kontakte vereinbart werden, z. B. das Kontaktanfragen nur in Begleitung der Eltern angenommen werden. Zudem sollten die Eltern anfangs viel mehr auf eine gemeinsame Nutzung Wert legen und mit den Kindern offen über die Risiken sprechen. Dazu gehört neben einer altersgerechten sexuellen Aufklärung zum Erlernen von Begriffen - um Vorfälle auch benennen zu können - auch der Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen.
Den Kindern muss klar sein, dass sie in unklaren Situationen Hilfe holen oder das Gerät einfach ausschalten können und dass sie im Netz nichts tun müssen, was sie nicht wollen.
Das Wichtigste ist aber, dass Eltern den Kindern keine Vorwürfe machen sollten, wenn wirklich mal etwas vorfällt. Was passiert ist, kann man nicht rückgängig machen. Wichtiger ist, zu fragen: Wie lösen wir die Situation? Wie verhindern wir, dass so etwas noch einmal passiert?
WEB.DE Blog: Danke, Daniel, für Deine ausführliche Antwort – vieles ist einem als "Laie" ja gar nicht so bewusst. Und vor allem Deine Empfehlungen zur Mediennutzung sind für unsere Leserinnen und Leser bestimmt besonders hilfreich!
Wenn wir Dich aber einmal hier bei uns haben: Es gibt bestimmt noch weitere Sicherheitsthemen, die Euch unter den Nägeln brennen. Was wären denn z. B. Eure Top 3 Tipps für Eltern oder Lehrer in Bezug auf einen sicheren digitalen Alltag unserer Kinder?
Daniel: Wie bereits gesagt: Der wichtigste Schutz für Kinder im Netz ist die Begleitung durch Erwachsene.
Idealerweise lernen Kinder gemeinsam mit den Eltern, sich im Netz zurechtzufinden, Risiken zu erkennen und sich selbst zu schützen. Das ist sicherlich für Eltern nicht immer einfach, denn es ist tatsächlich eine große Herausforderung, Kinder in der digitalen Welt zu begleiten. Aber es gibt da draußen sehr viel Informationsmaterial und Unterstützung.
Den Eltern können wir nur sagen: Achten Sie auf altersgerechte Angebote. Das Internet hat keinen Altersfilter. Wer Zugriff auf das Internet hat, hat Zugriff auf alle Informationen im Netz. Gerade auf Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok finden sich viele Inhalte, die nicht für jede Altersstufe geeignet sind. Daher sind diese Dienste auch erst ab 13 oder gar 16 Jahre freigegeben.
Nutzen Sie die einzelnen Angebote also zunächst einmal selbst, bevor Sie Ihren Kindern den Zugang erlauben. Und scheuen sie nicht den Konflikt, auch mal "nein" zu sagen und tauschen Sie sich mit anderen Eltern aus.
Achten Sie auch auf Ihr Bauchgefühl. Sie kennen Ihr Kind am besten. Wenn Sie den Eindruck haben, dass es Ihrem Kind nicht gut geht, ist es wichtig zu reagieren. Versuchen Sie, mit Ihrem Kind ins Gespräch zu kommen. Nicht immer gelingt dieses Gespräch in der Familie.
Bieten Sie Ihren Kindern daher auch an, dass ein Gespräch auch außerhalb der Familie stattfinden kann, z. B. bei der Schulsozialarbeit oder sonstige Vertrauenspersonen. Wichtig ist, dass Kinder nicht allein gelassen werden.
WEB.DE Blog: Vielen Dank, Daniel für das tolle Interview mit Dir! Falls unsere Leserinnen und Leser Fragen haben sollten oder Unterstützung benötigen – wie können sie Euch als Team kontaktieren?
Daniel: Wir haben in unserem Vereinswiki zu den verschiedenen Themengebieten weiterführende Informationen und Materialien zusammengetragen. Dort finden sich die wichtigsten Informationen – auch zum Thema Cybergrooming: https://wiki.mkteam.org/
Es gibt auch zahlreiche lokale und bundesweite Hilfsangebote, an die sich Eltern aber auch Kinder und Jugendliche wenden können.
Konkrete Vorfälle sollten bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden, auch, um andere Kinder vor den Tatpersonen zu schützen.
Ansonsten kann man uns auch gerne direkt über unsere Webseite kontaktieren. Wir sind immer auf der Suche nach Anregungen und Mitstreiter und freuen uns als gemeinnütziger Verein auch über jede Form von Spenden.
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auch per E-Mail.
Daniel: Sicher, sehr gerne! Ich habe mich beruflich und privat immer für die neuen Trends und Möglichkeiten der digitalen Welt interessiert und mich dabei natürlich auch mit den Risiken beschäftigt. Über einen Bekannten, der bereits Workshops in Schulen durchführte, erfuhr ich, dass die Schulen mit dem Thema Medien teilweise überfordert waren. Ausufernde WhatsApp-Gruppen bis hin zu Cybermobbing waren an der Tagesordnung.
In meinem persönlichen Umfeld traf ich zudem vermehrt auf Eltern, die selbst wenig Berührungspunkte mit den technischen Hintergründen hatten und daher nicht wussten, wie sie mit dem Thema Medien in der Familie umgehen sollen und Unterstützung suchten. Da entschied ich mich, mein Fachwissen sinnvoll einzusetzen.
Wie ich da ausgerechnet zum Medienkompetenz Team kam? Ganz einfach: Weil es so gut zu mir und meinen Fähigkeiten gepasst hat! Das Medienkompetenz Team ist ein gemeinnütziger Verein aus Karlsruhe. Wir sind einerseits mit Präventions-Workshops vor Ort in Schulen im Raum Karlsruhe.
Andererseits versuchen wir mit unterschiedlichen Formaten auch Eltern und andere Interessierte mit den wichtigsten Informationen zu versorgen. Dabei geht es nicht nur um die reine Mediennutzung, sondern auch um die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und Themen wie Meinungsmache und Fake News.
WEB.DE Blog: Was würdest du sagen, auf welches Thema Ihr beim Medienkompetenz Team im Moment die meiste Zeit verwendet? Gibt es etwas, das Euch aktuell sehr beschäftigt?
Daniel: Wir arbeiten aktuell an mehreren Projekten, an deren Ende die Veröffentlichung von frei verfügbaren Schulungsmaterialien steht. Das Ziel ist, dass wir unser Wissen auch anderen Organisationen bereitstellen, um somit auch mehr Menschen zu erreichen.
In unseren Workshops vor Ort fokussieren wir uns thematisch aktuell vor allem auf die digitalen Grundlagen – also auf die grundlegenden Themen wie Kommunikation und Nutzung von digitalen Medien. Mit diesem Angebot sind wir mittlerweile bereits in den Grundschulen unterwegs.
Bei den etwas älteren Schülerinnen und Schülern liegt dann der Schwerpunkt vor allem auf den Chancen und Risiken von Social Media, den rechtlichen Grundlagen im Internet und – wie eben schon erwähnt – auf den Themen Meinungsmache und Fake News.
Persönlich beschäftigt uns vor allem das Thema Cybergrooming: Uns erschreckt immer wieder, wie viele Kinder Erfahrungen mit Kontaktaufnahmen von Fremden im Internet machen.
WEB.DE Blog: Was steckt denn genau hinter "Cybergrooming"? Wie läuft das ab und wer ist am ehesten betroffen?
Daniel: Cybergrooming bedeutet, dass ältere Jugendliche oder Erwachsene versuchen, sexuelle Kontakte im Internet mit Kindern oder anderen Jugendlichen herzustellen. Eltern können sich häufig gar nicht vorstellen, welchen Kontakten ihre Kinder im Netz ausgesetzt sind. Heute gibt es in den meisten Apps und Spielen Chatfunktionen. Und diese werden auch genutzt.
Das Thema betrifft vor allem jüngere Kinder: 98 % der Opfer sind 13 Jahre oder jünger. Gefährdet sind vor allem Kinder ohne Vertrauensperson, mit familiären Problemen oder einem geringeren Selbstwertgefühl. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Kinder aus "normalen" sicheren Verhältnissen treffen kann.
Die Täter sind überwiegend männlich und es sind nicht nur Erwachsene. Auch Kinder und Jugendliche belästigen Gleichaltrige im Internet. Laut der bundesweiten Kriminalstatistik ist in den letzten Jahren ein Anstieg unter jugendlichen Tatverdächtigen zu verzeichnen.
Anfangs versuchen die Täter, sich das Vertrauen zu erschleichen. Es werden Komplimente gemacht, Verständnis und Interesse vermittelt, vielleicht sogar virtuelle Geschenke in Form von z. B. Gutschein-Codes gemacht. Das Ziel ist hierbei das Kind dazu zu bewegen, in einen nicht-öffentlichen Chat zu wechseln, wo sich der Täter dann ungestört mit dem Kind unterhalten kann.
Dann wird das Vertrauen ausgebaut und über das Gespräch versucht, an persönliche Informationen zu kommen. Angefangen bei Namen, Adresse, Alter über weitere Details zum Privat- und Familienleben, bis hin zu privaten Fotos oder Videos, die sich hin und hergeschickt werden. Diese Phase kann sich über Wochen oder Monate hinziehen.
Es gibt Untersuchungen von verschiedenen Stellen, die sich z. B. als junges Mädchen ausgegeben haben, um das Vorgehen von Tätern zu dokumentieren. Die Täter sind hier sehr geschickt und perfide. Sie versuchen ein Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis herzustellen, um ihre Opfer manipulieren und kontrollieren zu können.
Das Ziel ist, Material zu sammeln, mit dem das Kind dann anschließend erpresst werden kann. Dabei wird dann das Kind isoliert, um zu verhindern, dass es Hilfe holt. Am Ende steht das Ziel, weitere Inhalte zu erpressen oder gar ein persönliches Treffen zu vereinbaren.
Bei der Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen über das Internet sprechen wir nicht von Einzelfällen: Laut einer repräsentativen Studie durch die Landesanstalt für Medien NRW wurden bereits 24 % der Kinder und Jugendlichen im Netz von Erwachsenen zu einer Verabredung aufgefordert. Davon wurde jedem sechsten Kind von einer älteren Person eine Gegenleistung versprochen, wenn es Bilder oder Videos von sich verschickt.
Jedes siebte(!) Kind wurde bereits aufgefordert, sich vor einer Webcam auszuziehen oder die Handykamera anzuschalten und etwa 15 % aller Kinder haben schon ungewollt Nacktbilder zugesendet bekommen.
WEB.DE Blog: Warum ist das Thema gerade im Moment so akut? Und wie kann man sich am besten davor schützen?
Daniel: Cybergrooming ist aktuell eines der größten Risiken, denen Kinder und Jugendliche im Internet ausgesetzt sind. Es gibt viele Angebote, die Interaktionen mit Unbekannten zulassen, seien es Spiele-Apps oder Social-Media-Plattformen. Hinzu kommt, dass immer mehr Kinder unbegleitet diese Angebote nutzen. Vermutlich da vielen Eltern die Risiken nicht bewusst sind.
Allein im Jahr 2022 wurden in der bundesweiten Kriminalstatistik 2.331 Fälle erfasst, bei denen Täterinnen und Täter über das Internet auf Kinder oder Jugendliche eingewirkt haben, um einen sexuellen Missbrauch vorzubereiten. Allerdings ist laut Polizei die Dunkelziffer bei solchen Taten vermutlich weitaus höher.
Das wichtigste Mittel, um Cybergrooming vorzubeugen ist, Kinder im Netz nicht allein zu lassen. Der wichtigste Schutz ist die Begleitung durch Erwachsene.
Kinder im Grundschulalter sollten digitale Medien nur in Ausnahmefällen allein nutzen. Angebote, bei denen die Kinder online mit unbekannten Personen in Kontakt kommen können, sollten sie auf gar keinen Fall allein nutzen.
Es müssen Regeln für Kontakte vereinbart werden, z. B. das Kontaktanfragen nur in Begleitung der Eltern angenommen werden. Zudem sollten die Eltern anfangs viel mehr auf eine gemeinsame Nutzung Wert legen und mit den Kindern offen über die Risiken sprechen. Dazu gehört neben einer altersgerechten sexuellen Aufklärung zum Erlernen von Begriffen - um Vorfälle auch benennen zu können - auch der Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen.
Den Kindern muss klar sein, dass sie in unklaren Situationen Hilfe holen oder das Gerät einfach ausschalten können und dass sie im Netz nichts tun müssen, was sie nicht wollen.
Das Wichtigste ist aber, dass Eltern den Kindern keine Vorwürfe machen sollten, wenn wirklich mal etwas vorfällt. Was passiert ist, kann man nicht rückgängig machen. Wichtiger ist, zu fragen: Wie lösen wir die Situation? Wie verhindern wir, dass so etwas noch einmal passiert?
WEB.DE Blog: Danke, Daniel, für Deine ausführliche Antwort – vieles ist einem als "Laie" ja gar nicht so bewusst. Und vor allem Deine Empfehlungen zur Mediennutzung sind für unsere Leserinnen und Leser bestimmt besonders hilfreich!
Wenn wir Dich aber einmal hier bei uns haben: Es gibt bestimmt noch weitere Sicherheitsthemen, die Euch unter den Nägeln brennen. Was wären denn z. B. Eure Top 3 Tipps für Eltern oder Lehrer in Bezug auf einen sicheren digitalen Alltag unserer Kinder?
Daniel: Wie bereits gesagt: Der wichtigste Schutz für Kinder im Netz ist die Begleitung durch Erwachsene.
Idealerweise lernen Kinder gemeinsam mit den Eltern, sich im Netz zurechtzufinden, Risiken zu erkennen und sich selbst zu schützen. Das ist sicherlich für Eltern nicht immer einfach, denn es ist tatsächlich eine große Herausforderung, Kinder in der digitalen Welt zu begleiten. Aber es gibt da draußen sehr viel Informationsmaterial und Unterstützung.
Den Eltern können wir nur sagen: Achten Sie auf altersgerechte Angebote. Das Internet hat keinen Altersfilter. Wer Zugriff auf das Internet hat, hat Zugriff auf alle Informationen im Netz. Gerade auf Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok finden sich viele Inhalte, die nicht für jede Altersstufe geeignet sind. Daher sind diese Dienste auch erst ab 13 oder gar 16 Jahre freigegeben.
Nutzen Sie die einzelnen Angebote also zunächst einmal selbst, bevor Sie Ihren Kindern den Zugang erlauben. Und scheuen sie nicht den Konflikt, auch mal "nein" zu sagen und tauschen Sie sich mit anderen Eltern aus.
Achten Sie auch auf Ihr Bauchgefühl. Sie kennen Ihr Kind am besten. Wenn Sie den Eindruck haben, dass es Ihrem Kind nicht gut geht, ist es wichtig zu reagieren. Versuchen Sie, mit Ihrem Kind ins Gespräch zu kommen. Nicht immer gelingt dieses Gespräch in der Familie.
Bieten Sie Ihren Kindern daher auch an, dass ein Gespräch auch außerhalb der Familie stattfinden kann, z. B. bei der Schulsozialarbeit oder sonstige Vertrauenspersonen. Wichtig ist, dass Kinder nicht allein gelassen werden.
WEB.DE Blog: Vielen Dank, Daniel für das tolle Interview mit Dir! Falls unsere Leserinnen und Leser Fragen haben sollten oder Unterstützung benötigen – wie können sie Euch als Team kontaktieren?
Daniel: Wir haben in unserem Vereinswiki zu den verschiedenen Themengebieten weiterführende Informationen und Materialien zusammengetragen. Dort finden sich die wichtigsten Informationen – auch zum Thema Cybergrooming: https://wiki.mkteam.org/
Es gibt auch zahlreiche lokale und bundesweite Hilfsangebote, an die sich Eltern aber auch Kinder und Jugendliche wenden können.
Konkrete Vorfälle sollten bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden, auch, um andere Kinder vor den Tatpersonen zu schützen.
Ansonsten kann man uns auch gerne direkt über unsere Webseite kontaktieren. Wir sind immer auf der Suche nach Anregungen und Mitstreiter und freuen uns als gemeinnütziger Verein auch über jede Form von Spenden.
Zur Person: Daniel Nübling ist seit über 25 Jahren in der Medien-und IT-Branche tätig. Neben seiner Faszination für die digitale Welt, beschäftigt er sich in seiner Rolle als externer Datenschutzbeauftragter auch mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Privatsphäre. Als Teil des Vereins "Medienkompetenz Team" gibt er sein Wissen und seine Erfahrung nun an Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiter.
Hier finden Sie Hilfe:
- Nummer gegen Kummer: Telefonische Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern: https://www.nummergegenkummer.de
- Juuuport: Beratung von Jugendlichen für Jugendliche per Chat: https://www.juuuport.de/beratung
- Hilfe-Portal sexueller Missbrauch mit Suche nach lokalen Beratungsangeboten: https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-finden
- Weiterführende Infos: https://wiki.mkteam.org/
Quellen:
- https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gefahren-im-internet/cybergrooming/ Stand: 19.09.2023
- https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/NeueWebsite_0120/Medienorientierung/Cybergrooming/211216_Cybergrooming-Zahlen_Praesentation_LFMNRW.pdf Stand: 19.09.2023
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